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Aus: Ausgabe vom 08.04.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

»Meine Damen«

Eine Ausstellung über die Frauen der Familie des Impressionisten Max Liebermann
Von Sabine Lueken
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Max Liebermann: »Lesende« (Martha Liebermann, Tusche, um 1888)

Max Liebermann (1847–1935), der berühmte deutsche Impressionist, Berliner, Großbürger, Jude, gehörte zur High-Society im Deutschen Kaiserreich. 1909 kaufte er ein Wassergrundstück in der noblen »Colonie Alsen« in Berlin-Wannsee und ließ sich dort ein »Landhaus« bauen, einen Rückzugsort für die ganze Familie in den Sommermonaten. Heute befindet sich dort ein Kunstmuseum, der Garten ist denkmalgeschützt. Momentan erinnert man an Liebermanns »Damen«: Ehefrau Martha geborene Marckwald (1857–1943), Tochter Käthe (1885–1952) und Enkeltochter Maria (1917–1995). Jeder ist ein Raum gewidmet – mit Gemälden, Skizzen und Radierungen der dortigen Sammlung sowie vielen Fotos und Dokumenten.

Wir sehen Martha, von der es heißt, dass sie sich nicht gerne zeichnen oder malen ließ, im feinen weißen Musselinkleid mit der fünfjährigen Maria auf dem Schoß. Wir sehen Käthe auf Fotos ihrer besten Freundin und Cousine Grete Ring, der späteren Kunsthändlerin. Wir sehen die ganze Familie im Kaminzimmer versammelt – inklusive Schwiegersohn und Dackel. Auf manchen Bildern, die Liebermann so zahlreich von seinem Garten malte, erscheinen die Frauen nur schemenhaft im Hintergrund. Es gibt auch sehr viele Fotos, denn häufig wurden namhafte Fotografen eingeladen, den Maler und seine Familie abzulichten.

Schnell wird klar, dass diese Idylle im Januar 1933 unmittelbar beendet war. »Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte«, habe Liebermann, berühmt für seine »Berliner Schnauze«, Hitlers Ernennung zum Reichskanzler kommentiert. Er zog sich aus der Öffentlichkeit zurück, gab alle Ämter auf, bevor man sie ihm nehmen konnte, u. a. die Ehrenpräsidentschaft der Akademie der Künste. Im Februar 1935 starb er in seinem Stadtpalais am Pariser Platz 7 – »wenn Se nach Berlin reinkommen, gleich links«. Martha zog im Herbst 1935 in die Graf-Spee-Straße 23, die heutige Hiroshimastraße, in ein vornehmes Mietshaus. Das Stadthaus überschrieb sie ihrer Tochter, die es ihrem – katholischen – Mann schenkte. Trotzdem wurde das Haus von den Nazis 1938 konfisziert. Martha Liebermann wurde vom Nazistaat ausgeraubt, verlor nach und nach ihr ganzes Vermögen und musste die Villa am Wannsee an die Reichspost unter Wert zwangsverkaufen. Ab 1941 wollte sie emigrieren, das scheiterte an immer höheren finanziellen Forderungen. Als sie am 5. März 1943 von einem Kripobeamten zur Deportation nach Theresienstadt abgeholt werden sollte, nahm sie – völlig verzweifelt – eine Überdosis Schlafmittel und starb am 10. März 1943 im Jüdischen Krankenhaus.

Zu diesem Zeitpunkt war Käthe mit ihrem Ehemann Kurt Riezler und der 21jährigen Tochter Maria bereits nach New York emigriert, seit Dezember 1938 lebten sie in einem Apartment in Manhattan am Riverside Drive 270. Die Ausreise war nur möglich, weil Riezler eine Stelle als Professor an der berühmten New School of Social Research erhalten hatte. Die dort etablierte »University in Exile« beschäftigte insgesamt über 180 emigrierte europäische Wissenschaftler, unter ihnen Hanns Eisler, Hannah Arendt und Erich Fromm. Riezler konnte hier an seine Karriere als Wissenschaftler anknüpfen, nachdem er 1933 wegen seiner fortschrittlichen Arbeit als Kurator der Universität Frankfurt am Main in »Schutzhaft« genommen und zum Rücktritt gezwungen worden war.

Bereits als junger Mann hatte Riezler eine rasante Karriere als Diplomat im Auswärtigen Amt gemacht und war zum engsten Berater des Reichskanzlers Theobald von Bethmann-Hollweg aufgestiegen. Seine Tagebücher aus dieser Zeit gelten als wichtige Quelle für die deutsche Kriegszielpolitik inklusive »Revolutionierung« Russlands durch die Reise Lenins dorthin und die Kriegsschuldfrage 1914. Gern hätte man auch etwas über die ca. 100 Brautbriefe erfahren, die Riezler im selben Zeitraum an seine Verlobte Käthe schrieb und die 2008 in den USA entdeckt wurden. Denn neben den unverfälschten Berichten »Aus dem Großen Hauptquartier« erlauben sie Einblicke in die Lebensführung der selbstbewussten jungen Frau aus dem jüdischen Großbürgertum. Riezler wurde nach dem Frieden von Brest-Litowsk im April 1918 Botschaftsrat in Moskau, zuständig für die Kontakte mit den Bolschewiki. Von November 1919 bis April 1920 war er Leiter des Büros von Reichspräsident Friedrich Ebert, bis er aus Frust über den Versailler Vertrag 1920 seine Anstellung im Auswärtigen Amt quittierte und sich fortan als Wissenschaftler betätigte.

Maria, die Tochter, heiratete einen Studenten ihres Vaters, den Politikwissenschaftler Howard Burton White (1912–1974). Sie machte eine Ausbildung als »Kindergarten Teacher« und arbeitete an einer Schule auf Long Island, wo die Familie lebte. Sie wollte eine »richtige Amerikanerin« sein und erhielt 1944 die Staatsbürgerschaft. Ihre beiden Töchter, die Urenkelinnen Max Liebermanns, leben in den USA, eine wurde Malerin, die andere Soziologin.

Mit dem »Kopf eines St. Adriansschützen aus dem Jahr 1627, Kopie nach Frans Hals« – Hals gehörte zu den niederländischen Malern, für die sich Max Liebermann begeisterte – greift die Ausstellung das Thema Raubkunst auf. Immer noch sind Werke Liebermanns verschollen, weiß man nicht alles über den Verbleib seiner Kunstsammlung, der Möbel und Ausstattung seiner beiden Häuser. Die Provenienzforschung zur Sammlung der Liebermann-Villa hat ergeben, dass der »Kopf«, der 2003 bei einer Auktion in Berlin in den Besitz der Max-Liebermann-Gesellschaft kam, eindeutig als bisher einziges Objekt der Sammlung als Raubkunst identifiziert werden konnte. Großzügig verzichteten die Urenkelinnen Liebermanns auf eine materielle Entschädigung und überließen das Werk dem Haus.

»Im Fokus. Martha, Käthe und Maria. Die Frauen der Familie Liebermann«, Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstraße 3, 14109 Berlin, bis 22. April 2024

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