4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Donnerstag, 2. Mai 2024, Nr. 102
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 06.04.2024, Seite 7 / Ausland
Krieg gegen Gaza

Rund um die Uhr gefesselt

Mediziner von israelischem Gefängnis für in Gaza inhaftierte Palästinenser prangert unhaltbare Zustände an – etwa Amputationen nach Entzündungen
Von Gerrit Hoekman
7.JPG
Abtransport gefangener Palästinenser durch die israelischen Besatzertruppen (Gazastreifen, 8.12.2023)

Das israelische Guantanamo heißt Sde Teiman. Manche sagen, das Lager auf einer Militärbasis in der Wüste Negev sei sogar noch schlimmer. Ein im Feldlazarett von Sde Teiman beschäftigter Arzt hat sich nun mit einem Brief über die unfassbaren Zustände an den Verteidigungs- sowie den Gesundheitsminister und den Generalstaatsanwalt gewandt. Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete am Donnerstag über dessen Inhalt. »Von den ersten Tagen des Betriebs der medizinischen Einrichtung bis heute war ich mit ernsthaften ethischen Dilemmata konfrontiert«, klagt der Arzt. Alle Gefangenen seien rund um die Uhr an Händen und Füßen gefesselt, die Augen ständig verbunden. Durch das dauernde Tragen der Fesseln zögen sich die Inhaftierten häufig Schnittwunden zu, die sich langsam entzünden. »Erst diese Woche wurden zwei Gefangenen die Beine amputiert«, so der Mediziner.

Sde Teiman wurde unmittelbar nach Beginn des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen eingerichtet, um Gefangengenommene vorübergehend zu verwahren und eingehend zu verhören, bis sie in reguläre Gefängnisse überführt werden. Wer seine Unschuld beweisen kann, wird in der Trümmerwüste ausgesetzt. Weil Palästina kein anerkannter Staat ist, betrachtet Israel die Inhaftierten nicht als Kriegsgefangene, sondern als illegale Kombattanten. Das bedeutet verschärfte Haftbedingungen. Ein Richter kann ihnen beispielsweise 180 Tage lang den Besuch eines Anwalts verweigern. Wie viele Palästinenser aus Gaza in Sde Teiman oder anderen Militärstützpunkten festgehalten werden, ist unbekannt. Es könnten Tausende sein, vermutet die NGO Hamoked. Die Angehörigen erfahren nichts über ihren Verbleib.

In Sde Teiman werden jeweils einige Dutzend zusammen eng an eng in Käfigen gehalten. Es gibt weder Betten noch Stühle. Die Inhaftierten sitzen und schlafen auf dünnen Matten auf dem Boden. »Eine Quelle teilte Haaretz mit, dass sie Gewalt und Strafen ausgesetzt seien«, berichtete die Zeitung bereits im Januar. »Zu diesen Handlungen gehören Schläge und das Fesseln von Häftlingen an den Zaun oder mit den Händen über dem Kopf.«

Wer in einem Krankenhaus operiert werden muss, komme schon nach einer Stunde in die medizinische Einrichtung in Sde Teiman zurück, wo fast immer nur ein Arzt Dienst habe, heißt es in dem Brief. Dabei handele es sich nicht selten um fachfremde Mediziner: Orthopäden oder Gynäkologen – obwohl keine Frauen in Sde Teiman einsitzen. »Dies führt (…) manchmal sogar zum Tod des Patienten«, schreibt der Arzt. »Das macht uns alle – die medizinischen Teams und Sie, diejenigen, die für uns im Gesundheits- und Verteidigungsministerium verantwortlich sind – mitschuldig an der Verletzung israelischen Rechts.«

Weil die Patienten gefesselt seien, müssten sie Nahrung durch Strohhalme zu sich nehmen. Den Stuhlgang verrichteten sie in Windeln. Der Mediziner berichtet, dass das Lazarett nicht regelmäßig mit medizinischer Ausrüstung oder Medikamenten versorgt werde. Haaretz erfuhr von einem anderen Informanten, dass die meisten gar nicht auf der Krankenstation behandelt werden, sondern in ihren Zellen. Bis Mitte März sollen nachweislich 27 Inhaftierte aus Gaza in den Internierungslagern der Armee gestorben sein. Wie viele es wirklich waren, wird nicht preisgegeben. Die Leichen werden auch nicht – wie in regulären israelischen Gefängnissen üblich – zur Autopsie freigegeben. »Jedes Verfahren wird dokumentiert und überwacht und mit äußerster Sorgfalt für die Menschenwürde der Gefangenen durchgeführt«, wiegelte ein Sprecher gegenüber Haaretz ab. Die Gefangenen seien »Terroristen oder mutmaßliche Terroristen«, unter denen »sich solche befinden, die als sehr gefährlich gelten«.

Der Arzt hatte die Zustände schon vor seinem Brief mehrfach gegenüber dem Gesundheitsministerium kritisiert und nach Informationen von Haaretz habe es diverse Treffen dazu gegeben. Auch wurde ein Ausschuss zur Überwachung der Einrichtung gebildet. »Leider gab es trotz all dieser Maßnahmen und trotz der guten Absichten und des guten Willens des Ausschusses keine wesentlichen Änderungen«, schreibt der Mediziner.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

  • Medizinische Infrastruktur gezielt zerstört: Im Schifa-Krankenha...
    02.04.2024

    Hospital in Trümmern

    Gazakrieg: Israel beendet Angriff auf Schifa-Krankenhaus. Weitere Massaker und Angriffe auf Libanon und Syrien
  • Mit seinen permanenten Angriffen auch auf Zivilisten verursacht ...
    26.03.2024

    UNO will Waffenstillstand

    New York: Weltsicherheitsrat beschließt nahezu einstimmig Resolution für dauerhaftes Ende von Gazakrieg. Norden ohne Versorgung
  • Zerstörung geht weiter: Explosionen nach einem Luftangriff auf d...
    25.03.2024

    Im Schatten der Hungersnot

    Gazakrieg: UN-Generalsekretär besucht Rafah und fordert Waffenstillstand. Israel setzt Angriffe auf Krankenhäuser fort