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Aus: Ausgabe vom 05.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Der Affe hat Zahnschmerzen. »Godzilla x Kong: Das neue Imperium«

Von Peer Schmitt
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»Wir zogen dann aus zu einer offenen, lichtreichen und erhöhten Stelle«, Dante, »Inferno«, IV, 115

»Lass uns hinabsteigen in diese blinde Welt«

Dante, »Inferno«, IV, 13

Willkommen in der »inneren Welt«. Die ist zunächst die eines alten Countrysongs von Jim Reeves: »Welcome to my World (…) miracles, I guess still happen now and then.« Der Soundtrack einer eindrucksvollen Verfolgungsjagd mit King Kong und einer Horde Wolfshyänenchimären, an deren Ende der Kong eines der Viecher in Fetzen reißt. Es fließt viel grünes Blut, und Kong braucht erst einmal eine Dusche zu Beginn von »Godzilla x Kong: Das neue Imperium«.

Kong ist kein Vegetarier. Er futtert gerne Seeschlangensushi, aber er hat Zahnschmerzen. Das treibt ihn wieder an die Oberfläche zum fliegenden Zahnarzt (Dan Stevens) und zur kontrollierenden Wissenschaftlerin (Rebecca Hall).

Von der Wissenschaft wurde Kong von »Skull Island« in die »Hollow Earth« verfrachtet, eine weitgehend sinnfreie Zone, auch wenn ein zuständiger Conspiracy-Theory-Blogger (Brian Tyree Henry) ärgerliche Inseln des Sinns beitragen möchte. Ein halbwegs hoffnungsloses Unterfangen zwischen pilotenfressenden Bäumen, einem von autoritären Führern geknechteten Affenvolk und einer antiken Kultur, die telepathisch kommuniziert und den Kristallschlüssel zur Welt bewacht, vor allem den zur Schlafkammer von Mothra, der mütterlichsten aller mythologischen Riesenbestien aus dem Kaiju-Arsenal.

Wenn man von Größenordnungen spricht, sollte man einen nicht vergessen, der ebenfalls zu den so kühnen wie eloquenten Erkundern unterirdischer Welten gehörte, und das großzügige 300 Jahre, bevor der englische Mathematiker und Astronom Edmond Halley eine erste elaborierte Theorie der »Hollow Earth« entwarf, die alsbald von der Wissenschaft zwar verworfen wurde, danach aber in der stets beflissen geplünderten Schatzkammer der literarischen Spinner und nimmermüden Verschwörungstheoretiker ihr angemessenes Zuhause fand.

Bereits im vierten Gesang des »Inferno«, als schätzungsweise 96 Prozent seines Hauptwerkes noch nicht geschrieben waren, ist Dante verwegen genug, sich als sechster Mann in die Gesellschaft von Vergil, Homer, Horaz, Ovid und Lukan einzureihen. (»Aber sie erwiesen mir noch mehr Ehre, indem sie mich in ihre Schar aufnahmen, so dass ich der sechste wurde unter solchen Weisen.«)

Dante unterschätzte sich und seine Gewichtsklasse wohl noch. Das eigene Gewicht aber in die Schar der ganz großen Tiere mit gesundem Selbstbewusstsein keineswegs unterschätzbar einzubringen, ist etwas, das King Kong immer ausgezeichnet hat. Kong findet seinen Platz (der Chef im Ring) im Sozialen seiner Quasiartgenossen (der Schar der Hollow-Earth-Affen), nimmt ein eisspuckendes Kaiju-Drachenvieh an die Leine und wird nebenbei immer humanoider. Praktischerweise auf dem schmerzbefreienden Weg des Maschinellen (neben einer Zahnprothese bekommt er eine Manschette für seinen verletzten Arm verpasst, die ihn noch kampfkräftiger macht).

Zunächst fühlt sich Kong in seiner neuen unterirdischen Heimat eher unwohl – die ungewohnte Nahrung, die ungastliche Gesellschaft, die missverständlichen Kommunikationssituationen. Schließlich lebt er sich ein. Godzilla spielt da eher eine Nebenrolle und legt sich vorsorglich in Rom im Kolosseum schlafen. Der rechte Ort, nachdem kurz einmal Rio de Janeiro niedergetrampelt wurde (Soundtrack: Orlann Divo, »Samba Toff«).

Selbst der im deutschsprachigen Raum führende Kaiju-Gelehrte, Jörg Buttgereit, fand den Film nach der Pressevorführung »ganz okay«. Dem kann man sich nur anschließen. Schon deshalb, weil endlich auch »Mothra bedroht die Welt« (Honda Ishiro, 1961) wieder Tribut gezollt wird.

Es ist immer erholsam, von aufdringlicher Sinngebung nicht allzu sehr behelligt zu werden. Wenig Sinn, dafür seltsam leuchtende, digital animierte Flächen, Kristalle, die in-, über- und nebeneinanderstürzen (sogar die Logos von Warner und Legendary Films werden »kristallisiert«). Fließende Bewegung, flüchtender Sinn und ein Happen Seeschlangensushi im Moment der Rast. Durchatmen. »Denn wenn die Illusion ein Stück Wahrheit enthält, so ist diese Wahrheit nicht außerhalb von uns, sondern in uns« (Claude Lévi-Strauss, »Das Ende des Totemismus«).

»Godzilla x Kong: Das neue Imperium«, Regie: Adam Wingard, USA 2024, bereits angelaufen

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