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Aus: Ausgabe vom 05.04.2024, Seite 7 / Ausland
NATO-Jubiläum

Habt ihr mal 100 Milliarden?

NATO-Generalsekretär fordert auf Außenministertreffen der Kriegsallianz Extraausgaben zur »Verstetigung der Ukraine-Hilfe«. Ungarn: »Nicht unser Krieg!«
Von Reinhard Lauterbach
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Gute Miene zum bösen Spiel: NATO-Generalsekretär Stoltenberg bei einem Treffen mit Vertretern aus der indopazifischen Region (Brüssel, 4.4.2024)

Beim Jubiläumstreffen der NATO-Außenminister in Brüssel hat Generalsekretär Jens Stoltenberg die Mitgliedsländer aufgefordert, 100 Milliarden US-Dollar zur »Verstetigung der Ukraine-Hilfe« bereitzustellen. Das Geld solle in den nächsten fünf Jahren fließen und der Ukraine Planungssicherheit im Krieg gegen Russland verschaffen. Nach Stoltenbergs Worten sollen die Mitgliedstaaten das Geld im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsstärke aufbringen. Hintergrund seiner Forderung ist offenbar, das unter einem US-Präsidenten Donald Trump zu erwartende Argument zu entkräften, die USA müssten überproportional viel für »Sicherheit« aufwenden.

Die Reaktion der Gipfelteilnehmer auf Stoltenbergs Forderung war nach einem Bericht der US-Seite Politico durchwachsen. Während der polnische Außenminister Radosław Sikorski sich sofort hinter Stoltenberg stellte, blieb Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit ihrer Forderung, »Europa« müsse mehr für seine und die Verteidigung der Ukraine tun, eher allgemein. Die belgische Außenministerin Hadja Lahbib wurde von Politico mit der Warnung zitiert, die NATO solle keine Versprechungen machen, die sie nachher nicht einhalten könne. Und der Ungar Péter Szijjártó sagte, Ungarn sei einem Verteidigungsbündnis beigetreten, keinem Angriffspakt. Der Ukraine-Krieg sei »nicht Ungarns Krieg und auch nicht der der NATO«. Andere Chefdiplomaten stellten demnach die Frage, ob es Stoltenberg mit seiner Forderung um frisches Geld gehe oder ob die bereits individuell geleisteten Beiträge einzelner NATO-Staaten zur Aufrüstung der Ukraine darauf und auf die zwei Prozent des Sozialprodukts angerechnet würden, die das Bündnis seinen Mitgliedern für Militärzwecke abverlangt.

Unterdessen haben nach übereinstimmenden Meldungen aus Paris und Moskau die Verteidigungsminister Russlands und Frankreichs, Sergej Schoigu und Sébastien Lecornu, am Mittwoch abend erstmals seit dem Oktober 2022 miteinander telefoniert. Über den Inhalt des Gesprächs gehen die Darstellungen beider Seiten jedoch stark auseinander. Während die russische Seite mitteilte, Schoigu habe Lecornu angerufen, um ihn vor den Folgen einer Entsendung französischer Soldaten in die Ukraine zu warnen, machte Frankreich zum Anlass des Gesprächs überhaupt keine Angaben. Statt dessen wiesen regierungsnahe Quellen in Paris die russische Darstellung zurück, Schoigu habe die Möglichkeit eines politischen Dialogs über die Ukraine und einen Waffenstillstand angedeutet. Vielmehr habe Frankreichs Minister den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt und erklärt, bevor dieser nicht beendet sei, könne es keinen Dialog geben.

Nach Angaben des russischen Außenministeriums bereitet Frankreich ein Kontingent von 1.500 Soldaten der Fremdenlegion darauf vor, demnächst in die Ukraine entsandt zu werden. Präsident Emmanuel Macron erklärte dazu, auch im Falle, dass diese Truppen von Russland angegriffen würden und Verluste erlitten, werde sich Paris nicht an die NATO um Unterstützung wenden. Frankreich habe mit militärischen Alleingängen Erfahrung, etwa in der Sahelzone, so Macron. Wie diese Alleingänge für Frankreich ausgegangen sind, überging er diskret. Sowohl die BRD als auch die USA lehnen Macrons Vorstoß zumindest offiziell ab.

In einem gleichentags veröffentlichten Beitrag auf Politico erklärten derweil mehrere führende ukrainische Militärs, der Ukraine drohe in nächster Zeit ein russischer Durchbruch durch die Front und damit eine »militärische Katastrophe«. Die anonym zitierten Offiziere, die alle unter dem geschassten Oberkommandierenden Walerij Saluschnij gedient haben, wiesen darauf hin, dass die NATO-Unterstützung für die ­Ukraine regelmäßig zu spät komme. Zum Beispiel seien die öffentlich diskutierten ­F-16-Kampfflugzeuge derzeit bereits nutzlos, weil Russland im Vorgriff auf deren Entsendung seine Luftabwehr für die Krim und den südlichen Frontabschnitt optimiert habe, um die F-16 möglichst weit vor der Frontlinie angreifen zu können. Sie nannten diesen und andere Fälle als Beispiele dafür, dass Russlands Militärführung ausgesprochen »lernfähig« sei und sich ihre Taktik bei weitem nicht darauf beschränke, Soldaten sinnlos zu verheizen und das eigene zahlenmäßige Übergewicht zur Geltung zu bringen.

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