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Aus: Ausgabe vom 04.04.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Ausbeutung von Arbeitsmigranten

Zahl der Todesfälle steigt

Immer mehr Arbeitsmigranten aus Bangladesch sterben in Golfstaaten. Ursache oftmals Hirnschlag, Herzattacken oder Kreislaufzusammenbrüche
Von Thomas Berger
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Überausbeutung von Arbeitsmigranten ist Alltag – nicht nur in Katar (FIFA-Stadion bei Doha, 5.1.2017)

Acht bis zehn Särge kamen zuletzt täglich am internationalen Flughafen in Dhaka an. So viele bangladeschische Arbeitsmigranten sterben durchschnittlich pro Tag in anderen Ländern. Die Zahlen nannte Debabrata Ghosh, Vizedirektor des dortigen Expatriate Welfare Desk, am 20. März gegenüber der Zeitung Dhaka Tribune. Sie unterstreichen aus der Praxis damit befasster Behördenvertreter, was auch die generellen Statistiken aussagen: Die Zahl der Todesfälle steigt. Im vergangenen Jahr waren es 4.552 Menschen, die nur noch so in ihre Heimat zurückkamen – ein neuer Rekordwert und erstmals überhaupt über der Marke von 4.000. Schon die 3.904 und die 3.818 Fälle 2022 beziehungsweise 2021 markierten eine Steigerung gegenüber den Jahren 2019 und 2018 mit jeweils 3.600. Im Jahr 2020 war der Wert deutlich geringer. Denn auf dem Höhepunkt der Coronapandemie hatte die Arbeitsmigration allgemein stark abgenommen. Allein in den zurückliegenden fünf Jahren 2019 bis 2023 starben damit knapp 20.000 Bangladeschis bei ihrem Job im Nahen und Mittleren Osten, darunter auffallend viele junge Leute, die teilweise nicht einmal das 30. Lebensjahr erreicht haben. Womit, fragen sich nicht nur die Autoren dieses jüngsten Beitrags in der Dhaka Tribune, ist das zu erklären?

Die sechs Monarchien des Golfkooperationsrates (GCC) haben laut der zuständigen Behörde in Bangladesch, dem Bureau of Manpower, Employment and Training, zwischen 1976 und 2023 mehr als drei Viertel (76,3 Prozent) der 16 Millionen Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus dem südasiatischen Land beschäftigt, so der New Indian Express Mitte Februar unter Berufung auf diese Quelle. Und wiederum gut zwei Drittel der rückgeführten Toten in den Jahren 2017 bis 2022 seien aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAR), Oman, Kuwait, Katar und Bahrain gekommen – wobei Saudi-Arabien die Liste mit 5.666 Fällen, weit mehr als VAR und Oman zusammengenommen, deutlich anführt.

Viele der Opfer gehen offiziell auf Unfälle zurück. Wie im Fall von Habib Khalazi, dessen Geschichte die Zeitung The Daily Star am 19. Februar aufgriff. Der 33jährige hatte seine Familie 2019 verlassen, um in Saudi-Arabien Arbeit zu finden und seine Eltern, einen jüngeren Bruder, den minderjährigen Sohn und seine Frau – finanziell zu unterstützen. Anfang Mai vorigen Jahres aber erhielten seine Angehörigen statt der Überweisung eine schockierende Nachricht: Khalazi war bei der Arbeit am Rande von Riad von einem herabfallenden Metallteil tödlich am Kopf getroffen worden.

Die zuständige bangladeschische Sozialbehörde Wage Earners’ Welfare Board (WEWB) führt seit 1993 amtliche Statistiken über die Fälle zurückgesandter Toter. Insgesamt fast 52.000 waren es in den drei Jahrzehnten, mehr als 34.000 entfielen auf die letzten zehn Jahre, so The Daily Star. Die Ursachenforschung sei oftmals mangelhaft, wie in einer Studie mehrerer Organisationen aus den Herkunftsländern in Süd- und Südostasien 2022 festgestellt wurde. Zwar gebe es neben Unfällen infolge schlechter Arbeitsbedingungen auch Suizide und sogar Morde. Ein Großteil gehe aber auf Gehirnschlag, Herzattacken oder tödliche Kreislaufzusammenbrüche zurück, heißt es.

Die zugespitzten Umstände können auch für Menschen jüngeren Alters fatale Folgen haben, wie Sowmit Chanda Joydip, Migrationsforscher der Brac University, gegenüber der Dhaka Tribune erläuterte. Die Kombination aus überlangen Arbeitstagen von bis zu 18 Stunden, extremer Hitze, mangelnder Hygiene und Druck der Chefs sei nicht selten tödlich, hinzukomme psychologischer Stress infolge der langen Trennung von der Familie. Rashid E. Mahbub, früherer Präsident der Bangladesh Medical Association (BMA), gab im gleichen Text ein paar Lösungsvorschläge zum besten: Migrantische Arbeitskräfte sollten vor der Ausreise doch besser auf die im Destinationsland herrschenden schwierigen Arbeitsverhältnisse hingewiesen werden. Dass arbeiten überhaupt lebensgefährlich sein kann, scheint für so einen demnach kein Problem zu sein.

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