4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 04.04.2024, Seite 11 / Feuilleton
Union Berlin im Kino

Eiserne Homestory

Köpenicker Fußballhelden und ihr Wohnzimmer auf der Leinwand: »Union – die besten aller Tage«
Von Michael Merz
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Warmes Deckchen oder ’ne Bude in Berlin? Mannschaftsleiterin Susanne Kopplin kümmert sich

Union Berlin, das sind zunächst mal viele Menschen, die regelmäßig zusammenkommen, ohne sich auf die Nerven zu gehen. Ganz im Gegenteil. Mit »Eisern!« begrüßen sie sich vor jedem Spiel in aufgekratzter Erwartung dessen, was kommen wird. Wie Oskar, der Schüler, sein Stadionritual: Erst mal in eine leckere Pita Karpata beißen. Oder Dieter, der zu jedem Spiel aus Meck-Pom anreist. Ein beneidenswerter Dauerkartenbesitzer, dessen Platz auf der Wetterseite der Tribüne oft heftig Niederschlag abbekommt. Und Olaf? Den kennt sowieso jeder. Das ist der, der die Stadionhefte verteilt.

Die Auswahl der Protagonisten für ihren Film über den Köpenicker Fußballklub muss für Annekatrin Hendel kein leichtes gewesen sein. Die Geschichten klemmen hier eben in Massen zwischen den Wellenbrechern, faktisch Schulter an Schulter. Und jeder hat mindestens eine mitzubringen. Oskar, Dieter und Olaf jedenfalls spielen keine Rolle im Film, dessen Titel »Union – die besten aller Tage« etwas unangenehm an die Toten Hosen erinnert. Hendel entschied sich dafür, die Menschen zu porträtieren, die den Motor des 1. FC Union am laufen halten. Und dafür, wieder einmal auf die Suche danach zu gehen, was den Osten der Republik ausmacht. Zu verdanken haben wir ihr bereits die Doku »Familie Brasch«. Ähnlich einfühlsam und respektvoll geht sie in Köpenick vor.

Das Union-Universum erklärbar machen? Damit hätte sich Hendel zuviel vorgenommen. Unergründliches bleibt auch nach dem Film, den Schleier lüften will sie nicht. Ihr Schwerpunkt ist das Innenleben rund um die Alte Försterei während einer bis dahin nicht erlebten Erfolgssträhne des Klubs. Die Momentaufnahme eines kleinen Fußballwunders, Konstanten des Vereins immer im Blick. Zwei Stunden Eisern Union, braucht’s das überhaupt? Ja, denn ein Underdog auf der Überholspur, und dann auch noch aus dem Osten, das ist im bundesdeutschen Fußballestablishment nicht vorgesehen, muss also gezeigt werden. Und Hendels Beobachtungen sind nicht nur sehenswert für Fans. Sie verbindet den Rumms des Stadions, der einem die Nackenhaare aufstellt, mit selbstironischem Witz und stillen Augenblicken. Wie dem, wenn der Mann mit dem Schrubber die Reste der Bierdusche wegwischt, als alle anderen schon gegangen sind. Dabei gelingen ikonische Bilder, von Extrainer Urs Fischer zum Beispiel, der nachdenklich auf dem Rasen sitzt und die Stoppuhr baumeln lässt, oder seltene Einblicke in die Vorbereitung der Ultra-Choreos (»Jungs an Nähmaschinen«). Unterstrichen mit entspannter Klavierbegleitung von Flake. Dem Herthaner könnte der Film schon manchmal bitter aufstoßen.

Was mitschwingt, ist eine Art Fußballdialektik. Ohne die große Familie drumherum ist alles nichts, ohne die vielbeschworene Liebe zum Verein, die hier besonders ausgeprägt ist. Bock auf die großen Fische haben sie an der Alten Försterei aber auch längst bekommen. Bei Besprechungen in Präsident Dirk Zinglers Büro geht es ums »Nachfeilschen«, das »in der Mitte Treffen«, das – bei einem Umsatz von 150 Millionen Euro – »Mitwachsen müssen« des Vereins. Und dann wieder, am Vormittag nach einem gewonnenen Spiel gegen die Westberliner, um das gute Gefühl, »für die ganze Woche Menschen glücklich gemacht« zu haben. Dafür reiben sie sich hier alle auf. Wie Mannschaftsleiterin ­Susanne ­Kopplin. Sie will schlechte Vibes aus den Köpfen der Spieler raushalten, das geht sogar bis zur Hilfe bei der Wohnungssuche. Vor jedem Kick sortiert sie in der Kabine ­Trikots, Stutzen, Schuhe – und wenn alles bereitliegt, geht sie hoch auf den Rasen, die ersten Fans warten dann schon aufs Spiel. Stefanie ­Vogler aus der Vertriebskommunikation wird es später zu viel der Harmonie: »Dieses ›alles is supi‹ geht mir auf den Sack.« Union sei auch Streit und Kontroverse, sie »möchte mal wieder eine schlechte Phase haben«. Prophetisch, denn die sollte kommen, noch aber sind die Ergebnisse bestens. Was Hendel zu entlocken vermag, ist oft emotional aufgeladen, sehr nah dran, aber nie übergriffig. Den Blick durchs Schlüsselloch spart sie sich.

Der Film endet nach dem großen Triumph, dem entscheidenden Spiel um den Champions-League-Einzug. Der Rausch auf dem Höhepunkt, Abpfiff. Besser so. Dramaturgisch wäre das, was danach in der neuen Saison folgen sollte, schwer vermittelbar. Fußball kann fies sein. Dann lieber in der letzten Szene dem verträumten Präsi beim Ausräumen seines Büros über die Schulter schauen. Zingler ist fasziniert von wiederentdecktem Krimskrams – einer Spieluhr in Fußballform, die auch als Zigarettenbox fungieren kann. Flexibel wie Union. Der Vorhang fällt, was kommt, steht in den Sternen. Und Oskar, Dieter, Olaf? Die sind seit vergangenem Sommer weiter in ihr Wohnzimmer an der Alten Försterei gepilgert und auch ins Olympiastadion. Die besten aller Tage sind für sie die Spieltage. Alle. Egal ob gegen Magdeburg oder Madrid. Jetzt ging’s halt wieder um den Klassenerhalt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (4. April 2024 um 20:53 Uhr)
    Union Berlin ist ein Fußballklub im Kapitalismus – so wie alle anderen: nicht besser, nicht schlechter. Dieses Gewese um Union, St. Pauli usw. usf. ist ebenso langweilig wie oberflächlich. Setzt sich Union – gegen den Strom – für irgendein hehres Ziel ein? Nein. Also ein weiterer Film für das Sandmännchen … Gute Nacht!

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