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Aus: Ausgabe vom 04.04.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Polen

PiS sucht Anschluss

Regional- und Kommunalwahlen in Polen: Frühere Regierungspartei vor weiteren Niederlagen
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Skeptischer Wählerblick in Wrocław (27.3.2024)

Ein knappes halbes Jahr nach den Parlamentswahlen wird in Polen (schon) wieder gewählt. Am kommenden Sonntag sind 30 Millionen Polinnen und Polen aufgerufen, ihre Ortsvorsteher, Bürgermeister, Oberbürgermeister, Gemeinde-, Stadt- und Kreisräte sowie die Angehörigen der Regionalparlamente der Wojewodschaften zu bestimmen. Wo Amtsinhaber direkt zu bestimmen sind, entscheidet am 21. April eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplazierten der ersten Runde.

Aber von Wahlkampf ist – abgesehen von einer Flut von Bannern, die an Zäune und Geländer geklippt sind – wenig zu spüren. Polens politische Szene wirkt nach den Anstrengungen des vergangenen Wahljahres immer noch erschöpft, für die landesweit antretenden Parteien gilt das auch finanziell. Vieles wird davon abhängen, ob dieselbe Diagnose für die Wählerinnen und Wähler gilt. Bei den Oktoberwahlen lag die Beteiligung bei 74,3 Prozent, das war ein Rekord seit dem Systemwechsel von 1989. Niemand glaubt ernsthaft, dass man sich am kommenden Sonntag diesem Wert auch nur nähern wird.

Verluste für PiS

Alle Umfragen sagen voraus, dass die ehemalige Regierungspartei PiS in den Regionen und Gemeinden an Einfluss verlieren wird. Besser gesagt: Dass sie auf ihr Normalmaß zurückgestutzt wird, nachdem sie 2018 von den Kommandohöhen der zentralen Machtapparate aus mit vollen Händen Subventionen an Gemeinden mit rechten Bürgermeistern verteilen konnte. Eine am Mittwoch veröffentlichte Untersuchung des »Instituts für die Staatsfinanzen«, über die die Zeitung ­Rzeczpospolita berichtete, zeichnet nach, wie die PiS in den vergangenen Jahren ihr politisch gewogenen Kommunen mehr als doppelt so viel Geld pro Einwohner aus dem Staatshaushalt zur Verfügung gestellt hat als solchen, die von Vertretern der damaligen liberalen Opposition regiert wurden.

Jetzt ist diese Quelle zumindest für die PiS versiegt, und nach der Wahlniederlage vom Oktober sind innerhalb der Partei Kämpfe zwischen lokalen Seilschaften mit voller Kraft ausgebrochen. Denn um Posten in den Bürgermeisterämtern und Regionalparlamenten kämpfen nun nicht nur Vertreter der alteingessessenen Lokalnomenklatura, sondern auch nach einer Anschlussverwendung suchende Sejmabgeordnete, die am 15. Oktober in Warschau nicht zum Zuge gekommen sind. Das alles bleibt in den Gemeinden, wo jeder jeden kennt, nicht unverborgen. So wird die PiS aller Voraussicht nach von den acht (der insgesamt 16) Wojewodschaften, wo sie zuletzt regiert hat, vielleicht noch drei oder vier halten können: sicher das Karpatenvorland im Südosten Polens, außerdem die Wojewodschaften Lublin und Świętokrzyskie (Zentralpolen) und vielleicht noch Podlaskie im Nordosten.

In den Großstädten hat die PiS ohnehin nur Zählkandidaten aufgestellt. Hier ist sie nie über Achtungserfolge hinausgekommen, und so darf jetzt in Warschau zum Beispiel der aus Łódź importierte Tobiasz Bocheński versuchen, dem populären Amtsinhaber Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform ein paar Stimmen abzujagen. Für die polnische Hauptstadt zählt eigentlich nur die Frage, ob Trzaskowski den Wahlsieg von 50 Prozent plus eine Stimme schon in der ersten Runde wird einfahren können. Das hängt in hohem Maße davon ab, wie die Bewegung »Polen 2050« von Sejmmarschall Szymon Hołownia sich hält. Ihre nationalen Umfragewerte sind zuletzt von den 14,4 Prozent aus der Parlamentswahl auf zwölf bis zehn Prozent zurückgegangen.

Vorbereitung auf 2025

Eine Warschauer Besonderheit ist auch, dass das polnische Linksbündnis mit Magdalena Biejat eine landesweit angesehene Bewerberin aufgestellt hat. Schafft sie ein zweistelliges Ergebnis, kann sie von Trzaskowski für den Fall einer Stichwahl Konzessionen für den Aufruf zu seiner Unterstützung verlangen. Und mit einem solchen Ergebnis hätte sich Biejat, die natürlich in Warschau keine ernsthaften Chancen auf das Amt der Oberbürgermeisterin hat, immerhin als Kandidatin der Linken für die Präsidentschaftswahl 2025 in Stellung gebracht. Denn dass die Linke wieder gemeinsam mit der Bürgerplattform – und ihr damit politisch untergeordnet – antreten wird, gilt als ausgeschlossen, nachdem sie von deren Vorsitzendem Donald Tusk für die Kommunalwahlen zum selbständigen Kandidieren quasi gezwungen worden ist. Denn es war Tusk, der die Idee einer gemeinsamen Liste von Bürgerplattform und Linker abgelehnt hat. Immerhin: Die Umfrageergebnisse sind für die polnische Linke nicht so schlecht. Zwischen neun und zehn Prozent werden ihr prognostiziert, das ist ein leichtes Plus gegenüber dem Ergebnis der nationalen Wahlen im Oktober.

Donald Tusk ließ im übrigen zuletzt an die Medien durchstechen, er ziehe eine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten im kommenden Jahr in Betracht. Das könnte insbesondere dann wahrscheinlich werden, wenn Rafał Trzaskowski – der lange als gesetzter Bürgerplattform-Kandidat für die Nachfolge von Andrzej Duda galt – in Warschau schlechter abschneiden sollte als erwartet.

Hintergrund Grabenkämpfe

Die große Zitterpartie für die Regierungsparteien dreht sich bei den Kommunal- und Regionalwahlen um die Beteiligung. Sie ist ein Indiz dafür, in welchem Maße die – wie auch immer illusorische – Hoffnung auf politische Veränderungen noch trägt, die die liberale Koalition und ihr linkes Anhängsel im Oktober in Polen an die Regierung gebracht hat.

Auf der materiellen Ebene muss man einräumen, dass es die Koalition unter Donald Tusk schwer hat, Ergebnisse zu erzielen. Staatspräsident Andrzej Duda hat angedroht, jedes Gesetz mit seinem Veto zu blockieren, das nicht unter Beteiligung der beiden Exgeheimdienstchefs Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik beschlossen wurde. Deren Mandate betrachtet die Regierung nach ihrer rechtskräftigen Verurteilung jedoch als erloschen. Vergangenen Freitag hat Duda zumindest in einer symbolkräftigen Frage ernst gemacht: Er wies ein Gesetz zurück, das die 2016 von der PiS eingeführte Rezeptpflicht für die »Pille danach« wieder abschaffen sollte. Ob Duda seine wissenschaftlich unhaltbaren Argumente dagegen – die Präparate seien schädlich, sie führten zur »Demoralisierung« und dazu, dass Mädchen sie schlucken würden wie sonst Bonbons, und das gleich im Fünferpack – wirklich glaubt, ist egal. Jedenfalls hat er der Koalition die Erfüllung eines wichtigen Wahlversprechens vorerst unmöglich gemacht.

Die Regierung hat sich mit aller Macht auf die »Abrechnung mit der PiS« verlegt. Im Moment aber verzettelt sie sich in mehreren Untersuchungsausschüssen gleichzeitig, in denen ihre Vertreter auch oft nur mit Suggestivfragen an die geladenen PiS-Politiker auffallen. Parteichef Jarosław Kaczyński hat seine Vernehmung im Untersuchungsausschuss zur Beschaffung der Spionagesoftware »Pegasus« in eine Demonstration seiner Verachtung für die Wahlsieger verwandelt. Er weigerte sich sogar, den vorgeschriebenen Eid zu leisten, wahrheitsgemäß auszusagen und nichts zu verschweigen, was ihm bekannt sei. (rl)

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