Langzeitkrieg gegen Russland
Von Arnold SchölzelIhr 75. Gründungsjubiläum an diesem 4. April begeht die North Atlantic Treaty Organization (NATO) ähnlich wie 1949. Die damals zwölf Mitgliedstaaten – darunter das faschistische Portugal, Frankreich einschließlich der Kolonie Algerien und Großbritannien mitsamt der Kolonie Malta – ordneten sich dem US-Konzept des »Roll Back« unter. Die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs in Europa sollten rückgängig gemacht werden – auch mit Atomwaffen. Europa war zu jener Zeit und ist auch heute laut US-Doktrin als atomares Schlachtfeld vorgesehen – nun in einer möglichen Auseinandersetzung mit Russland. Der diente auch die Gründung der BRD wenige Wochen später im Mai 1949.
Denn die NATO blieb nach Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation und der Sowjetunion 1991 erhalten. Die USA, die sich nun als einzige Weltmacht sahen, bezogen spätestens 1999 beim völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, mit dem erstmals seit 1945 Grenzen in Europa mit Gewalt neu gezogen wurden, die sogenannten Verbündeten direkt in ihre endlosen Feldzüge ein. Seit jenem Jahr ist die NATO ein Kriegsführungspakt und rüstet entsprechend auf. Ihre heute 32 Mitgliedstaaten gaben 2023 für Militär rund 1,3 Billionen US-Dollar aus, die USA davon rund 880 Milliarden Dollar (Russland etwa 85 Milliarden, VR China rund 230 Milliarden, Welt laut SIPRI insgesamt 2,24 Billionen). Die USA unterhalten zudem bis zu 1.000 Militärbasen auf dem Globus, und die NATO erhebt Anspruch auf militärische Einmischung im Indischen und im Pazifischen Ozean.
Im Zeichen solcher Aggression und Expansion versammelten sich am Mittwoch die NATO-Außenminister in Brüssel. An diesem Donnerstag kommen ihre Kollegen aus Neuseeland, Australien, Japan und Südkorea sowie der Ukraine hinzu. Im Mittelpunkt steht die Verlängerung des Stellvertreterkrieges gegen Russland auf unabsehbare Zeit. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bezeichnete vor Beginn des Treffens die militärische Lage für die Ukraine als »ernst« und schlug einen Fünf-Jahres-Fonds vor, dessen Umfang laut Medienberichten 100 Milliarden Euro betragen soll: »Wir müssen der Ukraine langfristig verlässliche und vorhersehbare Sicherheitshilfe gewähren, so dass wir uns weniger auf freiwillige Beiträge und mehr auf NATO-Verpflichtungen verlassen.« Polen und Kanada äußerten bereits Unterstützung, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, wichtig sei, »die Prozesse zwischen EU und NATO« nicht zu verdoppeln. Laut Stoltenberg wird die Ukraine auf jeden Fall NATO-Mitglied, es gehe nicht mehr um das »Ob«, sondern nur noch um das »Wann«.
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»Dass die Völker kriegsmüde werden, ist nicht zu übersehen«
Als etwas nachdenklicher Zeuge der Entwicklungen zu dieser entstandenen Situation drängen sich mir allerdings einige Fragen zum Verständnis des Zeitenwandels auf. Der von Bundeskanzler Scholz am Beginn der russischen Invasion in der Ukraine Ende Februar 2022 politisch lancierte und nunmehr medial und sogar historisch scheinbar in Stein zu hauende Begriff der Zeitenwende will sich mir doch nicht so recht erschließen. War zuvor etwa in Europa alles Friede-Freude-Eierkuchen?
War etwa der Kollaps des Staatssozialismus im Osten Europas keine Zeitenwende? Kann etwa der grenzverändernde Krieg der USA und anderer NATO-Staaten gegen Serbien 1999 ohne UNO-Mandat mit dem Ergebnis der Kosovo-Separation unter der Rubrik eines permanenten Friedens in Europa verbucht werden? Von den amerikanisch geführten Waffengängen in Afghanistan 2001, Irak 2003 oder Libyen 2011 oder auch gleichen Jahres als Mitbeteiligter in Syrien ganz zu schweigen.
Kann etwa der Putsch in Kiew im Februar 2014 gegen den von der OSZE als anerkannt demokratisch gewählten Präsidenten Janukowitsch unter aktiver Beteiligung der USA (Vice-Außenministerin Victoria Nuland), der BRD (Außenminister Westerwelle) und anderer EU-Staaten auf dem Maidan damit gerechtfertigt werden, dass ja immerhin der erste Gesetzesakt der Putschisten dem russischsprachigen Drittel der Bevölkerung der Ukraine Russisch als Amtssprache verbot? Der Widerstand der Bevölkerung im Donezbecken dagegen wurde seit 2014 mit dem Einsatz der ukrainischen Streitkräfte durch aktive Kriegführung beantwortet.
Ganz simpel gefragt, kann das Prinzip militärischer Sicherheit potenzieller Gegnerschaft zwischen Staaten bzw. Staatenblöcken bei geopolitischer Einseitigkeit funktionieren? Wer ist eigentlich wem auf die Pelle gerückt –
die Russen der NATO oder die NATO Russland?
Hat die Hochkonjunktur der Russophobie im Denken und Handeln der verantwortlichen Politiker des Westens vergessen lassen, wie allergisch die USA 1962 auf die Stationierung von sowjetischen Raketen auf Kuba reagiert haben? Damals triumphierte letztlich die Vernunft im Vertrauen auf eine beiderseitige Berücksichtigung strategischer Sicherheitsansprüche.
Die heutige Situation scheint aufgrund der waffentechnischen Entwicklungen ungleich gefährlicher als seinerzeit. Es hat wenig mit politischen Sympathien für Putin zu tun, wenn die einfachen Menschen der Völker Europas – anders als die vermeintlichen politischen Eliten Politik und (Rüstungs-)Wirtschaft – angesichts der Drohung eines großen Krieges im Sinne ihrer Überlebensinteressen Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien Ukraine und Russland fordern. Dem Geist des in der alten Bundesrepublik während der Debatten um die Stationierung von Mittelstrecken-Raketen in den 80er Jahren proklamierten „LIEBER-TOT-ALS-ROT“ sollte der Weg für eine entsprechende Neuauflage entschlossen entgegengetreten werden!
Nach dem Krieg freilich änderte Großbritanniens Premier Churchill seine Meinung. »Wir haben das falsche Schwein geschlachtet«, lautet eines seiner bekanntesten Zitate in Bezug auf die Führung der Sowjetunion.
Im Prozess der politischen Neuorientierung Europas wurden durch die USA und ihre Verbündeten Pflöcke der Machtsicherung für den gesellschaftlichen Aufbau der Systeme eingerammt, die eindeutig auf eine Ost-West-Konfrontation hinausliefen.
Überaus eilfertig und ohne gesamtdeutsche Skrupel wurde die Bundesrepublik gegründet, dem Bündnis wurde beigetreten und die Bundeswehr gegründet und dies immer vor den Entscheidungen im Osten! Bundeskanzler Adenauer: »Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb.«
Den Höhepunkt der politischen Heuchelei und des Wortbruches begingen die USA und die NATO mit deren östlichen Erweiterung und der Stationierung von Truppen, entgegen den auf höchster Ebene getroffenen Absprachen, die zum Anschluss der DDR an die BRD und letztlich zur Auflösung des sozialistischen Lagers führten.
In der Folge gab es geheime Gefängnisse der USA in Polen und es wurden Raketenbasen in Rumänien und Polen gebaut. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die blutigen Ereignisse auf dem Euromaidan von der CIA befördert, die u. a. von Steinmeier unterzeichnete Garantieerklärung für den gewählten ukrainischen Präsidenten einen Tag später ignoriert und das Minsker Abkommen vom Westen torpediert wurde. Der Westen hat alles getan und nichts unterlassen, man denke nur an Nord Stream 2, was die Beziehungen zu Russland sehenden Auges zerstörte.
Die USA und die NATO verstecken hinter ihrem Gerede über westliche Werten ihr unnachgiebiges Streben nach Macht und Einfluss zur Durchsetzung der Monroe Doktrin (Eckpfeiler der Außenpolitik der Vereinigten Staaten) und die offizielle Bundesrepublik ist dabei ihr treuester Erfüllungsgehilfe. Es wird im Interesse Europas höchste Zeit, die NATO auf den politischen Prüfstand zu stellen und der Diplomatie wieder zum Leben zu verhelfen.