4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 05.04.2024, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Den Königinnen reicht es

Die Rückkehr des Verses: »hildensaga« von Ferdinand Schmalz am Deutschen Theater Berlin
Von Kai Köhler
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Rache ist Blutwurst: Brünhild (Svenja Liesau) und Kriemhild (Julischka Eichel)

Königsdramen sind bekannt, Königinnendramen weniger. Auf dem Spielplan des Deutschen Theaters Berlin standen allerdings bisher schon Nino Haratischwilis »Penthesilea. Ein Requiem« und Elfriede Jelineks »Ulrike Maria Stuart«. Nun kommt noch die »hildensaga« von Ferdinand Schmalz hinzu, eine Neufassung des Nibelungenstoffs, bei der die beiden weiblichen Hauptpersonen im Zentrum stehen: Brün- und Kriemhild.

Schmalz holt sich aus der Geschichte des Stoffs, was er brauchen kann: von der altisländischen Edda über den ersten Teil des mittelalterlichen Nibelungenlieds bis zu Richard Wagner. Das ist legitim, wenn es ein Ganzes ergibt. Und das ist hier zweifellos der Fall. Die Wormser Uraufführung 2022 wurde denn auch bereits mehrfach prominent nachgespielt.

Die Aufführung dauert fast drei Stunden, ist aber nicht zu lang. Jede Szene ist für das Ganze notwendig, und keine erscheint zu ausführlich. Die Sprache und damit der Stil der Darstellung changieren. Manchmal klingt der Vers an, locker gehandhabt zwar, doch deutlich genug, um darauf zu verweisen, dass von etwas Wichtigem gehandelt wird. Dann wieder wird herumgealbert. Schmalz trennt beides nicht streng voneinander: Gänzlich unpoetische Wörter und Wendungen verschränken sich mit pathetischen Stellen. Der Anspruch ist der einzig sinnvolle: dem Stoff eine neue Lesart von gegenwärtiger Bedeutung abzugewinnen. An diesem Anspruch ist das Ergebnis zu messen.

Im Nibelungenlied sind und bleiben die Königinnen Brünhild und Kriemhild erbitterte Feindinnen, was zu dem Gemetzel und zum Tod fast aller Akteure am Ende des zweiten Teils beiträgt. In der »hildensaga« hingegen erkennen sie, dass sie von den Männern am Hofe hintergangen wurden: vom Helden Siegfried, vom König Gunther, von seinen Brüdern und vom heimlichen Machthaber, dem Ratgeber Hagen. Bald arbeiten die Frauen zusammen. Wie im Nibelungenlied tötet Hagen Siegfried, doch bei Schmalz als Folge einer Intrige der Königinnen. Wurde derart der stärkste Gegner beseitigt, ist es für die beiden kein Problem mehr, die restlichen Männer abzumurksen.

Laut Programmheft sieht man, »einen neuen Gesellschaftsentwurf, der sich nicht aus Macht und Unterdrückung speist, sondern aus einem Zusammenleben mit Mitgefühl und aus Solidarität«. Doch zunächst einmal handelt es sich um eine gelungene Rache (wobei, damit sie gelingt, Schmalz die Männer doch arg tölpisch agieren lässt). Die Königinnen entwickeln eine Solidarität miteinander, sie können sich am Patriarchat rächen und gemeinsam das Alte zerstören. Etwas Neues ist nicht in Sicht. Bei Schmalz durchstreift die Welt denn auch am Ende der Fenrir, der apokalyptische Wolf der Edda. Die Männer, die eigennützig im Namen von Gesetz, Ordnung und Staat jedes Opfer forderten, sind tot oder – wie der Gott Wotan – geblendet. Doch schließt der Theaterabend mit dem Satz von Brünhild: »dort draußen lauern wölfische zeiten.«

Kathrin Froschs Bühnenbild besteht für lange Zeit nur aus einer schräggestellten Scheibe mit einer großen Öffnung in der Mitte, die für Auftritte und Abgänge genutzt wird. Spät erst dreht sich das Gestell, und man sieht ein riesiges Drachenskelett. Die Männerwelt ist brutal auch gegenüber der Natur, und wenn der Drachentöter Siegfried auf einer Jagd im Wald ermordet wird, kommt er auf den Rippen seines einstigen Opfers zu liegen. Keine Gewalttat der Männer bleibt ungesühnt.

Regisseur Markus Bothe lässt aber kaum Schwermut aufkommen. Ohnehin bietet Schmalz in seinem Text Vorlagen für Komisches; hier wird der Versuchung, bis hin zum Klamauk, vielleicht etwas zu sehr nachgegeben. Es ist ja nicht nur unterhaltsam, sondern auch erhellend, den Wechsel zwischen Männerkumpanei und gegenseitiger Verhöhnung zu verfolgen. Kleinliche Kämpfe um den Rang in der Hofhierarchie karikiert die Inszenierung ebenso wie die Lust an Gewalt. Aber es fehlt dieser Bande am Gefährlichen. Dass Florian Köhler einen durch seinen Job heillos überforderten König Gunther gibt, gehört zur Sache. Wenn aber Hagen als der eigentliche Machthaber am Hofe kaum aus dieser Gruppe von Hanswursten herausragen darf, kann Jonas Hien das Bedrohliche der Figur nicht zeigen.

Das wird zum Problem für die Königinnen. Svenja Liesau als Brünhild und Julischka Eichel als Kriemhild sind einzeln überzeugend und mehr noch zusammen, wie sie die allmähliche Annäherung der Konkurrentinnen spielen. Als Kämpferinnen überzeugen sie weniger, denn ihnen fehlt ein Feind von ausreichender Stärke. Das ist wohl auch ein Problem des Stückes, das aber die Inszenierung verstärkt.

So überzeugt die Aufführung vor allem dort, wo sich Bothe auf die Sprache verlässt. Schmalz verlangt Nornen auf der Bühne: nach germanischer Mythologie Frauen, die Seile verknüpfen, die für den Gang des Schicksals stehen. Bothe ersetzt sie durch einen Norn, gespielt von Ulrich Matthes, der das Geschehen auf der Bühne kommentierend begleitet. Selten hat man in jüngerer Zeit Verssprache im Theater derart überzeugend gehört: weder regelmäßig klappernd noch über die Betonungen schamhaft weggehuscht, sondern den Vers als Bedeutungsträger genutzt.

Schmalz kann dramatische Verläufe schreiben, und zwar ohne langweilige Moralisierung. Er wagt jedoch nicht, allein den Verlauf für sich selbst sprechen zu lassen. Das scheint im Theater der Gegenwart eine schwer überwindbare Grenze.

Nächste Aufführungen: 3., 11. und 14. April

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