4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 05.04.2024, Seite 11 / Feuilleton
Satire

»Politisch ziemlich rot«

Dichten wie Dynamit: Curt Bloch und Het Onderwater Cabaret – Widerstand und Selbstbehauptung im Versteck
Von Sabine Lueken
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Satire im Postkartenformat

»An meine deutschen Leser / Vielleicht kommen euch die Gedichte / Die ich in eurer Sprache schrieb / In spätren Zeiten zu Gesichte / Und täten sie’s, wär mir’s recht lieb.«

Annähernd 75 Jahre standen die Hefte, in denen sich diese Zeilen finden, zu vier dicken, kompakten Bänden gebunden, bei Familie Bloch in New York unbeachtet im Regal. Nachdem Simone Bloch diese Hinterlassenschaft ihres Vaters 2011, 36 Jahre nach dessen Tod, im Leo-Baeck-Institut in New York schon mal hatte digitalisieren lassen, hat sie jetzt den Weg in die Öffentlichkeit gefunden – und der Wunsch des Vaters geht in Erfüllung. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin zeigt Het Onderwater Cabaret (OWC), das komplette Werk Curt Blochs im Original, nebst Einblicken in dessen Entstehung, Hörstationen und einem Revueprogramm mit seinen Liedern und Gedichten als Video. Zeitgleich ging eine von Rotariern privat finanzierte Webseite online.

Was ist Het Onderwater Cabaret? Es ist eine satirische Zeitschrift im Postkartenformat, subversiv, geistreich, einzigartig. Der promovierte Jurist Curt Bloch, 1908 in Dortmund geboren, collagierte, montierte und schrieb sie Woche für Woche von Hand im Versteck in den Niederlanden, möglicherweise angeregt durch die Radiosendung »Cabaret op zondagmiddag« (Sonntagmittagskabarett), deren faschistischer Propaganda er etwas entgegensetzen wollte.

Im April 1933 war Bloch in die Niederlande emigriert. Seine juristische Kariere war für ihn als Jude durch das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« sofort beendet, zudem war er als »politisch ziemlich rot« – so beschrieb er sich in seinem Gedicht »Der Novemberling« – gefährdet. Ihm war bereits bei einem Überfall die Nase gebrochen worden. Nach der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 betrieben die Deutschen eine sich rasch radikalisierende antijüdische Politik. Ab Februar 1941 gab es Razzien, im Juli 1942 begannen die systematischen Deportationen. Curt Bloch tauchte unter. Er lebte in wechselnden Verstecken, darunter etwa zwei Jahre auf dem Dachboden im Haus des Ehepaars Menneken in der Plataanstraat 15 in Enschede und ab Dezember 1944 bei der Familie Hulshof im Wensinkweg 13 in Borne, rund 20 Kilometer nordwestlich von dort. Obwohl die antisemitische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nazis in kaum einem anderen Land so »effizient« war wie in den Niederlanden, gab es auch Helfer. Dank des starken Widerstandsnetzwerks von Pastor Leendert Overduin und dank des weitsichtigen »Judenrats« überlebten in Enschede 500 der 1.300 dort ansässigen Juden.

Vom 22. August 1943 bis zu seiner Befreiung am 3. April 1945 schuf Bloch in seinem Versteck 96 Hefte, 1.700 Seiten mit fast 500 Liedern und Gedichten auf deutsch und niederländisch. Die collagierten Titelblätter hatten immer Bezug zum Inhalt, der meist um aktuelles Zeitgeschehen kreiste. Ab Dezember 1943 klebte er auch Zeitungsausschnitte ein, kommentierte sie satirisch-konfrontativ aus antifaschistisch-sozialistischer Perspektive. Scharf nahm er die Naziverbrecher aufs Korn, versuchte, »den deutschen Ungeist lächerlich zu machen – Lächerlichkeit tötet!«: Hitler, Goebbels, den deutschen »Reichskommissar für die Niederlande«, Arthur Seyß-Inquart (»Jawohl, Herr Kommissar«), die niederländischen Kollaborateure (»Den Honden van der NSB«), ausländische Diktatoren wie Mussolini und Franco. Er hoffte auf den baldigen Sieg der Alliierten und das Kriegsende, thematisierte Alltagserfahrungen während der Besatzung, sorgte sich um seine Familie. Im August 1943 widmete er ein Heft seiner geliebten Schwester Helene, spricht ihr – und sich – Mut und Zuversicht zu, nicht wissend, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits tot war, zwei Wochen nach Verrat und Verhaftung im niederländischen Versteck im Mai 1943 in Sobibor ermordet, ebenso wie die Mutter.

Blochs Bestreben war Selbstbehauptung durch Kreativität, Ermutigung und, wie Kerstin Schoor und Saskia Schreuder im JMB-Journal schreiben, »antifaschistische Aufklärung«. Ende Januar 1944 dichtete er: »So hat mein Dichten einen Zweck: Die Hirne zu laxieren / Und Göbbels Propagandadreck / Aus ihnen abzuführen … / Ich wünsche euch und wünsch der Welt, / Dass aus ’ner Hammelherde, / Das deutsche Volk, wie schwer’s auch fällt / Ein Volk von Menschen werde.«

Sein Material, Zeitungen, Zeitschriften, auch aus Deutschland, bekam Bloch von seinen Helfern und diese sorgten auch für eine Zirkulation seiner Hefte im engen Kreis anderer Untergetauchter und Angehöriger des Widerstandsnetzwerks in Enschede. Zuweilen konnte er auch in deren Kreis seine Lieder und Gedichte vortragen. Einige Titelblätter erinnern an John Heartfield. Dass er dessen Arbeiten kannte, daran gebe es keinen Zweifel, meint Simone Bloch, denn ihr Vater hatte zwei Semester in Berlin studiert und kam aus einer künstlerischen, nicht traditionell-bürgerlichen Familie: »It’s like wondering if a student in the 70’s or 80’s in New York would’ve known about Keith Haring or CBGB’s …«

Neben dem OWC schrieb Bloch – unter dem Pseudonym Cornelis Breedenbeek – mehrere Bücher, u. a »Piet und Coba«, die Abenteuer zweier Jugendlicher, die Widerstand gegen die deutschen Besatzer leisten. Hinter diesen Namen verbargen sich Karola Wolf und Bruno Löwenberg, ein Paar, mit dem er zusammen bei den Mennekens im Versteck war. Er verliebte sich in Karola und hielt, nachdem diese das Versteck verlassen musste, den Kontakt über Briefe. In diesem Zusammenhang entstand eine weitere Publikation: »Secret Service«, mit Liebesgedichten, die er sieben Monate parallel zum OWC nur für sie anfertigte – dank einer Schenkung des Sohns von Karola Wolf in der Ausstellung zu sehen.

Curt Bloch wurde nicht enttarnt, sein kreativer Widerstand blieb unentdeckt. Er konnte »auftauchen« – so wie die Figur auf dem Titel seines letzten Hefts »Bovenwater (Überwasser) finale van het OWC«, in dem er sich für immer von seinen Lesern verabschiedete. Er erfuhr, dass er der einzige Überlebende seiner Familie war, heiratete Ruth Kan, die wie er aus Dortmund stammte und vier KZ überlebt hatte. Die beiden zogen 1948 nach New York, wo sie einen Antiquitätenhandel aufbauten und sowieso ein neues Leben. Als Bloch 1975 starb, war seine Tochter Simone 15 und hatte ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater. Jetzt nicht mehr. Ihre Differenzen sind überwunden, sagt sie. Sie denkt, »dass er beeindruckt und glücklich darüber wäre«, wie sie jetzt »sein außergewöhnliches Gesamtkunstwerk (…) wieder in Erinnerung« bringt.

»Mein Dichten ist wie Dynamit«, Curt Blochs Het Onderwater Cabaret. Jüdisches Museum, Berlin, bis 26. Mai 2024

Het Onderwater Cabaret live. Ein musikalisch-literarischer Abend mit Marina Frenk und Richard Gonlag – 11. April 2024, 19 Uhr, Jüdisches Museum, Berlin

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