4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 30.03.2024, Seite 6 / Ausland
Togo

Fragwürdige »Erneuerung«

Im westafrikanischen Togo ließ der Staatschef kurz vor der Parlamentswahl die Verfassung ändern – um an der Macht zu bleiben
Von Harald Projanski, Lomé
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Er möchte gerne da bleiben, wo er ist: Werbung für Präsident Faure Gnassingbé in Lomé (19.2.2020)

Wenn die Bewohner von Lomé, der Hauptstadt der rund neun Millionen Einwohner zählenden westafrikanischen Republik Togo, kurz vor Sonnenuntergang gegen 18 Uhr vor ihren meist eingeschossigen Häusern stehen, umgeben von munteren Kindern, ist die alltägliche Hitze auf erträgliche 30 Grad Celsius gesunken. Da treffen sich viele junge und wenige alte zu einem Schwätzchen. Das Durchschnittsalter in Togo liegt bei 19 Jahren. Ein junges Volk stellt Fragen zu seiner Zukunft.

So kommt unter Kokospalmen auf Lomés sandigen, unbefestigten Seitenstraßen in diesen Tagen das Gespräch immer wieder auf eine überraschende Entscheidung des Parlaments. Die Volksvertretung hat in der Nacht zum Montag mit 89 Stimmen bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung eine grundlegende Verfassungsänderung angenommen. Das Thema bewegt viele Togolesen fast so sehr wie die häufigen Stromausfälle, die ganze Stadtviertel der Zweimillionenstadt stundenlang ins Stockdunkle versetzen.

Geplant ist die Schaffung des Postens eines vom Parlament gewählten »Vorsitzenden des Rates« (eine Art Staatsratsvorsitzender), der die Minister ernennt und den Oberbefehl über die Armee und die Sicherheitskräfte erhält. Der Präsident soll nicht mehr wie bisher die politische Führung innehaben, sondern als »wirkliche Verkörperung der moralischen Autorität« fungieren, wie die offizielle Sprachregelung lautet. Die regierungsnahe Presse präsentiert das Parlamentsvotum als Durchbruch des Volkswillens. Togo, so das staatsnahe Wochenblatt L’Union, vollziehe gerade »den Übergang zur parlamentarischen Demokratie«. Die Verfassungsreform, schwärmt das Staatsblatt, diene der »Erneuerung« des Staates und schaffe eine »neue republikanische Identität«.

Doch selbst Mitglieder der Staatspartei Unir (Union für die Republik) zweifeln an der ohne vorherige Diskussion verkündeten Reform. »Ich verstehe unsere Führung nicht mehr«, sagt ein langjähriges Unir-Mitglied. »Das ist eine Reform für einen Mann, den Präsidenten Faure Gnassingbé, der offensichtlich noch lange an der Macht bleiben will.« Er ist sich wie die meisten Togolesen sicher, dass Gnassingbé das Parlament veranlassen werde, damit dieses ihn zum Vorsitzenden des Rates wählen wird. Für die rein repräsentative Funktion des Präsidenten werde er dann eine ihm vertraute Person wählen, etwa die bisherige Premierministerin Victoire Dogbé oder die Parlamentsvorsitzende Yawa Tségan. Der erfahrenen Wirtschaftsjuristin war es mit List und Charme gelungen, dem Parlament die Verfassungsänderung als Demokratisierung zu verkaufen.

Einfache Mitglieder der Staatspartei monieren: »Warum wird eine weitreichende Verfassungsänderung noch vom alten Parlament beschlossen, nur einen Monat vor der Wahl eines neuen Parlaments am 20. April?«, so ein Parteigänger aus Lomé. Skeptisch bewerten auch Togos regierungskritische Zeitungen die vermeintliche Reform. Die in intellektuellen Kreisen in Lomé beliebte Wochenzeitung Liberté (Unterzeile: »Das Volk kann endlich reden«) bezeichnete die Verfassungsreform als »konstitutionellen Staatsstreich«. Das gleichfalls regimekritische Blatt La Manchette erschien am Mittwoch mit der Titelschlagzeile: »Das Parlament opfert das Volk!« Doch von Protestaktionen in der Öffentlichkeit gibt es bisher keine Spur.

Die Staatsmacht in Togo ist seit 2005 in den Händen des Präsidenten Gnassingbé, der sie mit Hilfe des Militärs als Erbe seines Vaters Gnassingbé Eyadéma erhielt. Die 38 Jahre – die Ära Eyadéma – gehören immer noch zu den Tabuthemen in Togo. Sein Machtsystem war ein klassisches Regime einer klanartigen Kompradorenbürokratie am Gängelband des französischen Imperialismus. Zu Zeiten des französischen Präsidenten Charles de Gaulle regierte dessen Afrikaberater Jacques Foccart Togo aus dem Élysée-Palast mit dem Telefonhörer. Doch diese Zeiten sind in Togo wie auch in anderen frankophonen Ländern Afrikas vorbei. Präsident Faure Gnassningbé hat Bauernschläue zur Staatsdoktrin erhoben. Er stützt sich wie sein Vater auf eine tribalistische Gruppierung der Kabiyé aus dem Großraum um die Stadt Kara, die in Armee und Verwaltung dominiert.

Damit einher geht eine für afrikanische Verhältnisse außergewöhnliche Fähigkeit, sich an veränderte Umstände äußerlich anzupassen, ohne das Wesen des Regimes zu verändern. Das gilt sowohl für die Innen- als auch für die Außenpolitik. Dass die Ära französischer Hegemonie in Westafrika vorbei ist, weil Frankreich völlig diskreditiert und geschwächt ist, daraus machen auch Staatsfunktionäre in Togo in privaten Gesprächen keinen Hehl. Togo sucht neue Partner. Außenminister Robert Dussey, in Togo wie auch in den Nachbarländern weithin geachtet, hat durch geschickte diplomatische Schachzüge Frankreichs Strategie scheitern lassen, westafrikanische Staaten der ECOWAS-Gruppe zu einer Militärintervention gegen Niger nach dem dortigen Machtwechsel im Juli 2023 anzustiften. Krieg gegen andere Afrikaner zur Freude und zum Profit Pariser Bankiers und Generäle? Das ist für alle Togolesen völlig undenkbar.

Dussey setzt auf einen Dialog mit der neuen Militärregierung in Niger wie auch mit den benachbarten, von antiimperialistischen Militärs geführten Staaten Mali und Burkina Faso. Deren Staatschefs sind in der jungen Generation Togos, der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung, sehr populär. Und dies nicht nur trotz, sondern auch wegen ihrer Freundschaft mit dem Russland Wladimir Putins. Denn Russland genießt in Togo einen guten Ruf als Gegengewicht zum Westen. Togos Außenminister lässt sich gute Kontakte mit der russischen Führung nicht mehr von Frankreich verbieten. Im Juli 2023 nahm er auf Einladung Putins an einem Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg teil. Und er pflegt regelmäßige Kontakte mit dem für Togo zuständigen russischen Botschafter in Benin, das sich wegen seiner Vergangenheit als auf Moskau orientierte Volksrepublik inzwischen immer weniger schämt.

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