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Aus: Ausgabe vom 25.03.2024, Seite 6 / Ausland
Koreanische Halbinsel

Todesdrohung gegen Kim

Südkorea: Propagandavideo zeigt sogenannten Ausschaltungsdrill und entlarvt unfreiwillig Konfrontationskurs
Von Martin Weiser, Seoul
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Alles bereit zum Krieg: Pilot der südkoreanischen Luftwaffe vor dem Einsatz (21.8.2023)

Politiker benutzen gern beliebte Lieder, um die eigenen Leute oder das Publikum für ein Ziel zu begeistern. Die CDU bestand etwa für die Bundestagswahl 2005 darauf, das Lied »Angie« von den Rolling Stones im Wahlkampf einzusetzen, um für Angela Merkel als Bundeskanzlerin zu werben. Anscheinend fand man den Titel so toll, dass der Liedtext egal war. Der schlug nämlich vor, sich von »Angie« zu trennen.

Südkoreas Luftwaffe ist vor kurzem in dieselbe Falle getappt. Am 20. März veröffentliche ihr Social-Media-Team ein Video, das Kampfflugzeuge, fliegende Raketen und fallende Bomben sowie die Zerstörung einer nordkoreanischen Kommandozentrale zeigt. Im Hintergrund dudelt freudig der neueste Hit »Bamyanggaeng«, der Titel bezieht sich auf eine Süßigkeit aus Esskastanien. Auch dieses Mal war es anscheinend nur der Name des Liedes, der ausschlaggebend war. Schließlich klinge das koreanische Wort »Bam« wie die US-amerikanische Aussprache von »Bomb«, erklärten die zwei verantwortlichen Soldaten im Interview. Der Witz bestand für sie anscheinend darin, immer »Bomben« statt »Bonbon« zu denken. Bei jeder Erwähnung der Esskastanie im Lied fliegt im Video deshalb etwas in die Luft.

Im Song geht es wie auch bei »Angie« um eine Trennung – diesmal aber aus der Perspektive der Verlassenen. Es ist nicht einmal drei Monate her, dass die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) dem Süden den Rücken gekehrt und jedwede Verbindungen gekappt hat. Deswegen wirkt der Liedtext in diesem Armeevideo eher ironisch und teilweise wie die Glorifizierung eines Mordanschlags auf den Expartner. Als die Verlassene beschreibt, wie schwer es war, im Moment der Trennung die eigenen Gefühle zu unterdrücken, sieht man den Daumen eines Kampfpiloten, der beschwingt auf den Feuerknopf drückt. Zu den Worten, dass hiermit die gemeinsamen Tage zu Ende seien, lösen sich rhythmisch Raketen und Bomben von Kampfflugzeugen.

Bei der Trennung wurde der Protagonistin noch mitgegeben, dass sie einfach viel zuviel wolle, was ebenfalls wie die Faust aufs Auge der südkoreanischen Politik passt. Die DVRK hatte jahrzehntelang betont, dass für eine Verbesserung der Beziehungen die südkoreanischen Militärmanöver enden müssten, was der Süden geflissentlich ignoriert hatte. Statt dessen wurden dem Norden Bedingungen diktiert – so etwa die Aufgabe des Atomprogramms oder eine Entschuldigung für die 2010 gesunkene »Cheonan«-Fregatte. Die DVRK hatte stets klargemacht, dass sich das Atomprogramm nur gegen die USA richte und sie nicht für die Versenkung der Fregatte verantwortlich sei.

In der letzten Szene nimmt das Video explizit Bezug auf den Norden. In Zeitlupe sieht man, wie eine Bombe in die Attrappe eines nordkoreanischen Bunkers eintaucht und kurz darauf alles in einen riesigen Feuerball verwandelt. Es wird suggeriert, dass dort gerade ein Nuklearangriff gegen den Süden vorbereitet, wenn nicht sogar ausgeführt wird. Das Arrangement der Puppen erinnert stark an ein Foto vom April 2023, das Kim Jong Un bei einer Sitzung der Zentralen Militärkommission der Arbeiterpartei zeigte. Damals stand der Staatschef ebenfalls vor einer Karte Südkoreas und deutete auf die südkoreanische Hauptstadt. Soldaten fällt vielleicht auf, dass hier eine Szene von einem sogenannten Ausschaltungsdrill gezeigt wird, bei dem gezielt Kim Jong Un umgebracht werden soll. Einem Südkoreaner wäre das vermutlich entgangen.

Zwei Wochen bevor Kim Jong Un seine Dezemberrede hielt, in der er sich von Seoul abwandte, hatte der südkoreanische Verteidigungsminister in einem Fernsehinterview mit dem Sender MBN betont, dass ein Anschlag auf Kim eine »Option« sei. Darüber könne er aber natürlich nicht in der Öffentlichkeit reden. Dass diese »Option« im Propagandavideo auftaucht, zeigt, wie real sie tatsächlich ist.

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