Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 23.03.2024, Seite 2 / Ausland
Kampf gegen den Atomstaat

»Wir können dieses Endlager noch verhindern«

Frankreich: Widerstand gegen Pläne für weltweit größte Deponie für radioaktive Abfälle wächst. Ein Gespräch mit June Ferrand
Interview: Luc Śkaille, Bure
banderole-BZL.jpg
Wehren sich gegen Expropriation: Gegner des Endlagerprojekts in Bure (undatiert)

Sie sind Mitglied der Rechtshilfegruppe »Front juridique«, die im Zusammenhang mit dem Atommüllprojekt Cigéo aktiv ist. Worin besteht Ihre Arbeit konkret?

Wir sind eine Gruppe, die sich um rechtliche Fragen kümmert, so wie andere Strukturen hier Öffentlichkeitsarbeit machen, Demos organisieren, sabotieren oder Gespräche mit den Politikern führen. Unsere Kernaufgabe ist es, mit Rechtsmitteln gegen die Beschlüsse der Endlageragentur Andra vorzugehen. Dafür arbeiten wir mit Experten in verschiedenen Bereichen zusammen. Es geht dabei viel um Verwaltungs- und Umweltrecht. Derzeit gibt es etwa eine Arbeitsgruppe, um die spezifischen Probleme zu bearbeiten, mit denen sich von Enteignungen bedrohte Bauern herumschlagen müssen.

Sie haben teilweise erfolgreich gegen das Endlager geklagt.

In der Tat, es wurden Rodungsarbeiten der Andra für illegal erklärt und die Agentur musste Kompensationen zahlen. Auch die Errichtung einer Betonmauer im ehemals besetzten Wald war illegal. Zuletzt haben wir gegen die Anerkennung des öffentlichen Nutzens des Endlagers prozessiert und dabei das »Recht zukünftiger Generationen auf eine unversehrte Umwelt« erstritten. Ein Novum in der Rechtsprechung hierzulande.

Wir sehen uns als einen Teil der Bewegung, die gleichermaßen auf Besetzungen, Demonstrationen und Aktionen setzt und sich so taktisch ergänzt. Wir wollen aufzeigen, wo die Atommüllagentur Mist baut. Auch wenn unsere Einwände zum Teil nicht erfolgreich sind, helfen sie der Umweltbewegung, Zeit zu gewinnen. Das Endlagerprojekt wurde bereits um Jahre verzögert, und wir sind entschlossen, die Umsetzung so sehr zu erschweren wie möglich.

Hunderten Haushalten droht die Enteignung. Was für Möglichkeiten gibt es, sich dagegen zu wehren?

Bisher fehlen der Endlageragentur über hundert Hektar Land. Zum Teil geht es bei den Enteignungen auch um Wohnraum, etwa am ehemaligen Bahnhof von Luméville. Insgesamt haben bisher etwa 300 Personen Bescheide bekommen. Rund 550 Grundstücke sollen enteignet werden. Aktuell geht es darum, Kontakt zu den Betroffenen aufzubauen und sie über mögliche Rechtsmittel zu informieren. Viele Leute fühlen sich von der Andra an die Wand gedrückt. Besonders die Landwirte sind verunsichert und wissen nicht, wie und wem sie ihr Lebenswerk unter diesen Bedingungen guten Gewissens übertragen können. Es geht darum zu vermitteln, dass Widerstand möglich ist und man sich – am besten gemeinsam – gegen die Enteignungen wehren kann.

Wie weit sind die Genehmigungsverfahren?

Wir haben es nicht geschafft, die Anerkennung eines öffentlichen Interesses abzuschmettern. Vor allem steht aber der Antrag auf Baugenehmigung im Raum. Es gibt mehrere Verfahren gegen den Bauantrag. Auf der anderen Seite versucht die Andra Fakten zu schaffen und will den Bewohnern weismachen, dass alles gelaufen ist. Da schreiten wir ein und stellen klar: Wir können dieses Endlager noch verhindern. Das Projekt ist noch nicht legal, es fehlen technische Lösungen, es fehlt noch einiges an Flächen, viele Fragen sind völlig ungeklärt. Nichts ist gelaufen, das ist eine immer wiederkehrende Lüge des Atomstaates, die wir entlarven müssen.

Was erwarten Sie von den kommenden Monaten?

Es gibt mittlerweile eine Rechtsgrundlage, die die Enteignungen theoretisch möglich macht. Einige haben bereits angekündigt, sich dagegen zu wehren. Etwa der Ort »La Gare« (von Akw-Gegnern aufgekauftes Gelände des alten Bahnhofs von Luméville und Teil der künftigen Strecke für Atommülltransporte, jW), auf dem schon viele größere Versammlungen stattgefunden haben, dürfte mittelfristig der Schauplatz einer handfesten Auseinandersetzung werden. Im kommenden Jahr ist jedenfalls mit einer Zuspitzung der Konflikte um Bure zu rechnen.

Was würde mit den Gemeinden passieren, sollte das Endlager tatsächlich gebaut werden?

Zumindest das halbe Dutzend Dörfer in der Umgebung des jetzigen Feldlabors Bure sind existenziell bedroht. Die Andra will, dass der Bezirk Meuse ein totes Land wird. Da tauchen dann Karten auf, auf denen die Namen der Dörfer nicht mehr vorkommen. Dieser Landstrich könnte einer Mondlandschaft ähneln, sollte der Atomstaat Erfolg haben.

June Ferrand ist aktiv in der Vereinigung »Front juridique contre Cigéo« in Bure im Nordosten Frankreichs

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.