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Aus: Ausgabe vom 22.03.2024, Seite 6 / Ausland
Irland

Varadkar stürzt sich selbst

Irland: Konservativer Regierungschef tritt zurück. Niederlage bei Referenden wohl ausschlaggebend. Opposition will Neuwahlen
Von Dieter Reinisch
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»In mein eigenes Schwert gestürzt«: Leo Varadkar am Mittwoch in Dublin vor seiner Rücktrittserklärung

Die Rufe nach sofortigen Neuwahlen werden lauter in Irland. Denn am Mittwoch verkündete völlig überraschend Regierungschef Leo Varadkar seinen Rücktritt. Er werde noch bis zur Übernahme durch einen Nachfolger das Amt und den Posten des Parteichefs der konservativen Fine Gael (FG) weiterführen. Varadkar hatte es nicht geschafft, FG aus dem Umfragetief zu holen, seit er am 17. Dezember 2022 zum zweiten Mal das Amt übernommen hatte. Schlussendlich dürfte ihm die Niederlage in zwei Verfassungsreferenden am 8. März zum Rücktritt bewogen haben. Varadkar hatte sich die Umformulierung zweier rückständiger Verfassungsartikel als sein persönliches politisches Ziel gesetzt.

Im offiziellen Statement sprach Varadkar nur von »persönlichen und politischen Gründen«, die ihm zum Rücktritt bewogen hätten. Deutlicher wurde er bei einem internen Parteitreffen, bei dem er seine FG-Kollegen über seinen Schritt informierte. Wie die Tageszeitung Irish Independent am Donnerstag berichtete, soll er gesagt haben: »Ich habe niemanden gefunden, der mir in den Rücken sticht, also bin ich in mein eigenes Schwert gestürzt.«

Varadkars Rezept als jüngsten und erste migrantischen Regierungschef Irlands: Identitätspolitik, konservative Sozialpolitik und neoliberale Wirtschaftspolitik. Fine Gaél war 1933 aus der Vereinigung der faschistischen Blauhemden mit zwei anderen rechten Parteien hervorgegangen.

Bei Varadkars Antritt zu seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2020 als Taoiseach (so das gälische Wort für das Amt des Premiers) galt er als die große Hoffnung der Partei, die seit 2011 an der Regierung ist. 2016 hatte die Partei fast elf Prozentpunkte verloren, nachdem sie 2011 noch über 36 Prozent erhalten hatte. Zur Halbzeit der Regierung aus FG, Fianna Fáil (FF) mit dem kleinen Mehrheitsbeschaffer der Grünen übernahm Varadkar 2020 das Amt des Regierungschefs von FF-Chef Micheál Martin, wie im Koalitionsabkommen festgeschrieben. Bereits da lagen die ehemaligen konservativen Großparteien – mit enormen Abstand hinter der republikanischen Sinn Féin (SF) – in den Umfragen nur auf Platz zwei und drei. Varadkar konnte in den vergangenen 15 Monaten FG zwar in den Umfragen stabilisieren und den Abwärtstrend stoppen, die rund zehn Prozent Rückstand auf SF konnte er nicht aufholen. Der politische Kommentator Gerrard Howlin drückte es am Donnerstag im öffentlich-rechtlichen Radio RTÉ so aus: »Es war nicht mehr klar, wer Fine Gael ist, wofür Fine Gael eigentlich steht.«

Eine neuerliche Rückkehr Varadkars in die Politik schließen Beobachter aus. Er reiht sich damit wohl in die Liste konservativer und liberaler Jungpolitiker ein, wie Sebastian Kurz in Österreich und Sanna Marin in Finnland, die im letzten Jahrzehnt hochgejubelt wurden und dann rasch gefallen sind.

Die größte Chance, Nachfolger von Varadkar an der Spitze von Regierung und FG zu werden, hat Wissenschaftsminister Simon Harris. Auch Minister Pascal Donohoe und die ehemalige Justizministerin Heather Humphreys werden genannt. Bis Montag mittag haben Kandidaten Zeit, sich zu bewerben. Auch Varadkars Nachfolger wird die Partei jedoch kaum aus dem Umfragetief holen können. Laut einer aktuellen Umfrage von RTÉ hält mehr als die Hälfte der Wähler Varadkar für den besten FG-Kandidaten. Handelsminister Simon Coveney hat zwar ebenfalls gute Zustimmungswerte, sagte aber bereits am Mittwoch ab. Er hatte bereits versucht, FG-Chef zu werden. Medienvertretern erklärte der Minister am Mittwoch: »Ich hatte schon einmal meine Chance und bin unterlegen.« Harris trauen das Amt nur 28 Prozent zu.

Die Opposition fordert sofortige Neuwahlen. Oppositionsführerin Mary Lou McDonald (SF) sagte auf RTÉ: »Wir haben bald drei Regierungschefs in vier Jahren, das ist nicht zu akzeptieren.« Auch politische Beobachter glauben nicht, dass die Koalition bis nächsten März halten wird. Dann endet die Legislaturperiode.

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