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Aus: Ausgabe vom 22.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Rohstoffpolitik

Gasstreit unter Nachbarn

Österreich: Grünen-Politikerin beklagt Verteuerung der Energieimporte durch Gasspeicherumlage der Bundesrepublik
Von Knut Mellenthin
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Durch die BRD-Umlage werde der Erdgasimport zu teuer, heißt es von der österreichischen Energieministerin

Österreich mache Deutschland »mitverantwortlich« für seine anhaltende »Abhängigkeit von russischem Gas«, hieß es am Mittwoch in deutschen Medien. Hintergrund der Meldungen waren Äußerungen der Wiener Energieministerin Leonore Gewessler am Vortag. Die Grünen-Politikerin hatte die deutsche Gasspeicherumlage als wesentliche Ursache dafür angeführt, dass Österreich seine Erdgasimporte fast vollständig aus Russland bezieht.

Die seit August 2022 geforderte Gebühr, die fortan schon zweimal angehoben wurde, verteuere alternative Importmöglichkeiten, die für das Binnenland Österreich hauptsächlich über den deutschen Nachbarn laufen müssten, stellte Gewessler sachlich richtig fest. Außerdem sei die Umlage, von der neben deutschen Privatverbrauchern und gewerblichen Nutzern auch ausländische Importeure betroffen sind, »nicht vereinbar mit EU-Recht«.

Dass die deutsche Maßnahme den Verzicht auf russisches Erdgas erschwert und gefährdet, hatte Anfang März auch schon die EU-Energiekommissarin Kadri Simson beklagt. Sie sei deswegen »in Kontakt mit den deutschen Behörden«, sagte die estnische Politikerin. Dass Gewessler jetzt diese Kritik ohne sofort erkennbaren äußeren Anlass aufgriff, könnte darin begründet sein, dass am selben Tag die Gültigkeit des Konzepts der deutschen Agentur Trading Hub Europe (THE), das vom 29. Juli 2022 stammt, seitens der Bundesregierung bis zum 1. April 2027 verlängert wurde, was in deutschen Medien nur wenig Beachtung fand. Außerdem steht bis spätestens zum 1. Juli des laufenden Jahres die nächste Erhöhung der Gasspeicherumlage an, durch die über Deutschland laufende Gasimporte noch teurer werden.

Die THE ist Empfängerin der durch die Umlage hereinkommenden Finanzmittel. Sie ist praktisch Teil des deutschen Regierungsapparats, ähnlich wie die Bundesnetzagentur, der sie formal unterstellt ist. Die THE entstand durch einen von der Bundesregierung dirigierten Zusammenschluss von elf Gasleitungsnetzbetreibern, der am 1. Juni 2021 in Kraft trat. Zu den Aufgaben der Agentur als sogenannte Marktgebietsverantwortliche gehören unter anderem das Management der Beschaffung und des Verkaufs von Energieträgern einschließlich des Betriebs der Leitungsnetzwerke. Hinzugekommen ist im Laufe des Jahres 2022 im Zuge des Verzichts auf den Import von Erdöl und Erdgas aus Russland auch die Gewährleistung der »Versorgungssicherheit«. Diese muss sich insbesondere an genauen Vorgaben der Bundesregierung für die Füllstände der Gasspeicher zu bestimmten Zeitpunkten orientieren.

Um diese Vorgaben zu erfüllen, muss die THE je nach den Umständen fehlendes Gas einkaufen oder »überschüssiges« Gas abstoßen. Dabei entstehen erhebliche Verluste, zu deren Ausgleich die Gasspeicherumlage erhoben wird. Kritiker sagen, dass die THE – vielleicht durch die bürokratischen Vorgaben mehr oder weniger gezwungen – oft Gas kauft, wenn die Preise außergewöhnlich hoch sind, und wieder verkauft, wenn die Preise niedrig sind.

Schon im Sommer vorigen Jahres hatten Nachbarländer, die Erdgas über die BRD beziehen, eine Verdreifachung der Umlage beklagt. Österreichische Abnehmer müssten dadurch 115 Millionen Euro Importgebühr zahlen, Schweizer Kunden 67 Millionen und tschechische sogar 242 Millionen, hieß es am 7. Juli 2023 auf der Website Energate Messenger. In Österreich sind hauptsächlich die westlichen Bundesländer Tirol und Vorarlberg betroffen, die zumindest damals ausschließlich über das deutsche Gasnetz versorgt wurden.

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