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Aus: Ausgabe vom 22.03.2024, Seite 1 / Kapital & Arbeit
Konflikt im Maghreb

Gerichtshof widersprüchlich zu Westsahara

Generalanwältin des EuGH legt Gutachten vor und weicht von etablierter Rechtsprechung ab
Von Jörg Tiedjen
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Kundgebung für die Freiheit der Westsahara und gegen die Komplizenschaft mit der Besatzungsmacht Marokko (Madrid, 19.6.2021)

Bei den Sahrauis und ihren Unterstützern herrscht Ratlosigkeit. Am Donnerstag veröffentlichte die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg, Tamara Ćapeta, zunächst in Auszügen ihre Beurteilung mehrerer Klagen der Polisario-Front. Diese hatte beanstandet, dass sich die Gültigkeit der zwischen der EU und Marokko geschlossenen Handels- und Fischereiverträge auch auf die von dem nordafrikanischen Königreich besetzte Westsahara erstrecken soll.

In der ersten Instanz hatte das Gericht die Abkommen gekippt. Doch Brüssel hatte dagegen Widerspruch eingelegt. Jetzt geht es um den abschließenden Entscheid. Der ist zwar erst in ein paar Monaten zu erwarten. Aber normalerweise deckt er sich mit dem, was die Chefankläger ankündigen – und das weicht erheblich von den vorigen Urteilen ab. Demnach plädiert Ćapeta dafür, im Fall des Fischereiabkommens der Klage der Polisario-Front nachzugeben. Was aber das Handelsabkommen angeht, soll sie abgewiesen werden.

Erstaunlich ist die Begründung. So spricht Ćapeta plötzlich der Polisario-Front ab, die »offizielle oder anerkannte« Vertretung der Sahrauis zu sein. Außerdem heißt es, dass Marokko aus Sicht der EU »Verwaltungsmacht der Westsahara« sei und es daher keinen Rechtsverstoß darstelle, wenn Rabat im Namen der Sahrauis Abkommen mit Brüssel abschließe.

Das Netzwerk Western Sahara Resource Watch (WSRW) äußerte Erstaunen über die Ankündigung des Gerichts. »Wir sind verwirrt über die offensichtliche Abweichung der Schlussanträge der Generalanwältin von der etablierten EU-Rechtsprechung. Aber wir sind zuversichtlich, dass der Gerichtshof in seiner endgültigen Entscheidung das Recht auf Selbstbestimmung aufrechterhalten wird«, sagte Tim Sauer von WSRW gegenüber jW.

Sollten aber die Urteile am Ende so ausfallen, wie es sich jetzt abzeichnet, würde in der EU ein anderes Recht gelten als auf Ebene der UNO oder der Afrikanischen Union. Beide Institutionen erkennen die Polisario-Front seit langem als legitime Repräsentantin der Sahrauis an und haben sämtliche Ansprüche Marokkos auf die Westsahara zurückgewiesen.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (21. März 2024 um 21:49 Uhr)
    Was die westliche Wertegemeinschaft als Recht ansieht, liegt allein in deren Ermessen. Was da nicht rechtgenehm ist, wird recht(s)passend gemacht. Eine Biegung nach rechts und schon passt das rechte Recht. Irgend eine rechtfertigende Erklärung findet sich stets, das wird man in Kürze auch feststellen müssen, wenn das russische Staatsvermögen mit juristisch gedrechselten Worten »rechtfertigend« einfach abkassiert wird. Die modernen Raubritter, die modernen Wertemenschen des Staatsapparates, haben da viel Phantasie im Auslegen des Rechts in ihrem Sinne.

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