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Aus: Ausgabe vom 21.03.2024, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Ein Irrtum

Zu jW vom 16./17.3.: »Asylantrag gescheitert«

Wenn Sahra Wagenknecht gegenüber der Presse über Flüchtlinge erklärt, »dass der Staat nach einer Ablehnung dieselben Leistungen weiterzahlt, ist dem Steuerzahler nicht erklärbar« und dass es faktisch keinen Unterschied mache, ob man als schutzberechtigt anerkannt wird oder nicht, so muss ich ihr bei aller Wertschätzung und auch als BSW-Mitglied zurufen:

Liebe Sahra, hier liegst Du falsch.

Wer als Flüchtling oder als subsidiär Schutz­berechtigter anerkannt worden ist, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis und wird damit leistungsberechtigt nach dem SGB II oder SGB XII, wenn er ohne Erwerbsarbeit ist. Das bedeutet ab 1. Januar 2024 monatlich 563 Euro plus Kosten der Unterkunft.

Wenn jemand nicht anerkannt wird, bekommt er in der Regel eine Duldung, was Aussetzung der Abschiebung bedeutet, und deutlich geringere Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungs­gesetz, das auch für abgelehnte Asylsuchende gilt.

Bei der Höhe der Leistungen muss man zwei Fälle unterscheiden: Wenn die Abschiebung aus Gründen nicht möglich ist, die der abgelehnte Asylsuchende nicht zu vertreten hat, bekommt er ab 1. Januar 2024 monatlich 460 Euro plus Kosten der Unterkunft. Wenn die Abschiebung nicht möglich ist, weil der abgelehnte Asylsuchende die Schwierigkeit der Abschiebung selbst herbeigeführt hat, er z. B. keinen Reisepass besorgt oder den Reisepass versteckt oder weggeworfen hat, reduziert sich die Leistung nach § 3a Abs. 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes auf den notwendigen Bedarf, also das physische Existenzminimum, was monatlich 256 Euro plus Kosten der Unterkunft ausmacht, wobei diese deutlich reduzierten Leistungen auch als Sachleistung gewährt werden können.

Kürzungen unter diese Grenze sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gar nicht möglich, weil sie der Menschenwürde (Art. 1 GG) und dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 GG) widersprechen würden.

Entgegen Deiner Darstellung macht es schon Sinn, sich um einen anerkannten Schutzstatus zu bemühen. Wenn Du Ungerechtigkeiten im System auf Kosten des Steuerzahlers ansprechen willst, dann würde ich einmal die ukrainischen Flüchtlinge in den Blick nehmen. Die müssen nämlich gar kein Asylanerkennungsverfahren durchlaufen und bekommen im Fall der Erwerbslosigkeit seit dem 1. Juni 2022 Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII wie Deutsche, also jetzt 563 Euro plus Kosten der Unterkunft, also deutlich mehr als alle anderen Flüchtlinge, die aus Kriegsgebieten kommen.

Hans-Henning Adler (Rechtsanwalt), per E-Mail

»Moralisierende Aufregung«

Zu jW vom 2./3.3.: »Wurzeln der Gewalt«

Auf der Leserbriefseite der jW vom 16./17. März 2024 beschäftigt sich Dieter Max Crusius mit einem früheren Leserbrief von mir. Er zitiert Engels: »Es wurde bewiesen, dass die Aneignung unbezahlter Arbeit die Grundform der kapitalistischen Produktionsweise und der durch sie vollzogenen Ausbeutung ist.« Er fährt fort: »Was ist das anderes als Diebstahl?« Das ist eine rhetorische Frage, kein Argument.

Für den Autor scheinen Aneignung und Diebstahl offenbar identische Begriffe zu sein. Implizit unterstellt er, dass Engels hinsichtlich der Ausbeutung eine andere Meinung hätte als Marx. Dem ist nicht so. Bezüglich des »formal korrekten Vertrages« schreibt er, dies sei »ein Witz aus der (neo)liberalen Mottenkiste«. Auch hier: moralisieren anstelle von argumentieren. Die saure Arbeit des Gedankens wird ersetzt durch moralisierende Aufregung.

Im Produktionsprozess des Kapitals schließt der doppelt freie Lohnarbeiter einen formal korrekten Vertrag zum Verkauf der Ware Arbeitskraft ab. Der Kapitalist zahlt ihm den Wert der Ware Arbeitskraft. Im Gebrauch der Ware Arbeitskraft reproduziert sie ihren eigenen Wert, aber darüber hinaus wird Mehrarbeit geleistet und Mehrwert geschaffen. Die Aneignung unbezahlter Arbeit als die Grundform der kapitalistischen Produktionsweise und der durch sie vollzogenen Ausbeutung geschieht auf der Grundlage eines formell korrekten Arbeitsvertrages zwischen dem Kapitalisten und dem doppelt freien Lohnarbeiter.

Es ist ja gerade die Stärke des Kapitalismus, dass er so emotionsfrei funktioniert und man sich als mitfühlender Mensch noch so sehr über die Auswüchse des Kapitalismus aufregen kann. Solange die Ausbeutung als Kernprozess des Kapitalismus funktioniert, wird es schwierig, eine nachkapitalistische Gesellschaft zu errichten. Eine solche Gesellschaft müsste ja nicht nur ohne Ausbeutung funktionieren, sondern auch eine höhere Arbeitsproduktivität, eine höhere Produktivität der menschlichen Arbeitskraft aufweisen. Die Versuche des sowjetischen Systems haben beide Aufgaben nicht lösen können, was aber nicht heißt, dass die Aufgabe generell unlösbar wäre.

Bernd Vogel, Leipzig

»Gedrilltes Soldatenmaterial«

Zu jW vom 18.3.: »Früh übt sich«

Ich fasse es nicht, dass ich das zweite Mal in meinem Leben mit diesem Unsinn von »schulischer Wehrertüchtigung« konfrontiert werde. Meines Erachtens standen von dem ansonsten gut aufgestellten Schulsystem der DDR gerade dieses »Schulfach« ebenso wie der indoktrinäre Staatsbürgerkundeunterricht zu Recht in der Kritik. Im Sinne einer vernünftigen Allgemeinbildung ist das jedenfalls nicht. Und dann noch Beifall vom Lehrerverband? Ich hoffe doch, dass das nur eine Einzelmeinung eines Funktionärs und nicht die Forderung der Lehrer generell ist. Aber vermutlich braucht ein »kriegstüchtiger Staat« schon in jungen Jahren gedrilltes Soldatenmaterial, ansonsten kann man ja keine Kriege – gegen wen auch immer – führen. Wann bitte hört dieser Wahnsinn auf?

Sabine Bessel, Hamburg

Die Aneignung unbezahlter Arbeit (…) geschieht auf der Grundlage eines formell korrekten Arbeitsvertrages zwischen dem Kapitalisten und dem doppelt freien Lohnarbeiter.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Mathilde Furtner F. aus Berlin (22. März 2024 um 16:40 Uhr)
    Heute habe ich mal den Link (www.jungewelt.de/kolumne/8.schlagworte.html) zur Serie von »Rotlicht« in der JW getestet. 2019 fand ich auch das Wort »Rotlicht« als Schlagwort erläutert. Immerhin gibt es diese Rubrik schon seit 2014 und ist ein toller Fundus. In der DDR bekamen wir in den Betrieben in regelmäßigen Abständen unser »Rotlicht«. So nannten wir die Veranstaltungen der politischen Bildung intern für Kolleginnen und Kollegen, die nicht in der SED waren. In den Fluren bzw. Raucherecken fanden oft sehr »heiße« Diskussionen statt. Das war oft viel spannender. Die Genossen nahmen dafür regelmäßig an den Partei-Lehrjahren teil. Die Rubrik »Rotlicht« in der JW zu finden ist toll. Mit diesem Link kann ich nun die ganze Serie bis 2014 zurückverfolgen. Aber es wäre meiner Meinung nach sehr schön, wenn man auch hier noch nach bestimmten Schlagwörtern suchen könnte.