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Aus: Ausgabe vom 21.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der Löwensprung ins Vergangene

Goldene Zeiten in »Ghostbusters: Frozen Empire«
Von Peer Schmitt
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Eine feste Burg in der New Yorker Eiswüste: Die Feuerwehrwache der Ghostbusters

»Can mortal vision see the dead and living in the solitudes of the Frozen Deep?«

Wilkie Collins, »The Frozen Deep« (1856)

Es sind aufgeklärte Zeiten. Man glaubt lediglich an verhexte Kanaldeckel und Stimmen aus dem Jenseits, die unverständliche alte Dialekte mehr gurgeln als sprechen. Das Zweite Gesicht der Geisterseher ist nichts dagegen. Die arbeiten im Trödel­laden oder in der Stadt­bibliothek. Orte, an denen altvertraute Objekte nicht nur besessen werden, sondern animiert, also besessen sind.

Zunächst aber kommt die Spengler-Patchwork-Familie aus Oklahoma, wo sie 2021 in »Ghostbusters: Afterlife« auf eine eher pastorale Geisterjagd ging, endlich zurück nach New York, wo alles begonnen haben soll. Die ursprünglichen »Ghostbusters« von 1984 genauso wie die eisige »neue Mythologie«, die für diese neue Auflage – »Ghostbusters: Frozen Empire« – zusammengebastelt wurde. Neue Mythologie, neue Geister. Natürlich müssen sie enttäuschen, so formelhaft, wie sie sind, und alles andere als neu sowieso: Ein antikes Objekt aus dem Trödelladen enthält etwas, das besser weggesperrt geblieben wäre, weil es, wie so oft, gottgleich ist (also uralt) und sehr zerstörerisch. Zerstörerisch wie das Eis in Robert Frosts Gedicht »Fire and Ice« (Jahrgang 1920), das im Vorspann des Films als Motto herhalten muss: »I think I know enough of hate / To say that for destruction ice / Is also great / And would suffice.« Um das Hinreichen der Schulbuchweisheiten und das Wegsperren des Verdrängten aber ist es bei den »Ghostbusters« von Anfang an gegangen.

Die Spengler-Familie fährt in ihrem Cadillac ­Miller-Meteor-Kombi (Jahrgang 1959) wieder auf den Straßen von Manhattan und jagt zum Aufwärmen einen eisblauen »Hell’s Kitchen sewer dragon«, bevor sie wieder in die alte Feuerwache einzieht, wo alles seinen Anfang nahm und die Geister in den Sondermüllcontainer kommen, der allerdings längst renovierungsbedürftig ist. »Renovierung« war schon eines der wichtigen Themen des 1984er Films. Er zeigte ein New York des »urban renewal«, der allmählichen Gentrifizierung, nach den Verheerungen der 70er, dem städtischen Haushaltsruin und dem gigantischen Immobilienausverkauf an nationale und internationale Großkonzerne: »Der Faustische Handel, den New York (und andere amerikanische Städte) mit dem Kapital eingingen, ist ungefähr derselbe, auf den sich der Bürgermeister und die Stadt in dem Film mit den Ghostbusters einlassen« (Ralph Clare, »­Fictions Inc. The Corporation in Postmodern Fiction, Film, and Popular Culture«, 2014). Und wen repräsentieren die weggesperrten Geister? Niemand anderen als die aus dem Stadtzentrum verjagten armen Schlucker und Minoritäten natürlich, die guten alten Kanalisationsdrachen aus Hell’s Kitchen.

So war das im goldenen Reagan-Zeitalter, und »Ghostbusters« sein goldener Film. Ein Hymnus auf das freie Unternehmertum, zu dem arbeitslose Nischenakademiker sich durchringen, um die Stadt zu retten, während nörgelnde Bürokraten von der Umweltschutzbehörde als böse Trottel hingestellt werden, nur weil sie es bedenklich finden, dass auf den New Yorker Straßen von Kleinkapitalisten mit selbstgebastelten Nuklearwaffen herumgeballert wird.

Im neuen Film ist aus dem nörgeligsten aller Bürokraten (William Atherton) sogar der Bürgermeister geworden, und der möchte der noch minderjährigen Spengler-Enkelin Phoebe (Mckenna Grace) verbieten, sich als professionelle Geisterjägerin zu betätigen. Es gibt schließlich Gesetze gegen Kinderarbeit usw.

Die adoleszente Phoebe spielt weiterhin Schach mit den freundlichen Geistern, reißt Physik-Nerd-Witze und steht im Zentrum dieser »Ghostbusters«-Auflage, in der es neben Trödelkram und Geistern auf dem Dachboden immer wieder um Familienzusammenführung und Altersversorgung (Dan Aykroyd, Bill Murray und Ernie Hudson sind weiterhin dabei) gehen muss. Zumindest so tief wäre man 1984 aber nicht gesunken, Phoebes älteren Bruder Trevor (Finn Wolfhard) auf den Dachboden zu schicken, um laut »kein Gespenst in meinem Zimmer« zu murmeln und das grüne Schleimgespenst mit einer Packung Cheetos-Knabberzeug anzulocken. Das Product placement ist so schamlos wie immer, und man ist gut berichtet, wenn man über die Gespenster weiß, »dass man sie gut auffüttern kann« (Kafka).

Besonders gut im Futter standen sie im »gilded age« der Stadt, als die herrschende Klasse ihre Privilegien noch ohne Schuldgefühle und mit aggressiver Lüsternheit zur Schau stellen durfte. Der Geist, der in dem Film die Stadt buchstäblich einfriert, trat erstmalig auf den Feierlichkeiten einer Adventurer’s Society um 1904 auf (einen echten, nicht eingefrorenen »Adventurers’ Club of New York« der Literaten gab es ab 1912). Zu jener Zeit dürfte die Einkommensungleichheit in den USA noch höher gewesen sein als 1984 oder gar heutzutage, da man ein wenig Zuckerguss auf der Eistorte für unverzichtbar hält, obwohl die nackten Zahlen für die meisten kaum ein Stückchen übriglassen davon.

Welches Zeitalter nun als vergoldeter gelten kann als die Konkurrenz, darf weiterhin in der Bibliothek erkundet werden, wo die Ghostbusters ihre erste Erscheinung hatten. Eine Schlüsselszene des Films: Die New York ­Public Library wird bekanntlich von zwei Marmorlöwen bewacht. Patience und Fortitude heißen sie (Geduld und Stärke). Ein Gespenst, das jedes unbelebte Objekt in ein besessenes verwandeln kann, belebt auch einen der Löwen. Der Kampf gegen den besessenen Marmorlöwen aus dem »gilded age« (Jahrgang 1911) ist nicht nur offensichtlich allegorisch (die vergangenen Privilegien sind reanimiert), es ist auch eine offensichtliche Anspielung auf die »Montage-Metapher« des aufbrüllenden Löwen in Sergej Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin« (1925). Sie markiert zugleich den Unterschied zwischen Montage und digitaler Simulation (zwischen Film und Postcinema, wenn man so will).

Eisensteins Löwe hat sich noch in horizontaler Montage mehrerer Aufnahmen verschiedener Löwendenkmäler zu einer Simulation von Bewegung aufgerichtet. Das New Yorker Bibliotheksdenkmal hingegen besteht aus programmierten Bildpartikeln, die sich gleichsam zum Geist digitaler Bewegungssimulation zusammenfügen. Der Löwensprung ins Vergangene geht entsprechend ins Leere. Das digitale Löwenabbild zerspringt wieder in unzählige Einzelteile. Diese Auflösung in unzählige Partikel ist in dem Film wiederum das Schicksal vieler Gespenster, die über ihre Existenz durchaus im Zweifel sind.

»Ghostbusters: Frozen Empire«, Regie: Gil Kenan, USA/Kanada 2024, 115 Min., Kinostart: heute

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