4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Verlag »Der Schelm«

Pure Propaganda

Neonaziverlag »Der Schelm«: Angeklagte gestehen in Prozess, Gründer auf der Flucht
Von Henning von Stoltzenberg
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Einer der Angeklagten im Gerichtssaal in Dresden (14.3.2024)

Judenhass, Holocaustleugnung und faschistische Ideologie: Über Jahre hinweg hat der 2014 in Leipzig gegründete neonazistische Verlag »Der Schelm« Tausende Bücher zu diesen Themen verbreitet. Darunter befand sich auch die unkommentierte Ausgabe von Hitlers »Mein Kampf«. Dafür müssen sich aktuell zwei Männer im Alter von 40 und 37 Jahrn sowie eine 38jährige Frau vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung« verantworten. Laut Mitteilung des Generalbundesanwalts (GBA) zur Festnahme 2022 war der Zweck des Verlags, eine »nationalsozialistische und antisemitische Ideologie« zu verbreiten. Nach zwei Prozesstagen haben alle Angeklagten die Vorwürfe gestanden und sich zu ihren politischen Ansichten geäußert, wie der MDR am Freitag berichtete. Mutmaßlicher Gründer und Hauptverleger ist demnach der mehrfach verurteilte Neonazi Adrian Preißinger, der sich ins Ausland abgesetzt haben soll. Nach dem 1964 im oberfränkischen Kronach geborenen Mann wird aktuell mit internationalem Haftbefehl gefahndet, er ist Angeklagter in einem gesonderten Verfahren.

Der Hauptsitz des Verlagshauses soll von Leipzig nach Tschechien verlegt worden sein, inzwischen befindet er sich im thailändischen Wichian Buri. Der flüchtige Preißinger wird laut Behörden in Russland vermutet, von wo aus er über das Internet weiter faschistische Bücher verbreiten soll. Auf seiner Internetseite wird dagegen eine Adresse in Thailand angegeben. Die zwischen 2018 und 2020 im Ausland gedruckten Bücher des »Schelm«-Verlags wurden laut dem in Dresden angeklagten Matthias B. bis zu 70 Prozent über Amazon und Thalia verkauft.

Am Donnerstag hatten er und der ebenfalls angeklagte Enrico Böhm, ehemaliger Leipziger NPD-Stadtrat, ihre Beteiligung am »Schelm«-Verlag gestanden. B. habe dort Bücher gesetzt und die Kommunikation mit anderen Verlagshäusern geleitet. Gedruckt habe man in Osteuropa, gelagert worden seien die Bücher unter anderem im sächsischen Bad Lausick. Die Hauptschuld gab er dem mutmaßlichen Gründer des Verlags, Preißinger. Nach seiner Verhaftung hatte B. nach eigener Aussage umfangreich ausgesagt, Namen involvierter Personen genannt und Daten des Chefverlegers bereitgestellt. Nach eigenen Angaben beteiligt er sich inzwischen an dem »Aussteigerprogramm« Exit und befindet sich in psychologischer Behandlung. Enrico Böhm hatte sich beim selben Termin zur Anklage geäußert und versucht, seine Beteiligung herunterzuspielen. Mit der »ganzen Maschinerie dahinter« habe er »nichs zu tun gehabt«. Laut Bundesanwaltschaft soll er eine »herausgehobene Funktion« in der Vereinigung innegehabt haben.

Auch die dritte angeklagte Person, Annemarie K., äußerte sich – beim Prozesstermin am Freitag – zu den Vorwürfen. Sie räumte ebenfalls ein, den Verlag durch das Lagern und Versenden von Büchern unterstützt zu haben. Über ihren Namen sind demnach mehrere DHL-Konten angemeldet worden. Daneben habe sie dabei geholfen, eine Lagerhalle für Buchbestände zu finden. Dabei hat sie laut eigenen Angaben einige der Bücher teilweise oder vollständig gelesen. Das 1939 in Der Stürmer erschienene antisemitische Kinderbuch »Der Giftpilz« bezeichnete K. als »pure Propaganda«, mit anderen Büchern habe sie mehr anfangen können. Über ein Buch zur »Rassenpolitik« während des deutschen Faschismus sagte sie: »An einigem davon ist ja auch was dran.«

Der nächste Prozesstag ist für diesen Mittwoch angesetzt. Als Beweise sollen Gutachten vorgelegt werden, die sich mit den laut Anklage volksverhetzenden Aussagen der verlegten Bücher befassen. Der Anklage ist zu entnehmen, dass der Verlag im genannten Zeitraum einen Umsatz von mehr als 800.000 Euro erwirtschaftet hat. Im Dezember 2020 wurden bei Razzien im sächsischen Röderaue sowie in Brandenburg Bücher mit einem Verkaufswert von mehr als 900.000 Euro beschlagnahmt. Trotz des laufenden Prozesses ist der Vertrieb des Verlags über ausländische Server weiter in Betrieb.

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