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Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Biologie

Ein Kissen aus Stroh

Der Primatenforscher Frans de Waal ist tot
Von Michael Saager
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Frans de Waal (29. Oktober 1948 bis 14. März 2024)

Eines von Frans de Waals Büchern heißt »Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote«, erschienen ist es 2014. Der berühmte Primatenforscher verfolgt darin seinen sogenannten Bottom-up-Ansatz, der von »unten« nach »oben« führt – von den Ursprüngen zur soziokulturellen Ausdifferenzierung. De Waals Kernthese lautet: Moralität sei nicht über die Verordnung einer Gottheit in die Welt gekommen, sondern komme von unten bzw. innen. Mehr noch, sie stecke bereits in den prosozialen tierischen Verhaltensdispositionen und äußere sich hier in Verhaltensweisen, die wir Menschen moralisch nennen.

De Waal, der am 14. März in Atlanta mit 75 Jahren an Krebs starb, arbeitete gern beispielhaft, tierische Dramen und Liebesgeschichten schätzte er besonders. Eine seiner liebsten Protagonistinnen in »Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote« ist die Schimpansin Daisy, die sich rührend um ihren todkranken Artgenossen Amos kümmert, indem sie ihm etwa ein Kissen aus ihrem Lieblingsstroh zurechtlegt, an das er sich anlehnen kann. Das sei nicht einfach nur nett, meint de Waal, sondern ein Akt von Empathie im Sinne der Perspektivenübernahme. Zusammen mit der Fairness, einem Grundgefühl dafür, was richtig ist und falsch, das de Waal ebenfalls bei den Menschenaffen ausmacht, habe man so die zwei tragenden Säulen des komplexen Regelsystems Moral beisammen.

Psycho- und soziologisch, mithin philosophisch ist es wohl etwas komplizierter, zumal in Fragen der Moral. Deutlich wird hier aber recht gut, um was es dem in den Niederlanden geborenen Autor in nahezu sämtlichen seiner zahlreichen Studien über Konfliktlösung, Versöhnung, Zusammenarbeit, Mitgefühl, Fairness, soziales Lernen und Kultur bei Schimpansen, Bonobos und Kapuzineraffen ging. Mit den Abschiedsworten der Emory-Universität in Atlanta: »De Waal zerschmetterte lang gehegte Vorstellungen davon, was es bedeutet, ein Tier oder ein Mensch zu sein.« In einem Interview aus dem Jahr 2014 sagte es der Verhaltensforscher so: »Am Ende überschätzen wir die Komplexität dessen, was wir tun.« Seine Karriere ließe sich wie folgt zusammenfassen: »Ich habe die Affen ein bisschen näher an die Menschen herangeführt, aber ich habe die Menschen auch ein bisschen heruntergeholt.«

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