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Aus: Ausgabe vom 20.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Massentourismus

Privatisierung am Rio Chíllar

Rechte Regierung Andalusiens plant Kommerzialisierung eines beliebten Ausflugsziels. Dagegen regt sich jetzt Protest
Von Florian Osuch, Málaga
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Früher floss hier Wasser: Rio Chíllar in Nerja, März 2024

An der südspanischen Costa del Sol wächst die touristische Infrastruktur ungebremst. Östlich und westlich von Málaga entstehen immer neue Villen, Hotels aller Preisklassen oder ganze Siedlungen, sogenannte Urbanizaciónes. Doch Strand und Meer reichen den Millionen Gästen oft nicht aus. Neue Attraktionen müssen her.

Natur liegt im Trend. Wandern würde sich anbieten, die Gipfel im Hinterland sind bis zu 2.000 Meter hoch. Doch das ist schon im Frühjahr eine schweißtreibende Angelegenheit. Deshalb sind Besuche der wenigen noch wasserführenden Binnengewässer beliebt. Auf sie gab es in den vergangenen Jahren einen regelrechten Ansturm. Derlei Naturbadeplätze waren lange ein Geheimtip, bis sie aggressiv beworben wurden und in keinem Reiseführer mehr fehlen.Die Folgen sind verheerend. Zum Rio Chíllar, etwa 80 Kilometer östlich von Málaga, pilgerten bis zu dreitausend Besucher täglich. Die Wanderung im Chíllar flussaufwärts, teils im knietiefen Wasser, durch Kaskaden und Gumpen ist tatsächlich spektakulär. Das Ergebnis des Massenansturms: menschliche Hinterlassenschaften in Form von Müll und Fäkalien. Außerdem vom Grillen und illegalen Campen, obwohl der Fluss in einem geschützten Naturpark liegt. Schichten von Sonnencreme überzogen das zuletzt immer dürftiger fließende Wasser, das dem Chíllar bereits kurz nach seiner Quelle für den Tourismus und die Landwirtschaft entnommen wird. In der von extremer Trockenheit betroffenen Provinz werden die Plantagen tropischer Früchte wie Bananen, Avocado und Papaya ganzjährig bewässert. An der Mündung des Chíllar in der Touristenhochburg Nerja ist das Flussbett auf wenige Meter verengt und betoniert. Wasser fließt dort nur an wenigen Tagen im Jahr und selbst nach längerem Regen nur noch als Rinnsal.

Die Stadtverwaltung in Nerja fordert von der Regierung Andalusiens seit mehreren Jahren eine Regulierung. Immer wieder war der Fluss für einige Zeit gesperrt, auch aufgrund von Protesten von Umweltschützern. Im Sommer vergangenen Jahres müssen die Zustände am Chíllar derart aus dem Ruder gelaufen sein, dass die Stadtvertretung von Nerja den Zugang zum Fluss gänzlich untersagte. Offizieller Grund: Waldbrandgefahr und fehlende Regulierung.

Andalusiens Regierung des rechten Partido Popular (PP) plant nun eine Kommerzialisierung des Chíllar. In einem Bieterverfahren haben mehrere Firmen Konzepte zu Bewirtschaftung vorgelegt. Ein Entwurf sieht die Begrenzung auf 500 Personen pro Tag sowie ein Besucherentgelt zwischen sechs und zwölf Euro vor. Die anderen Vorschläge unterscheiden sich hinsichtlich der täglich zugelassenen Besucher, Höhe des Entgelts, Öffnungszeiten, Gastronomie etc. Um eine Besucherführung in nur eine Richtung flussaufwärts zu ermöglichen, wird ein Bustransfer an einer Ausstiegsstelle in Erwägung gezogen. Dieser würde dann über einen erst vor wenigen Jahren für Privat-Pkw geschlossenen Forstweg ebenfalls durch den Naturpark führen. Mit öffentlichen Geldern soll ein Parkplatz gebaut werden.

Dagegen regt sich jetzt Protest. In Nerja wurden zahlreiche Plakate mit der Aufschrift »Nein zur Privatisierung« aufgehängt. Nach einer Unterschriftensammlung wurde am 5. März eine Onlinepetition gestartet. Die Initiatoren befürchten den Verlust des »integrativen und gemeinschaftlichen Wesens des Flusses«. Der Chíllar werde »zu einem exklusiven Ort für diejenigen, die es sich leisten können zu zahlen«. Abgelehnt wird die Limitierung des Zugangs zum Fluss, der stets ein »Zufluchtsort für alle war«.

Auch die Umweltschutzorganisation »Ecologistas en Acción« lehnt die Pläne der Kommerzialisierung ab. Durch sie verwandele sich der Chíllar »in einen Freizeitpark«, sagte Rafael Yus der Onlinezeitung El Diario. Yus ist Sprecher von »Ecologistas en Acción« im Gebiet Axarquía. Er hält eine kommerzielle Nutzung innerhalb eines durch öffentliche Gelder geförderten Naturparks insgesamt für unzulässig. Wie eine nicht privatisierte Nutzung funktionieren kann, zeigt der Naturpark Grazalema westlich von Málaga. Der Zugang ist dort aufgrund von Waldbrandgefahr stark beschränkt, jedoch nach vorheriger Onlineanmeldung bei der staatlichen Parkverwaltung kostenlos.

Für den Rio Chíllar fordert die Gruppe »Ecologistas en Acción« Studien, mit denen Daten erhoben werden, welche Aktivitäten den Fluss schaden und wie viele Besucher erträglich wären. Solange sich der Chíllar jedoch nicht von den Schäden des Massenansturms erholt habe, müsse der Zugang geschlossen bleiben. Für die Pflanzen- und Tierwelt wäre das wohl die beste Lösung.

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