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Aus: Ausgabe vom 19.03.2024, Seite 6 / Ausland
Corona und Korruption

4.000 Tote zuviel

Spanien: Rechte Madrider Stadtregierung hat alte und kranke Menschen während Pandemie vernachlässigt
Von Carmela Negrete
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Auch in Spanien wurden mit der Pandemie Geschäfte gemacht und Bevölkerungsgruppen wie Alte vernachlässigt (Madrid, o. D.)

Die Vorwürfe wiegen schwer. Wurden in den ersten Monaten der Coronapandemie in Madrid Senioren in öffentlichen Heimen eingesperrt und zum Sterben alleingelassen, ohne jegliche medizinische Hilfe? Das ist es, was der am Freitag veröffentlichte Bericht der sogenannten Bürgerschaftlichen Wahrheitskommission für die Madrider Heime (Comisión ciudadana por la verdad en las residencias de Madrid) der Stadtregierung unter der rechten Volkspartei-Politikerin Isabel Díaz Ayuso vorwirft. Die Kommission war ins Leben gerufen worden, nachdem Angehörige von Menschen, die in dieser Zeit gestorben waren, den Verdacht geäußert hatten, dass von der Regierung eine Anweisung ausgegangen sei, die älteren Menschen nicht ins Krankenhaus zu bringen, falls sie an einer Lungenentzündung litten, die auf Covid zurückzuführen war.

Zwischen März und April 2020 soll es in den öffentlichen Altenheimen Madrids eine höhere Übersterblichkeit als in ähnlichen Einrichtungen in anderen Regionen des Landes gegeben haben. Geschätzt 4.000 Todesfälle seien zusätzlich zu verzeichnen gewesen. Der Grund dafür soll genannte Anordnung gewesen sein. Das behauptet der Bericht der Kommission, der von Fernando Flores Giménez verfasst wurde, Professor am Institut für Menschenrechte sowie für Verfassungsrecht an der Universität Valencia. Präsident der Kommission ist ein emeritierter Richter am Obersten Gerichtshof, José Antonio Martín Pallín. Weitere Mitglieder sind María Victoria Zunzunegui Pastor, Expertin in Epidemiologie und pensionierte Professorin an der Schule für öffentliche Gesundheit der Universität von Montreal, sowie der Arzt und Experte für Gesundheitsmanagement und Verwaltung Fernando Lamata Cotanda, der Mitglied des Expertengremiums der EU-Kommission für Gesundheitspolitik war.

Die hochkarätig besetzte Kommission hat für ihren Bericht Heimbewohner, Angehörige, Mitarbeiter, Journalisten und weitere Zeugen befragt und offizielle Dokumente studiert. Aufgrund der Regeln für die sogenannte Triage soll demnach »die Überweisungen von Patienten aus Pflegeheimen in Krankenhäuser« drastisch eingeschränkt worden sein, und zwar »unter Verwendung diskriminierender Kriterien wie Wohnort, körperliche Behinderung oder kognitive Beeinträchtigung«. Zudem wird beanstandet, dass Ayusos Regierung während der Pandemie die Errichtung eines speziellen Krankenhauses für Coronapatienten genehmigt habe, dieses aber personelle Ressourcen benötigte, die dann in den Altenheimen fehlten. Rund tausend Ärzte seien aus den Pflegeeinrichtungen abbestellt worden, die ansonsten viele Leben gerettet hätten.

In dem Bericht wird darüber hinaus gefragt, wie es möglich sein kann, dass die Justiz in dem Fall bisher nicht tätig wurde: »Wie lässt sich das Fehlen einer gründlichen Untersuchung seitens der Behörden und der Staatsanwaltschaft angesichts von so schwerwiegenden Vorfällen erklären, die einen so starken Einfluss auf grundlegende Rechte von Menschen in einer Lage der Verwundbarkeit hatten?« Lediglich vereinzelt ist es Angehörigen gelungen, Prozesse gegen die Madrider Stadtverwaltung anzustrengen, wenn sie über entsprechende Beweise verfügten. Diese Verfahren laufen noch, für den Bericht der Wahrheitskommission wurden die Fälle ausgewertet.

Isabel Díaz Ayuso, die wegen ihrer verbalen Exzesse und ihres Stils in Spanien als weibliches Gegenbild zum US-amerikanischen Expräsidenten Donald Trump gilt, muss sich bereits seit Wochen Kritik gefallen lassen. Ihr Lebenspartner soll laut der Staatsanwaltschaft von Madrid möglicherweise Hunderttausende Euro an Steuern hinterzogen haben. Ihr Bruder handelte während der Pandemie mit Masken und erhielt Millionen Euro schwere Kommissionen von der Regierung seiner Schwester. Ayuso selbst sieht sich und ihre Angehörigen allerdings lediglich als Opfer einer fortlaufenden Rufmordkampagne.

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