Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 19.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Militarisierung

»Wissenschafts- und Technologiepolitik geht alle an«

Über den Einfluss des militärisch-industriellen Komplex in der Wissenschaft. Ein Gespräch mit Christoph Marischka
Von Milan Nowak
3.JPG
Forschen für den Krieg: Testflug einer Drohne im Labor der US-Luftwaffenbasis in Ohio (Dayton, 11.7.2011)

Warum haben Sie am Zivilklauselkongress in Frankfurt am Main teilgenommen?

Ich war ja als Referent eingeladen. Ich sehe mich aber auch schon seit gut fünfzehn Jahren als Aktivist der Zivilklauselbewegung – obwohl ich etwa genauso lange keine konkrete Anbindung mehr an Universitäten habe. Ich denke aber, die Fragen von Wissenschafts- und Technologiepolitik gehen alle an, insbesondere auch die Friedensbewegung, zu der ich mich ebenfalls zähle.

Sie sprachen auf einem Podium über den militärisch-industriellen Komplex. Wie übt dieser, auch ökonomisch, Einfluss auf Wissenschaft und Forschung aus?

Vielleicht wäre es richtiger, Wissenschaft und Forschung, speziell in Bereichen wie Informations- und Kommunikationstechnik, Luft- und Raumfahrt und so weiter, als Teil dieses Komplexes zu sehen. Gegenstand meines Beitrages war unter anderem, wie in diesem Komplex das Militär auch langfristig und strategisch Einfluss auf die Technologieentwicklung und die Gesellschaft nimmt – in Zusammenarbeit mit der Industrie und einigen Kapitalfraktionen.

Sie erwähnten die Rand Corporation als Beispiel für eine militärische Forschungsinstitution. Was ist, kurz gesagt, ihre Geschichte?

Rand wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von Leuten aus Rüstung und Militär in den USA gegründet, um die enge Zusammenarbeit beider auch über den Krieg hinaus zu fördern und zu gewährleisten. Sie betreibt seitdem Beratung und Strategieentwicklung mit dem Ziel, die US-Vorherrschaft zu erhalten und abzusichern, und setzt dabei – militärisch gedacht – angesichts personeller Unterlegenheit auf technologische Überlegenheit.

Welche Unterschiede gibt beziehungsweise gab es zwischen der Militärforschung in den USA und in der EU?

In den USA wird damit seit dem Zweiten Weltkrieg deutlich offener und unverkrampfter umgegangen. Es gibt ein großes Netzwerk offen agierender Foren und Institutionen, die beteiligt sind und das vorantreiben. Insbesondere in Deutschland fand das lange versteckter statt und wurde oft unter dem Begriff »Dual Use« verschleiert – als wäre es Zufall, dass Forschung auch militärischen Nutzen hat. Einen mit den USA vergleichbaren militärisch-industriellen Komplex gibt es meines Erachtens hierzulande noch nicht – aber Versuche, das zu ändern.

Wo wird aktuell ursprünglich zivile Forschung militärisch angewandt?

Konkret am Beispiel unbemannter Systeme lässt sich unter anderem am Krieg um Bergkarabach und nun am Krieg in Gaza zeigen, dass Unternehmen und Technologien, die im Rahmen der »zivilen Sicherheitsforschung« gefördert wurden, teilweise sehr schnell und unmittelbar auf den Schlachtfeldern zur Anwendung kamen und kommen. Auch in der Ukraine wird nahezu alles umgesetzt, was es in den letzten Jahren zum Beispiel in den Bereichen unbemannte Systeme und künstliche Intelligenz auch umfangreich aus zivilen Mitteln geforscht wurde.

Wie ist die Forschung an künstlicher Intelligenz von Militarisierung betroffen?

Man müsste vielleicht umgekehrt fragen, ob künstliche Intelligenz ohne Militarisierung und Rüstungsforschung überhaupt denkbar wäre und existieren würde. Im Moment konkurrieren hier verschiedene Staaten und Blöcke um die Vorherrschaft, auch wegen der vermeintlichen militärischen Relevanz von künstlicher Intelligenz. Die umfangreichen Förder- und Forschungsprogramme sind also zumindest geopolitisch motiviert.

Christoph Marischka arbeitet und publiziert für die Informationsstelle Militarisierung (IMI)

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

Ähnliche:

  • US-Präsident Joseph Biden am 6. Dezember in Washington: Massensc...
    08.12.2023

    Schießwut in Washington

    Weitere US-Militärhilfe für Kiew vereinbart. Republikaner blockieren Zusatzforderung des US-Präsidenten. Der spricht von direktem Krieg gegen Russland
  • 23.11.2023

    Im Visier seines Staates

    Vor 60 Jahren wurde US-Präsident John F. Kennedy erschossen. Ein Mord mit Langzeitwirkung. Warum wurde geschossen? »Wir werden es nie erfahren«, schreibt Die Zeit. Zweifel sind angebracht. (Teil 2 und Schluss)

Regio:

Mehr aus: Schwerpunkt