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Aus: Ausgabe vom 19.03.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Physik

Wider die kosmische Zensur

Roy Kerr stellt Stephen Hawkings These einer unendlichen Raumkrümmung bei schwarzen Löchern in Frage
Von Erik Rhea
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Wie Sie sehen, sehn sie nichts: Schwarze Löcher erkennt man durch ihre Umgebung

Schwarze Löcher inspirieren seit nun fast 100 Jahren die Science-Fiction-Literatur: Sie waren dabei eine direkte Vorhersage der Relativitätstheorie. Die zunächst exotisch anmutende Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins von 1915 wurde in der Mitte des Jahres 1919 weltberühmt, als man den von ihr postulierten Gravitationslinseneffekt tatsächlich beobachtete. Damit war bewiesen, dass sich Licht durch starke gravitative Kräfte von einer geradlinigen Ausbreitungsrichtung ablenken lässt. Diese Erkenntnis zwang die physikalische Community, auch die anderen der Alltagserfahrung zunächst widersprechenden Voraussagen dieser Theorie ernst zu nehmen: Die newtonsche Idee eines absoluten Raumes wurde von den meisten Forschern aufgegeben und die Gravitationskraft als eine Krümmung der Raumzeit aufgefasst.

Die Vorstellung eines gekrümmten Raumes ist unanschaulich. Sie tritt für uns jedoch durch die alltäglich erfahrbare Gravitationskraft in Erscheinung. Neu ist dabei, dass sich sogar das eigentlich masselose Licht diesem Effekt nicht entziehen kann. Daraus folgt, dass Situationen möglich sind, in denen Licht eingesperrt werden kann durch eine Raumzeitkrümmung, die so stark ist, dass das Licht am Entweichen gehindert wird.

In der Physik wurde diese Möglichkeit schon seit dem 18. Jahrhundert diskutiert, allerdings vor 1919 eher als eine Art mathematische Spielerei. Nachdem klargeworden war, dass solche schwarzen Löcher, wie sie seit Anfang der 1960er Jahre genannt werden, tatsächlich Realität sind und sogar recht häufig vorkommen müssen (mittlerweile geht man davon aus, dass ca. ein Prozent sämtlicher Materie im Universum zu schwarzen Löchern gehört), begann man sich eingehend mit diesen Objekten zu befassen. Schwarze Löcher wurden auch von der beobachtenden Astro­nomie nachgewiesen und eingehend erforscht, dabei ist allerdings nie das schwarze Loch selbst sichtbar, sondern stets nur seine Auswirkungen auf die es umgebende Materie.

Was einmal eine gewisse Grenze überschritten hat, die um das schwarze Loch herum besteht, kann nicht wieder entweichen, diese Grenze bezeichnet man als »Ereignishorizont« des schwarzen Lochs. Zugleich senden schwarze Löcher jedoch laut gängigen Theorien eine sehr schwache thermische Strahlung (die sogenannte Hawking-Strahlung) aus, wodurch sie auf lange Sicht immer weiter an Masse verlieren. Sie wandeln letztlich Materie und Licht in thermische Strahlung um und leisten so ihren Beitrag zur allgemeinen Erhöhung der Entropie im Universum. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht von allen anderen Prozessen, die im Universum ablaufen.

Schwarze Löcher entstehen, wenn besonders schwere Sterne keinen Brennstoff mehr haben und unter ihrer eigenen Schwere kollabieren. Da sämtliche Sterne einen Drehimpuls besitzen, ist auch den aus ihnen entstehenden schwarzen Löchern einen Drehimpuls eigen, was ihre mathematische Beschreibung deutlich verkompliziert. Die Raumzeit um die schwarzen Löcher herum wird nicht nur gekrümmt, sondern auch verdrillt. Dem Mathematiker Roy Kerr gelang 1963 die Beschreibung eines rotierenden schwarzen Lochs. Im Dezember 2023 sorgte Kerr jüngst mit einem neuen, bisher nicht reviewten Paper für Aufsehen, in welchem er die nicht minder bekannten Schwarze-Loch-Forscher Stephen Hawking (gest. 2018) und Roger ­Penrose mit einer scharfen Polemik überzog. Dabei handelte es sich um die Frage nach den Singularitäten. Das Innere eines schwarzen Lochs lässt sich nicht beobachten, also ist man auf einen rein theoretischen Zugriff angewiesen.

Die Theorien von Hawking und Penrose besagen, dass schwarze Löcher in ihrem Inneren immer Singularitäten bergen. Darunter verstehen viele Physiker eine Stelle, an der die Krümmung der Raumzeit unendliche Werte annimmt. An solchen Stellen endet die Raumzeit, und sogar Lichtstrahlen würden dort enden. Das sei jedoch so lange in physikalischer Ordnung, wie die Unendlichkeit »versteckt« ist hinter dem undurchschaubaren Ereignishorizont des schwarzen Lochs. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer kosmischen Zensur, die die beobachtbare Welt von diesen Stellen abschirmt. Diese Theorie mochte Kerr nicht akzeptieren und wandte sich gegen die These von Hawking und Penrose, dass jedes schwarze Loch Stellen unendlicher Raumkrümmung enthält.

Kerr stellt ein Gegenbeispiel vor, in dem ein rotierendes schwarzes Loch anstelle einer punktförmigen Singularität mit unendlicher Raumzeitkrümmung eine ringförmige Singularität besitzt, in der keine physikalische Größe unendliche Werte annimmt, aber immer noch ein Bereich existiert, in dem die raumzeitlichen Metriken nicht definiert sind. Er wirft Hawking und Penrose vor, ein Dogma verbreitet zu haben, laut dem jedes schwarze Loch eine exotische Singu­larität »versteckt«, in der eine unendliche Raumzeitkrümmung vorliege.

Nun ist es jedoch so, dass dieses »Dogma« von Hawking und Penrose nie verbreitet wurde. Jedes schwarze Loch enthält eine Singularität, aber der Begriff von Singularität ist bei Hawking und Penrose etwas komplexer, und die Aussage ihrer Arbeiten lässt sich keineswegs darin zusammenfassen, dass es sich jeweils um Punkte unendlicher Raumzeitkrümmung handle. Ihren Vorstellungen nach sind Singularitäten, wie Kerr sie vorschlägt, ebenso denkbar. So interessant das neue Modell von Kerr physikalisch ist, seine Polemik greift ins Leere.

Unterm Strich sind sich Kerr und Penrose darin einig, dass die Beschreibung schwarzer Löcher aktuell unzureichend sei, da Quanteneffekte in den aktuellen Modellen nicht berücksichtigt werden. Solche Effekte sollten jedoch bei stark verdichteter Materie, wie sie bei kollabierenden Sternen vorkommt, eigentlich eine hohe Relevanz besitzen. Die quantentheoretische Beschreibung schwarzer Löcher ist aktuell nicht möglich, da die Physik weiterhin keine vereinheitlichte Theorie besitzt, die Relativitätstheorie und Quantenmechanik zusammenbringen kann (vgl. jW v. 2.1.2024). Allerdings wäre eine quantentheoretische Beschreibung schwarzer Löcher selbst mit einer solchen Theorie eine harte Nuss für die Forschung.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (18. März 2024 um 23:35 Uhr)
    Was neu an der Tatsache sein soll, dass Licht sich nicht der Gravitationswirkung entziehen kann, ist mir schleierhaft. Licht ist auch nicht »eigentlich« masselos. Es hat schlicht keine Ruhemasse. Das hilft ihm aber nichts, denn es hat eine relativistische Masse gemäß seiner Energie (E = m*c*c, E = h*f, m: Masse, c: Lichtgeschwindigkeit, h: Plancksches Wirkungsquantum, f: Frequenz der Strahlung, sichtbares Licht oder welche auch immer) und die zwingt es auf sein raumzeitliche Bahn. Eine Singularität hat physikalisch keine Bedeutung. Mathematisch heißt das, dass ein Grenzwert gegen plus oder minus unendlich geht und man keinen Trick findet, das zu vermeiden. Physikalisch sinnvoll kann man nur mit Größen operieren, die – stark verkürzt gesagt – nicht kleiner als eine Planck-Einheit sind. Die Planck-Länge und die Planck-Zeit sind ganz schön klein, googeln! Der LeserIn wäre womöglich mit einer Darstellung des Begriffs des Schwarzschild-Radius mehr genutzt als mit der Aufzählung einer punktförmigen und einer ringförmigen Singularität. Übrigens: Selbst ein »triviales« Elektron hat sein Tücken: Es »ist« punktförmig, hat also den Durchmesser Null. »Faktisch« wird es von virtuellen Teilchen umschwirrt, damit seine Massen- und Ladungsdichte nicht auf Singularitäten führt … Wie man sieht: Die Physik hat noch allerhand zu tun!

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