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Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 16 / Sport
Radsport

Sprint zum Sieg

Der belgische Radprofi Jasper Philipsen gewinnt den Frühjahrsklassiker Mailand–Sanremo
Von Holger Römers
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Dem Sieger ein Luftbussi: Jasper Philipsen (M.) umarmt Michael Matthews (l.) und Tadej Pogačar (r.)

Nächstes Jahr wird Tadej Pogačar (UAE Team Emirates) wohl an der Cipressa angreifen. Diese gewagte Taktik ist dem zweifachen Toursieger schon am Sonnabend beim 115. Mailand–San­remo zugetraut worden, weil ihm 2023 nicht gelungen war, die Konkurrenz am Poggio abzuschütteln. Der letzte Anstieg wird beim ersten sogenannten Monument der Radsportsaison fünf Kilometer vorm Ziel überquert, wobei moderate 3,7 Steigungsprozent auf nur 3,6 Kilometern Länge jede Absetzbewegung erschweren – zumal wenn man, wie der slowenische Ausnahmefahrer, stets aufmerksam beäugt wird. Um einem Kräftemessen mit mehr oder minder spezialisierten Sprintern auf der Zielgeraden vorzubeugen, bietet sich alternativ eine Attacke an der Cipressa an. Dieser vorletzte Anstieg ist freilich kaum länger oder steiler, und selbst bei einer gelungenen Flucht müsste sich ein Solist danach auf dem zehn Kilometer langen Flachstück zum Poggio einer kollektiven Verfolgung erwehren. Kein Wunder, dass so seit 1996 kein Sieg mehr errungen wurde.

Deshalb stellte Pogačars Sportdirektor in der vergangenen Woche eine dritte taktische Möglichkeit in den Raum: Matxin Joxean Fernandez kündigte an, dass seine Mannschaft diesmal in einer Rekordzeit von »unter neun Minuten« auf die Cipressa fahren und so die Spitzengruppe auf »nicht mehr als 20 Fahrer« reduzieren würde. Nachdem das Peloton erstmals in Pavia statt der namensgebenden lombardischen Finanzmetropole losgefahren war, kam aber alles anders. Und es bestätigte sich einmal mehr, dass das mit Abstand längste Rennen des Jahres, dessen Strecke jedoch weitgehend flach und durchweg gut asphaltiert ist, nur wenige dramaturgische Variationen zulässt – weshalb im Finale jedes Detail um so wichtiger wird.

Hinter der obligatorischen, chancenlosen Ausreißergruppe aus mehrheitlich zweitklassigen italienischen Teams kontrollierten Alpecin-Deceuninck und Lidl-Trek gemeinsam das Tempo und unterstrichen damit die Ambitionen ihrer jeweiligen Kapitäne Mathieu van der Poel beziehungsweise Mads Pedersen. Während der 29jährige niederländische Vorjahressieger, der im Winter gewohnt erfolgreich Cyclo­cross gefahren war, im Weltmeistertrikot sein Saisondebüt gab, hatte der ein Jahr jüngere dänische Exweltmeister seit Februar bereits sechs Siege eingestrichen. Als nach knapp der Hälfte der insgesamt 288 Kilometer mit dem Passo del Turchino der anspruchsvollste Berg überquert war, versuchte Pedersens Kollege Jacopo Mosca, auch UAE Team Emirates zur Tempoarbeit zu überreden, doch Tim Wellens schüttelte bloß den Kopf.

Gut 50 Kilometer vorm Ziel war der Belgier allerdings mit fast allen Kollegen an der Spitze zu sehen, als der erste jener drei »Capi« genannten Hügel auf dem Programm stand, die alljährlich das Rennfinale ankündigen. Das wiederholte sich zwölf Kilometer später am abschließenden Capo Berta, als Pogačars Mannschaft erneut beinahe vollzählig die Geschwindigkeit forcierte. Diese Mühe erwies sich freilich als vergebens, weil der 25jährige Slowene dann an der Cipressa vorübergehend isoliert war. Nachdem UAE Team Emirates sich endlich sortiert hatte, brauchte es 9.30 Minuten bis zur Bergkuppe – und war anschließend selbst reduziert.

So war Pogačar auch am Fuße des Poggios nicht optimal positioniert, bevor Wellens ihm den nunmehr unvermeidlichen Angriff vorbereitete, auf den kurz vor der Kuppe ein zweiter folgte. Der ergab nur wenige Meter Vorsprung, die van der Poel mit einer sofortigen Kraftanstrengung ausglich, woraufhin in der Abfahrt ein knappes Dutzend Fahrer aufschloss. Da unter ihnen der zur selben Mannschaft gehörende Sprintspezialist Jasper Philipsen war, investierte der amtierende Weltmeister weitere Energien, um drei Ausreißversuche von Konkurrenten zu neutralisieren. Das ermöglichte dem 26jährigen belgischen Kollegen Philipsen den Sprintsieg, kaum zehn Zentimeter vor dem 33jährigen Australier Michael Matthews (Team Jayco AlUla). Pogačar musste indes als Dritter einsehen, dass er auch bei der mit 46,1 km/h schnellsten »Classicissima« aller Zeiten nicht die richtige Taktik gefunden hatte.

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