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Aus: Ausgabe vom 16.03.2024, Seite 5 / Inland
US-Elektroautobauer Tesla

Drohkulisse in Grünheide

Gigafactory: Neuer Auflagenbescheid – Protestcamp am Bahnhof Fangschleuse bei »Rückbau« offenbar weiter »geduldet«. Räumungsgefahr bleibt akut
Von Oliver Rast
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Herzlicher Willkommensgruß: Auf in die Welt von Utopia (Fangschleuse, 15.3.2024)

Das passt ja. Ein Trupp Brandenburger Bereitschaftspolizei schlendert gemächlich den Waldweg mit tiefen Spurrillen entlang – und unterquert justamente ein mehlweißes Banner, meterlang, meterhoch. Darauf steht in großen bunten, gepunkteten Lettern: »Willkommen in der Utopien-Gigafactory. No Cops, no Nazis, no Elon.« Dazu klein in der rechten Ecke ein »A« mit Kreis. Ein Hinweis dafür, ab hier beginnt eine temporär autonome Zone, ein herrschaftsfreier Sektor widerständigen Lebens.

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Behörden fordern »Rückbau« der Baumhäuser (Fangschleuse, 15.3.2024)

Die uniforme Staatsmacht sieht das am Freitag vormittag freilich anders, patrouilliert demonstrativ unmittelbar am Protestcamp »Tesla stoppen« vorbei, unweit vom Bahnhof Fangschleuse in Grünheide. »Sind Sie auf einem Kontrollgang, was gibt es denn zu kontrollieren?« fragt der Autor die Zugspitze der Polizeikräfte. »Dazu werde ich mich nicht äußern, wenden Sie sich an den Kollegen weiter hinten«, entgegnet einer. Aber jener mit güldenem Lametta auf den Schulterstücken fühlt sich gleichfalls nicht zuständig. »Herr Kamenz von der Pressestelle der Polizeidirektion Ost in Frankfurt (Oder) ist ihr Ansprechpartner.« Schön und gut, denke ich – und wende ein: »Aber der war am Donnerstag schon nicht erreichbar.« Ja, das könne sein, vielbeschäftigt sei er halt, meint der Hochdekorierte. Ende des Dialogs.

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Losung mit klarer Botschaft: Keine Kriminalisierung von Aktivismus (Fangschleuse, 15.3.2024)

Aber nicht Ende des Protestcamps – noch nicht. Die Aktivisten sind seit Ende Februar auf dem Areal. Sie wollen damit den geplanten Ausbau der »Gigafactory« des US-Elektroautobauers von Elon Musk verhindern. Kein weiterer Wasserklau, keine weitere Rodung des Walds. Wie lange noch gecampt wird? Unklar, es ist brenzlig. Bereits in der Nacht zu Donnerstag sickerten Hinweise durch, eine gewaltsame Räumung seitens der Polizei könnte unmittelbar bevorstehen, bestätigte Ralf Schlüter (Name geändert) im jW-Gespräch beim Sortieren seines Kletter- und Abseilzubehörs. Denn die Zeit der angemeldeten Versammlung läuft um 23.59 Uhr am Freitag aus. Eine Verlängerung bis 20. Mai hatten die Protestler bei der Versammlungsbehörde bereits am 8. März eingereicht. Nur, eine behördliche Reaktion blieb aus, bis zum Freitag morgen. Den rebellischen Campern wurden zunächst mündlich neue Auflagen mitgeteilt. Die sehen nach unbestätigten jW-Informationen im Kern einen »Rückbau« der Baumhäuser in den Kieferwipfeln vor samt »Betretungsverbot«. Ein schriftlicher Bescheid sollte nachmittags nach Redaktionsschluss folgen.

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Eindeutiges Ergebnis des Bürgerwillens: Kein Ausbau der E-automobilen Fabrik (Fangschleuse, 15.3.2024)

Davon unabhängig sei die Polizeipräsenz eine Drohkulisse, sagt Schlüter. Und möglicherweise standen die Räumpanzer in den frühen Morgenstunden am Freitag schon in den Startlöchern. Die Wald-Wasser-Besetzer hätten das aus »diversen Quellen« erfahren. Die Einheiten sollen indes frustriert wieder abgefahren sein, auch aufgrund der »großen Mobilisierung«, zu der die Aktivisten aufgerufen hatten. Eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Potsdam will das am Freitag auf jW-Nachfrage nicht bestätigen. »Nein, wir sind nicht frustriert abgefahren.« Es habe ein sogenanntes Kooperationsgespräch mit Verantwortlichen des Protestcamps gegeben. »Um den Räumungstermin mitzuteilen?« will der Autor wissen. »Ich bitte Sie«, sagt die polizeiliche Pressestimme. Und außerdem werde es zu keiner Räumung des Protestlagers kommen. Stand jetzt. Warum nicht? »Lageeinschätzung und Rechtsgrundlage erforderten dies aktuell nicht.«

Das sehen auch Abgeordnete so. Dem Landesinnenministerium fehle bisher eine »belastbare Begründung« für die Demontage des Camps, hieß es aus Parlamentskreisen gegenüber jW. Aber: Was ist mit der weiteren Anmeldung des »gallischen Dorfs« bis 20. Mai? Die Stimme aus dem Polizeipräsidium wird kryptisch, sagt, die sei bestätigt worden, »aber nicht bis zum erwähnten Datum.« Bis wann dann? »Kein Kommentar.«

Übersetzt: Die Situation bleibt akut, der Druck hoch. Das weiß auch Baumkletterer Schlüter. Wie als Beleg zeigt er I-Phone-Aufnahmen aus der vergangenen Nacht. Polizeifahrzeuge stehen an mehreren Orten rund um das Camp und leuchten mit Fernlicht das Areal aus. Auch den Waldweg mit dem Banner. Ein schaurig-gruseliger Anblick, ein greller Lichtkegel, der den Schriftzug zu zerreißen scheint. Nochmals, darauf steht: »Willkommen in der Utopien-Gigafactory. No Cops, no Nazis, no Elon.«

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (16. März 2024 um 09:27 Uhr)
    »Klimaschutz ist kein Verbrechen!« – Naturzerstörung jedoch schon! Die Causa Tesla ist kein singulärer Fall. In Zukunft wird es unzählige solcher Fälle geben, in denen die Naturzerstörung nicht nur mit »Arbeitsplätzen«, sondern mit der vermeintlichen Notwendigkeit angeblicher Klimarettung legitimiert werden wird. Kapitalismus ist nicht heilbar! Schon gar nicht mit Argumenten. Ergo: »Get up, stand up, fight for your right!« (Bob Marley)