4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 15.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Privatisierungspolitik

Philippinen vor Ausverkauf

Regierung will öffentliche Daseinsvorsorge per Verfassungsänderung für ausländische Investoren öffnen
Von Thomas Berger, Manila
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Am diesjährigen Internationalen Frauenkampftag in Manila wurde auch gegen die geplante Verfassungsänderung demonstriert

Der philippinische Präsident Ferdinand Marcos Junior will die Verfassung seines Landes ändern. Ziel ist es, öffentliche Dienstleistungen wie Wasser- und Stromversorgung sowie das Bildungswesen für ausländische Investoren zu öffnen. Nach einer möglichen Zustimmung des Parlaments solle die Verfassungsänderung zeitgleich mit den Zwischenwahlen am 12. Mai 2025 per Referendum ratifiziert werden, sagte Marcos Ende vergangener Woche.

Linke Parteien im Parlament sowie progressive zivilgesellschaftliche Gruppen erhöhen unterdessen mit regelmäßigen Demonstrationen seit einigen Wochen den Druck auf die Regierung, das Vorhaben fallen zu lassen. Besonders aktiv ist dabei die Alliance of Concerned Teachers (ACT), die den Ausverkauf des Bildungssystems an private Interessenten aus dem Ausland als »inakzeptabel« bezeichnet. »Ein solcher Vorschlag befeuert nur die neoliberale Ideologie, die das Bildungssystem des Landes in den letzten Jahrzehnten zerstört hat«, heißt es in einer Erklärung der Organisation vom 6. März, die auf dem regierungskritischen Nachrichtenportal Rappler der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa veröffentlicht wurde. »Das bedeutet eine Verschärfung des Geschichtsrevisionismus, da ausländische kapitalistische Bildungsanbieter – oft aus den Ländern der ehemaligen Kolonialherren unseres Landes – den Lehrplan nach ihrem Gusto gestalten können, um ihre neokolonialen Interessen durchzusetzen«, so die ACT weiter.

Tatsächlich dürften private Bildungsträger aus den USA die ersten sein, die nach einer solchen Liberalisierung des Sektors in der ehemaligen Kolonie Philippinen Einrichtungen gründen würden. Der mangelnde Einfluss des Staates auf die Lehrinhalte ist dabei nur eine Sorge der Kritiker. Die dann explodierenden Gebühren, die sich viele Familien kaum leisten könnten, eine andere. »Warum wollen wir unsere wirtschaftlichen Probleme lösen, indem wir ein neues schaffen?«, kritisierte deshalb Risa Hontiveros von der Frauenliste Gabriela, Minderheitenführerin im Senat. Öffentliche Dienstleistungen und Bildungseinrichtungen zu 100 Prozent für ausländische Investoren freizugeben, sei »in einer Zeit wachsender globaler Unruhe eine Schwächung der nationalen Interessen und schlicht ein Sicherheitsrisiko«.

Am 8. März waren unter anderem progressive Frauengruppen in Iloilo City und Cebu City gegen die mögliche Verfassungsänderung auf die Straße gegangen. Von der Reform würden nur ausländische Wirtschaftsinteressenten profitieren, nicht aber die Frauen in den Armenvierteln der Städte, sagte Belinda Alere, Vorsitzende der Cebu Urban Poor Women’s League (CUPWOL), die gemeinsam mit der Gabriela Regional Division und der Sitio Nangka Ville Women’s Association am Internationalen Frauenkampftag demonstrierte. Alere warf Präsident Marcos vor, mehr Zeit als »Tourist« im Ausland zu verbringen, anstatt sich zu Hause beispielsweise für einen angemessenen Mindestlohn einzusetzen. Ausländische Investoren würden zudem die Grundstückspreise in die Höhe treiben, warnte Alere. Wie die daraus resultierende Verdrängung aussehe, könne man bereits an einem neuen Markt in Cebu City sehen, dessen Stände für arme Straßenhändlerinnen kaum noch erschwinglich seien.

Selbst Omar Romero, Vizechef der Bildungsbehörde, warnte bei einer parlamentarischen Anhörung eindringlich davor, den Grundschulbereich für zu 100 Prozent in ausländischem Besitz befindliche Institutionen zu öffnen – dann habe man keine Kontrolle mehr über die Umsetzung der nationalen Lehrpläne, zitiert ihn die Zeitung Philippine Star.

Nach der ersten Lesung im Repräsentantenhaus mit einer sechstägigen Debatte, sprach sich am 6. März jedoch eine Mehrheit für die Reform aus. Dagegen stimmten die drei linken Abgeordneten Arlene Brosas (Gabriela), France Gastro (ACT) und Raoul Manuel von der Parteiliste Kabataan sowie aus anderen Gründen der liberale Fraktionschef Edcel Lagman. Im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, gibt es dagegen auch unter konservativen Abgeordneten – darunter die Schwester des Präsidenten, Imee Marcos – Vorbehalte. Der Ausgang ist also offen.

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