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Aus: Ausgabe vom 15.03.2024, Seite 1 / Schwerpunkt
Switch off Gigafactory

Plattmacher in Grünheide

Gigafactory: Protestcamp am Bahnhof Fangschleuse droht gewaltsame Räumung. Aktivisten rufen zu Unterstützung auf
Von Oliver Rast
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Multimilliardär Elon Musk mag die großspurige Show

Die ersten Nachrichten zirkulierten im Morgengrauen am Donnerstag über verschlüsselte virtuelle Kanäle: Die Protestcamper am Bahnhof Fangschleuse in Grünheide befürchten eine gewaltsame Räumung. Seitens der Polizei, zeitnah am Wochenende. Quellen aus Behörden und Parlamentskreisen ließen dies erwarten. »Klar, wir hatten ein, zwei Momente Panik, als die Info da war«, sagte Paul Grieger (Name geändert) gleichentags im jW-Gespräch. Etwas übernächtigt hätten sich Aktivistinnen und Aktivisten von der Wasserbesetzung »Tesla stoppen« zusammengesetzt, beratschlagt – und entschieden: »Raus an die Öffentlichkeit!« Unterstützer mobilisieren, vor Ort, von weiter weg, von fern. Ganz gleich. Hauptsache, so Grieger: »Räumung verhindern!«

Seit dem 28. Februar halten zahlreiche Wasser- und Waldbesetzer die Stellung. Werkeln tagein, tagaus. Bislang sind es 15 Baumhäuser im Kiefernwäldchen, dazu zahlreiche Zelte. Ein gallisches Dorf samt Mahnwache mit allerlei Infrastruktur in Ostbrandenburg. Das Ziel: kein Ausbau der »Gigafactory«, kein Wasserklau, kein Kahlschlag. Wald und Wasser statt Profite.

Angemeldet ist der Protest gegen den Gigantismus des US-Elektroautobauers von Elon Musk bis zum heutigen Freitag. Vorsorglich hatten Aktivisten bei der zuständigen Versammlungsbehörde in Frankfurt/Oder das Camp verlängert – bis 20. Mai. Reagiert hat die Behörde nicht; weder mit neuen Auflagen noch sonstwie. Auch eine jW-Anfrage blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Dennoch, die Anmeldung gilt, meint Grieger.

Unterdessen macht Musk, dem im Märkischen mittlerweile der Spitzname »Technofaschist« anhängt, Stimmung, setzt alle PR-Hebel in Gang. Am Mittwoch besuchte er seine Grünheider Fabrik, ließ sich vom »gelben« Betriebsrat samt Hunderten Fanboys wie ein Popstar feiern, menschelte mit Sohn auf dem Arm. »Wir sind diejenigen, die die Umwelt retten«, halluzinierte Musk. Wahn und Übermut, typisch. Und an die Saboteure des Hochspannungsmastes gerichtet: »Ihr seid so lächerlich.« Ferner kündigte Musk die Fertigung eines Lkw namens Semi in Grünheide an. Der Boss braucht positive Meldungen. Mutmaßlich auch, um den Kursverfall der Tesla-Aktie zu bremsen. Denn der börsliche Wert des Anteilsscheins ist am Mittwoch abermals kräftig gefallen: auf ein Jahrestief. Mehr noch, eine US-Bank empfahl, die Aktie abzustoßen.

Griegers Problem ist das nicht. Eher, wie das Camp weiter »alltagstauglich« gemacht werden kann. Dazu gehört viel »Kleinkram«, Reproduktives. Anwohner und Basisbewegte waschen schon mal die Wäsche der Protestler, besorgen Nahrungsmittel, sprechen Mut zu; kurz, sie supporten, erzählt Steffen Schorcht von der Bürgerinitiative (BI) Grünheide am Donnerstag gegenüber jW. Das Camp gegen die Expansion der »Chemieanlage«, wie Schorcht die Gigafactory nennt, sei legitim. Thomas Domres (Die Linke) sekundiert. Von den Besetzern gehe keine Gefahr aus, es bestehe keine Notwendigkeit für eine Räumung, betonte der parlamentarische Geschäftsführer seiner Fraktion im Brandenburger Landtag auf jW-Nachfrage: »Wir brauchen jetzt eine Deeskalation der Situation, gewaltfreies Handeln von allen, nichts anderes.«

Welches Szenario ist in den Folgetagen zu erwarten? Zugangssperren, Kontrollen auf Straßen und Waldwegen, rund um Grünheide, vermutet Grieger. Also eine Polizeiarmada samt Sondereinsatzkommando. Umso wichtiger sei, möglichst rasch zum Camp aufzubrechen, massenhaft. Damit der »Plattmacher« Musk nicht durchkommt. Grieger: »Unser Protest lässt sich nicht räumen, wir bleiben.«

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  • Leserbrief von Dr. Kai Merkel aus Wuppertal (15. März 2024 um 17:07 Uhr)
    Ich finde ja grundsätzlich jeden Protest super, solange er friedlich abläuft. Aber warum wird eigentlich nicht lieber vor den Werken der hiesigen, heimischen Verbrennerautoindustrie protestiert? Hier soll es doch um Umweltschutz gehen, oder nicht? Typisch Deutschland. Da wird »wegen der Umwelt« vor einem Hersteller von 100prozentigen Elektroautos demonstriert, weil er das Werk erweitern und nebenbei Arbeitsplätze schaffen will (ist ja nicht so, dass es in der Region einen Überfluss davon gibt). Dann gehört das Unternehmen auch noch so einem schrillen amerikanischen Milliardär und nicht unseren heimischen Oligarchen und den Ölscheichs aus Katar sowie Blackrock und Co., wie das auf »unser« Volkswagen/Porsche/BMW usw. zutrifft. Volkswagen baut übrigens seine neue Fabrik für E-Motoren in den USA … ob dort auch gegen das Werk demonstriert wird? Währenddessen spuckt die gute alte deutsche Autoindustrie bei uns weiter stinkende, mit illegalen Abschalteinrichtungen versehene Verbrenner (BMW wurde vor kurzem gerade erst wieder erwischt. Nichts gelernt) aus. Das Motto ist: größer, schwerer, dreckiger, teurer. »Premium Segment« halt. Kräftig subventioniert mit Steuermilliarden natürlich. Die E-Autos von denen will komischerweise keiner haben. Abgehängt. Werden auch bald wieder eingestellt. Zukunftstechnologie? Nicht in Deutschland. Verbrenner sind ja hier die Zukunft und gut für die Umwelt. Passt ja gut zu unseren Braunkohle-Panzer-Grünen. Ich habe selbst kein Auto, sympathisiere neuerdings aber mit Tesla, seit die Antifa dabei ist, dort »Technofaschisten« (wtf) mit Anschlägen anzugreifen und zur Gewalt gegen Tesla-Elektroautos aufruft. Ja geht es noch? Kompass verloren? Die sollten sich lieber mal an den »wirklichen« Faschisten im Land abarbeiten, da gibt es ja mittlerweile leider mehr als genug zu tun.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (15. März 2024 um 11:57 Uhr)
    In Grünheide hat die Zukunft bereits begonnen, nämlich die reale Zerstörung der Umwelt zur angeblichen Rettung des Klimas. Eine geradezu geniale Methode, welche sich des ekstatischen Beifalls aller Psychopathen sicher sein kann!
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (15. März 2024 um 08:52 Uhr)
    Früher beriefen sich die absoluten Herrscher auf ein vermeintliches »Gottesgnadentum«. Heute erklären sie sich einfach selbst zu Göttern. Und das dumme Volk huldigt ihnen und fällt devot und demütig auf die Knie. So sieht er also aus, der zivilisatorische Fortschritt im 21. Jahrhundert.
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (15. März 2024 um 08:18 Uhr)
    Das Ziel der Aktivisten ist im Artikel zitiert: »Kein Ausbau der ›Gigafactory‹, kein Wasserklau, kein Kahlschlag. Wald und Wasser statt Profite«. Dabei bleibt ein wichtiger Aspekt völlig unerwähnt, der in anderen jW-Artikeln stets an erster Stelle steht: die Arbeiter und Angestellten! Um die Größenordnung zu zeigen: »2023 beschäftigte Tesla mehr als 10.000 Menschen in der Fabrik. Sie arbeiten in drei Schichten, 24 Stunden am Tag. Pro Schicht sind dabei mindestens 2.100 Personen gleichzeitig im Einsatz, um einen reibungslosen Betrieb zu garantieren.« (https://t3n.de/news/gigafactory-berlin-zahlen-und-fakten-zur-tesla-fabrik-in-gruenheide-1612102/) – Angenommen, es gelingt, Mr. Musk samt Tesla aus der Region zu vergraulen, was geschieht mit den Arbeitern? Von Wald und Wasser allein können sie nicht leben! Aber darum mögen sich wohl andere kümmern. Die dann ihrerseits kritisiert werden, weil sie es nicht schaffen, die ehemaligen Teslaner anderweitig in Lohn und Brot zu bringen.

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