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Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 2 / Inland
Gesundheitssystem

»Schließungen schaffen kein neues Personal«

Aktionsgruppe gegen Kliniksterben fordert Länderchefs auf, Gesetz für »Transparenzregister« im Bundesrat abzulehnen. Gespräch mit Klaus Emmerich
Interview: Marc Bebenroth
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Beschäftigte in Krankenhäusern sind jetzt schon überlastet (Berlin, 20.9.2023)

Das sogenannte Krankenhaustransparenzgesetz der Bundesregierung liegt dem Bundesrat zur Entscheidung vor. Die Länderkammer soll in weniger als zwei Wochen darüber abstimmen. Sie haben dagegen eine Blitzpetition gestartet. Was stört Sie an mehr Transparenz im Kliniksektor?

Mehr Transparenz im Kliniksektor ist gut, nicht aber die Pseudotransparenz des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach. Er misst Krankenhäuser nur daran, welche Fachabteilungen mit welchem Personal und welcher Ausstattung sie anbieten. Das sagt jedoch nichts darüber aus, in welcher Qualität die Behandlung stattfindet. Das unausgesprochene, aber angestrebte Ziel des auf Strukturen konzentrierten Transparenzregisters ist offensichtlich, Krankenhäusern mit geringerer Strukturausstattung die Patienten vorzuenthalten. Es geht um gesteuerte Schließung beziehungsweise radikale Begrenzung angebotener Leistungen.

Lauterbach kann der Schließung von Krankenhäusern einiges abgewinnen, sprach in der Vergangenheit sogar von Verbesserungen für Patientinnen und Patienten. An wen richtet sich also Ihr Appell?

An die Landesgesundheitsminister. Sie sollen am 22. März die Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat verhindern. Wir unterstreichen unsere Forderung durch eine Blitzpetition, die wir demnächst an alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten versenden werden.

Und wie wollen Sie die überzeugen, das Gesetz nicht durchzuwinken?

Das geplante Krankenhaustransparenzregister belastet die Krankenhäuser mit immenser Bürokratie, erhöht die Beitragszahlung der gesetzlich Krankenversicherten und liefert den Patienten keine substantiellen neuen Informationen. Das wirklich Neue an Lauterbachs Register sind die Level, die nahezu identisch durch die gesetzlichen Notfallstufen 1 bis 3 der Krankenhäuser ausgetauscht werden können. Dann bräuchten wir kein aufwendiges, bürokratisches und kostenintensives Krankenhaustransparenzregister.

Wer verdient an dem von Ihnen bekämpften Kliniksterben in Bayern und darüber hinaus?

Primär verdienen nach Klinikschließungen alle verbleibenden Krankenhäuser mit mehr Patienten. Besonders hoch verdienen alle Fachkliniken, die sich mit geringen Vorhaltekosten und hohen Einnahmen gesundverdienen.

Was muss sich ändern, damit Kommunen wieder die Ressourcen haben, Kliniken selbst betreiben zu können?

Krankenhäuser brauchen mehr Geld. Sie brauchen exakt so hohe Vergütungen, wie stationäre Kosten entstanden sind. Das von mir mitbegründete »Bündnis Klinikrettung« hat mit seinem Finanzierungsmodell »Selbstkostendeckung der Krankenhäuser« die geeignete Lösung entwickelt. Das Bundesgesundheitsministerium und Lauterbachs Regierungskommission sind aber leider nicht interessiert.

Und wo soll das medizinische und Pflegepersonal herkommen?

Das medizinische und Pflegepersonal ist auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht verfügbar. Es ginge aber anders, und das ohne Mehrkosten. Besagtes Finanzierungsmodell macht Fallpauschalen überflüssig, die immense Kodierungs- und Verwaltungsaufgaben erfordern und klinisches Personal am Computer binden. Mit der Abschaffung stünden deutschlandweit 161.300 klinische Mitarbeiter beziehungsweise 123.000 klinische Vollzeitkräfte zusätzlich für die Patienten bereit. Das ist beim aktuellen Personalmangel der einzig gangbare Weg. Klinikschließungen schaffen kein neues Personal.

Auf welchem gesundheitspolitischen Kurs sehen Sie die wiedergewählte bayerische Staatsregierung?

Diese kritisiert zu Recht Lauterbachs Krankenhaustransparenzgesetz und Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz. Aber wer kritisiert, muss zeigen, wie es anders geht. Das ist unsere Kernkritik an der Haltung der bayerischen Staatsregierung und auch den weiteren Bundesländern. Wir haben die Konzepte. Neben dem Finanzierungsmodell steht seit wenigen Tagen ein kostenfreies Krankenhausregister zur Verfügung. Krankenhäuser werden per Krankenhauskarte, per Liste oder Wohnort gefunden.

Klaus Emmerich leitete zwei Kliniken, ist Mitgründer des »Bündnisses Klinikrettung« und der Aktionsgruppe »Schluss mit Kliniksterben in Bayern«

kurzelinks.de/Blitzpeti

tion-Kliniksterben

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