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Aus: Ausgabe vom 12.03.2024, Seite 8 / Inland
Frauenkampftag 8. März

»Das Ziel ist, nicht in Machtlosigkeit zu verharren«

Über gewerkschaftliche Aufklärungsarbeit zum Frauenkampftag. Ein Gespräch mit Joana Terborg
Interview: Hendrik Pachinger, Nürnberg
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Um die klaffenden Lücken im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit zu verdeutlichen, hat Ihre Gewerkschaft am Freitag zu einem feministischen »Themenpark« in Nürnberg eingeladen. Was muss man sich darunter vorstellen?

Unser »antipatriarchaler Jahrmarkt« war mit zehn Stationen aufgebaut, die auf bestärkende sowie humorvolle Art und Weise versuchen, ernste Themen sicht- und erfahrbar zu machen. Damit wollten wir einen Perspektivenwechsel anregen, Spaß haben, und vor allem gemeinsam Kraft schöpfen, um weiter jeden Tag gegen die Benachteiligung von Frauen zu kämpfen. Als Besucher schritt man zu Beginn durch das Eingangstor, das die Form einer Vulva hatte. Damit wollten wir körperliche Selbstbestimmung versinnbildlichen, was im Kontext der Debatte zur Verankerung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in der französischen Verfassung aktuell ein umkämpftes Thema ist. Hierzulande sind Schwangerschaftsabbrüche immer noch ein Straftatbestand, nicht ausreichend zugänglich und oft teuer.

Was war noch aufgebaut?

Weiter ging es mit einem »Ninja Parcours«, wo sich die Besucher durch einen Wald aus männlichen Figuren sowie Symbolen männlicher Dominanz kämpfen mussten. Daneben gab es ein »Care-Karussell« zum Thema Sorgearbeit. Auch konnten Frauen und Mädchen für den Ernstfall üben, ihre Stimme zu erheben, wenn sie zum Beispiel bedroht werden. Das Ziel dabei war, auf die Wut über die Zustände zu fokussieren, und nicht in Machtlosigkeit zu verharren. Das Highlight war wohl die »Hau den Lukas«-Figur eines drei Meter großen, blonden Wikingers – als Symbol für toxische Männlichkeit.

»Brüllbox« und »Hau den Lukas« klingen tatsächlich nach Jahrmarkt. Ernster kam da wohl die »Ahninnen-Galerie« daher?

Die Dominanz von männlichen Namen im öffentlichen Raum wird vom Verdi-Bezirksfrauenrat seit vielen Jahren bearbeitet. In Nürnberg sind nicht mal 3,5 Prozent der Straßen und Plätze nach Frauen benannt, während mehr als ein Drittel aller Straßen nach Männern benannt sind. Seit Jahren versuchen verschiedene Initiativen, einen prominenten Platz in Nürnberg nach Helene Grünberg zu benennen, die erste bezahlte Gewerkschaftsfunktionärin im Deutschen Reich. Das ist bisher nicht gelungen. Ein erster Erfolg konnte aber damit errungen werden, dass Räumlichkeiten im Gewerkschaftshaus in »Helene-Grünberg-Zentrum« umbenannt wurden.

Wir haben noch zahlreiche weitere Vorschläge: Esther Bejarano, Gisela Kessler oder Frauen aus dem lokalen antifaschistischen Widerstand. Außerdem haben wir im Themenpark die Besucher gefragt, welche Frauen sie gerne ehren würden. Es braucht leider einen langen Atem, damit Schwung in die städtische Planung kommt. Bei der aktuellen Geschwindigkeit der Um- und Neubenennungen von Straßen können wir erst für das Jahr 2363 auf paritätische Verhältnisse hoffen …

Ein Teil des Programms war die erstmalige Verleihung des Preises »Brot und Rosen« an Karin Reinfelder. Wer ist das?

Als Betriebsratsvorsitzende hat sie eine zentrale Rolle beim Kampf der Belegschaft im Klinikum Nürnberg um die Wiedereingliederung in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gespielt, der durch entschlossene Streiks und eine starke Organisierung erkämpft werden konnte. Die tarifliche Zweiklassengesellschaft unter den Servicemitarbeitern dort ist damit Geschichte!

Ist dieser Kampf abgeschlossen?

Leider nicht. Die Kolleginnen und Kollegen haben zwar einen historischen Sieg errungen, der auch bundesweite Strahlkraft hatte und vielen Servicearbeitern in ähnlichen outgesourcten Servicegesellschaften Hoffnung gab. Das Klinikum Nürnberg versucht aber weiterhin, die Angestellten mit Niedriglöhnen abzuspeisen und hat hierfür die Kolleginnen und Kollegen systematisch in zu niedrige Tarifstufen eingegliedert. Diese Eingruppierungen bedeuten Gehaltseinbußen von 300 bis 600 Euro im Monat.

Joana Terborg ist Gewerkschafts­sekretärin von Verdi Mittelfranken

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