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Aus: Ausgabe vom 09.03.2024, Seite 4 / Inland
Kriegskurs

Größtmögliche Eskalation

Umfragen zeigen klare Mehrheiten gegen Marschflugkörperlieferung. Union will dennoch neue Abstimmung im Bundestag
Von Kristian Stemmler
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Hat im Bundestag mehr Fans als in der Bevölkerung: Der Marschflugkörper TAURUS (Schrobenhausen, 5.3.2024)

Der innenpolitische Einsatz in der Debatte um eine mögliche Lieferung von TAURUS-Marschflugkörpern an die Ukraine erhöht sich. Während nunmehr gleich mehrere Umfragen eindeutig zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die Lieferung dieses Waffensystems ablehnt, will die Union in der kommenden Woche eine neue Abstimmung im Bundestag erzwingen – offensichtlich vor allem mit dem Ziel, die Ampelkoalition und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorzuführen, da es in den Reihen der FDP und der Grünen zahlreiche Befürworter der Lieferung gibt. Scholz hatte die Lieferung der Marschflugkörper zuletzt mehrmals nachdrücklich abgelehnt.

Allerdings – und darin liegt vor den anstehenden Wahlterminen ein Risiko für die TAURUS-Freunde – hat Scholz in diesem Punkt die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Laut dem am Freitag publizierten ZDF-»Politbarometer« lehnen 59 Prozent der Befragten eine Lieferung der Marschflugkörper an die Ukraine ab, nur 34 Prozent sind dafür. Die Ablehnung ist am größten bei Anhängern der SPD (65 Prozent), der Linken (57 Prozent), der Freien Wähler (69 Prozent), BSW (85 Prozent) und AfD (90 Prozent). Sogar bei den Unionsparteien sind 47 Prozent der Anhänger gegen eine Lieferung und nur 45 Prozent dafür. Nur bei Grünen und FDP sind die Befürworter knapp in der Mehrheit.

Ein weitgehend ähnliches Bild ergab der am Donnerstag veröffentlichte ARD-»Deutschland-Trend«. 61 Prozent der Befragten sprachen sich hier gegen die Lieferung aus, nur 29 Prozent dafür. Das Nein zieht sich demnach durch die Anhängerschaft aller Parteien – einmal mehr mit Ausnahme von Grünen und FDP.

Seine Fraktion werde die TAURUS-Lieferung am kommenden Donnerstag »zur namentlichen Abstimmung im Bundestag stellen«, hatte dennoch der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion, Thorsten Frei, der Rheinischen Post (Freitag) gesagt. In dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, »endlich unverzüglich der ukrainischen Bitte nach Lieferung von TAURUS-Marschflugkörpern aus verfügbaren Beständen der Bundeswehr in größtmöglichem Umfang zu entsprechen«.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kommentierte den Vorgang am Donnerstag abend im ZDF lakonisch mit den Worten, die Union dürfe beantragen, was sie wolle: »Ich bin aber auch frei darin, das als einen gewissen Grad an Klamauk mittlerweile zu empfinden.« Alle Debatten im Bundestag zum Thema Ukraine-Unterstützung drehten sich nur noch um den TAURUS. Mit einer Mehrheit könne die Union aber nicht rechnen, so Kühnert. Im Koalitionsvertrag sei klar geregelt, dass die Koalitionspartner sich gemeinsam auf politische Inhalte verständigen und nicht Oppositionsanträgen zustimmen, »auch wenn Frau Strack-Zimmermann das nun in der letzten Sitzungswoche anders gesehen hat«.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, hatte vor zwei Wochen für den Unionsantrag gestimmt. Gegenüber T-online hat sie bereits angekündigt, so auch am kommenden Donnerstag zu verfahren. »Meine Meinung ist bekannt und wird sich auch nicht mehr ändern. Ich werde mich bei weiteren Abstimmungen entsprechend verhalten«, sagte sie. Auch der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki hatte im Münchner Merkur bereits Anfang der Woche angekündigt, für den neuen Unionsantrag stimmen zu wollen. Schon beim letzten Mal hätte seiner Ansicht nach mindestens ein Dutzend weitere Kolleginnen und Kollegen gern dem Unionsantrag zugestimmt, sich aber der Koalitionsdisziplin gefügt, so Kubicki.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) stellte sich unterdessen bei einem Besuch in Finnland beim Thema TAURUS hinter den Kanzler. Dieser habe mehrmals erklärt, dass es »eine entscheidende Linie« gebe, »die wir niemals übertreten werden: nämlich Kriegspartei zu werden«, sagte Pistorius während seines Besuchs bei seinem finnischen Amtskollegen Antti Häkkänen in Helsinki. Dies sei der Grund, »warum TAURUS bis jetzt nicht geliefert wurde«. Die Raketen könnten »an der einen oder anderen Stelle helfen«, sagte der Minister. Langstreckenraketen würden den Krieg aber nicht entscheiden.

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  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (10. März 2024 um 17:34 Uhr)
    Bei öffentlichen Auftritten, besonders vor Wahlen, bekennen und präsentieren sich die gestandenen oder die nach Mandaten strebende Politikerinnen und Politiker vorgeblich als glühende Verfechterinnen und Verfechter der Demokratie. Unermüdlich bekunden sie ihre unbedingte Achtung des Wählerwillens und ihre enge Verbundenheit mit den Bürgerinnen und Bürgern. Auch fühlen sie sich den christlich-liberalen Werten und ihrem Gewissen verpflichtet. Dem stehen Entscheidungen in Landesparlamenten und insbesondere im Bundestag entgegen, die dem Mehrheitswillen der Bevölkerung widersprechen. Unüberhörbar und kräftig wird weiter für Waffenlieferungen und Sanktionen die Kriegstrommel gerührt, auch wenn damit wissentlich die Lunte an das Pulverfass eines möglichen nuklearen Weltkrieges gelegt wird. Ohne Sinn und Verstand, getrieben vom Streben nach einer europäischen Vormachtstellung in der EU und Nato, eifern Parteien und Politiker um die nunmehrige Taurus-Lieferung. Merz, Strack-Zimmermann und Co wollen mit aller Macht den Kanzler politisch in die Knie zwingen und damit erneut eine Mauer friedenssichernder Vernunft niederreisen. Trotz, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gegen die teuflische TAURUS-Waffenlieferung ist, wird erneut im Bundestag darüber abgestimmt. Motto: »Bis es passt! Egal, wie das gemeine Volk darüber denkt!« Da beweist der Papst einen erfreulich realistischen Blick auf die tatsächliche Politik und Machtverhältnisse und erkennt die Gefahren, diese zu ignorieren. Er steht der Umsetzung der Forderung »Frieden auf Erden« wesentlich näher, als viele CDU/CSU, FDP und GRÜNE/BÜNDNIS 90 Politiker. Möge die SPD , ihr Kanzler und der Verteidigungsminister dem Ruf des Volkes und der Worte aus dem Vatikan standhaft mit Taten folgen!
  • Leserbrief von Frank Lukaszewski aus z. Zt. Seebad Ahlbeck (10. März 2024 um 09:38 Uhr)
    Die gesellschaftliche Militarisierung schreitet rapide voran. Unter anderem das Zentralorgan des BRD-Kapitals, also die FAZ (sollte man eigentlich nicht so nennen, da weite Teile des intellektuellen Establishments ja nur das Feuilleton läsen), drängte zuletzt mehrfach an prominenter Stelle im Wirtschaftsteil dazu, eine engere Verzahnung von militärischer und ziviler Forschung zu forcieren. Das führe dann zu positiven Effekten (für was und wen?). Diesen Appell vernahm man – äußerst wahrscheinlich nicht letztmalig – auch am 29. Februar 2024 unter der Überschrift, eine »Zeitenwende in der Forschung« sei zu fordern. Am darauffolgenden Tag stand die entsprechende Bitte an den politischen Überbau unter dem bezeichnenden Titel »Forschen mit zweifachem Nutzen«. Das Militär frohlockte wahrscheinlich, was die FAZ allerdings nicht schrieb. Vielleicht hätte sie beim russischen Geheimdienst nachfragen sollen. Als interessant darf gelten, dass ebenfalls am 29. Februar, komischerweise auch auf der Wirtschaftsseite Nummer eins besagter Zeitung ein mit passendem Namen ausgestatteter Herr Finsterbusch vom »Mauerfall in der Forschung« sprach. Was er damit wahrscheinlich sagen wollte: Es ist blöd, dass der Russe bei den absprachenfernen Ausweitungen der NATO seit 1990 nicht weiter stillzustehen gedenkt. Deshalb »braucht (es) eine wirksame Verteidigung, und für diese sind moderne Waffen nötig.« Seine rhetorische Frage folgt: »Sollten die Mauern zwischen ziviler und militärischer nun also eingerissen werden?« Selbstverständlich! Mauerfall war gut und würde nunmehr, Jubel assoziierend, mit den weiteren Bestrebungen vor allem des deutschen Militärs verbunden.

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