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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 4 / Inland
Narrativproduktion

Verschweigen und ablenken

TAURUS-Debatte: Die staatstragende Öffentlichkeit und der Luftwaffen-Leak
Von Reinhard Lauterbach
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In Erklärungsnot: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag in Berlin

Am vergangenen Wochenende glaubte die deutsche Qualitätspresse noch, den von russischer Seite ins Netz gestellten Mitschnitt einer Besprechung deutscher Offiziere über Varianten, wie man der Ukraine bis zu 100 der TAURUS-Marschflugkörper der Bundeswehr zur Verfügung stellen könnte, mit Verweis auf die Quelle diskreditieren zu können. Mit »Propagandistin Margarita Simonjan«, der Chefredakteurin von Russia Today, so die Annahme der meisten Macher der veröffentlichten Meinung, habe man alles Nötige zur Entlarvung beigetragen. Auch die aus dem Bundeshaushalt finanzierte Deutsche Welle war sich nicht zu schade, über »russische Staatspropaganda« zu schwadronieren. Der Inhalt dessen, was da unter »Kameraden« erörtert wurde, war es jedoch nicht wert, dem inländischen Publikum mitgeteilt zu werden.

Das änderte sich etwas, als die Bundesregierung die Authentizität des Mitschnitts am Sonnabend bestätigte. Nun galt es, die Kuh wieder vom Eis zu bekommen. Doch es ging weiter nicht darum, dass der höchste Offizier der deutschen Luftwaffe seinem Ruf als »dynamischer Antreiber« (FAZ) mehr als gerecht wurde, als er seine Untergebenen ermahnte, zu einem Vortrag bei Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bloß nicht wieder als Bedenkenträger aufzutreten und »Showstopper« zu erfinden. Denn das glaube sowieso keiner, »wenn andere Nationen SCALP und ›Storm Shadow‹ liefern«. Auch wenn, wieder Ingo Gerhartz, allen klar sei, dass diese Lieferung »den Krieg nicht ändert«, für einen zweifelhaften taktischen Erfolg also ein maximales Risiko eingegangen wird. Man war sich einig: Alle Versuche der Verschleierung seien letztlich »totaler Schwachsinn« (Gerhartz). General Frank Gräfe sekundierte: Es helfe nichts, »beteiligt ist beteiligt«. Die Offiziere wissen also, was sie tun und warum sie es tun, nämlich um in der Konkurrenz um Einfluss in Kiew nicht hinter die Lieferer der baugleichen SCALP-EG- und »Storm Shadow«-Marschflugkörper zurückzufallen, also Frankreich und Großbritannien.

Die Qualitätspresse war gefragt. Georg Ismar betrieb in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom Montag Rabulistik vom Feinsten: In Russland werde das Gespräch so interpretiert, »dass Bundeswehr-Offiziere offen über einen TAURUS-Einsatz und die Zerstörung der Brücke zur Krim diskutieren würden. Tatsächlich geht es ausschließlich um Fragen, unter welchen Bedingungen das System an die Ukraine geliefert werden und was die Ukraine damit machen könnte.«

Im übrigen zählt die böse Absicht, so Verteidigungsminister Pistorius sinngemäß: Die Russen wollten »uns« einschüchtern und spalten. Aber damit hätten sie sich geschnitten, trägt in der FAZ vom Dienstag deren Russland-Korrespondent Friedrich Schmidt bei. Der Russe sei nämlich ein Papiertiger, der werde schon nicht beißen. Alle bisherigen russischen Drohungen mit Atomwaffeneinsätzen seien auch nicht umgesetzt worden. Wissen diese »willfährigen Büchsenspanner« (laut Pistorius sind dies die TAURUS-Zauderer von AfD und BSW) eigentlich, was sie da schreiben?

Luftwaffen-Chef Gerhartz sagte in dem Mitschnitt, er »hoffe«, dass die Ukrainer genau über die Standorte russischer Raketenabwehrsysteme Bescheid wüssten. Man müsse »einfach mal probieren«, ob man an der russischen Abwehr vorbeikomme. Sind das die »Schlafwandler« auf dem Weg in den dritten Weltkrieg oder etwa doch die Bauchredner, die aussprechen, was die politische Führung eigentlich denkt, aber im Moment der Öffentlichkeit verschweigt? Auffällig ist, dass Pistorius sich »seine besten Offiziere« nicht abschießen lassen will – das klingt nach weitestgehender politischer Übereinstimmung mit dem Gesagten.

Und im abschließenden Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« der abgehörten Besprechung teilte der aus Singapur zugeschaltete uniformierte Unglücksrabe Gräfe mit, dass sein Interview für die SZ »problemlos und ohne Komplikationen« verlaufen sei. Das ist sie, unsere Qualitätspresse: problemlos und ohne Komplikationen die Kriegsvorbereitung begleitend.

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