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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 2 / Ausland
Tamilische Diaspora

»Alle meine Schulkameraden wurden getötet«

Tamilische Radtour für Menschenrechte macht auf Unterdrückung aufmerksam. Ein Gespräch mit Tharjan Jeyananthan
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Angehörige von während des Bürgerkriegs in Sri Lanka »verschwundenen« Tamilen protestieren in Jaffna (15.11.2013)

Sie haben wiederholt an der Tamilischen Radtour für Menschenrechte teilgenommen, die durch mehrere europäische Länder führte. Was ist Ihre Motivation, daran teilzunehmen?

Für mich ist das ganz einfach. Mit den Privilegien, mit denen ich als junger Tamile in Dänemark geboren wurde, sehe ich es als selbstverständlich an, für die Rechte der Tamilen zu kämpfen und auch die Ungerechtigkeiten, die den Eelam-Tamilen angetan wurden, anzusprechen.

Wir sind am 15. Februar in Großbritannien gestartet und sind in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Deutschland, Frankreich und der Schweiz gewesen. Den Abschluss bildet eine Demonstration vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf.

Sie haben neben der diesjährigen Tour auch eine Petition gestartet. Was wollen Sie mit dieser erreichen?

In unserer Petition fordern wir eine Untersuchung des jahrzehntelangen Völkermords und der Kriegsverbrechen durch das singhalesische Militär, ebenso wie die Freilassung aller politischen Gefangenen. Die permanente Militarisierung und die Landenteignungen in den tamilischen Gebieten müssen gestoppt werden. Wir wollen, dass unser Selbstbestimmungsrecht anerkannt wird. Dazu gehört auch die Anerkennung und Legalisierung der LTTE – der »Liberation Tigers of Tamil Eelam«.

Sie selbst waren als Kind während der revolutionären Phase in Tamil Eelam. Wann war das und woran erinnern Sie sich?

Im Juni 2004 ging ich zur Schule, schlief, aß und lebte mit 16 Jungen in Kantharuban Arivucholai. Dort erlebte ich das Gefühl, zu Hause zu sein und als Tamile in einem sicheren Land zu leben, das von der tamilischen Polizei und den Tamil Tigers geschützt wird. Alle meine Schulkameraden sind in der Endphase des Massakers von Mullivaikkal 2009 vom singhalesischen Militär getötet worden.

Ich habe viele gute Erinnerungen, aber die meisten von ihnen werden von den Greueltaten überschattet, die begangen wurden und weiterhin begangen werden. Viele dieser Erinnerungen kommen beim Radfahren auf den Landstraßen hoch.

Wie ist die soziale Lage der Tamilen in Sri Lanka? Gibt es positive Veränderungen nach dem Machtwechsel?

Die Situation ist gleich geblieben oder hat sich sogar verschlechtert. Die ökonomische Krise trifft die tamilische Bevölkerung am härtesten, da sie ohnehin weitgehend arm ist. Dazu kommt, dass Hilfsgüter oder -projekte grundsätzlich in den singhalesischen Süden weitergeleitet werden.

An Teilen der tamilischen Küsten findet ein gezielter Bevölkerungsaustausch statt. Tamilischen Fischern ist es dort generell verboten, ihrem Beruf nachzugehen.

Welche Auswirkungen hat diese strukturelle Diskriminierung?

Der Völkermord geht auf andere Weise weiter. Wir verlieren unser kulturelles Erbe. Unser Land wird uns weiterhin weggenommen. Die Angehörigen der Vermissten aus Zeiten des Bürgerkrieges sind immer noch auf der Straße und bekommen keine Antwort, was mit ihren Familienmitgliedern passiert ist. Das Leben ist für die Tamilen nicht besser, sondern schlechter geworden. Der Regierungswechsel nach dem Bankrott 2022 hat für uns keine Auswirkungen.

Was fordern Sie von der deutschen Regierung?

Sie sollte endlich aufhören, das Unterdrückerregime zu unterstützen. Vor einiger Zeit war wieder eine Parlamentariergruppe in Sri Lanka. Renate Künast von den Grünen und Vertreter von FDP, CDU und AfD wollten dort über die wirtschaftliche Konsolidierung sprechen, angeblich auch über Menschenrechte. Aber wir befürchten, dass sich das Regime dadurch bestätigt fühlt und eine vertiefte Zusammenarbeit angestrebt wird. Das kann nur zu unserem Nachteil sein. Mit uns hat bisher jedenfalls niemand gesprochen.

Die tamilische Flagge wird inzwischen in mehreren Städten in Deutschland verboten. Wie geht die tamilische Gemeinschaft damit um?

Das ist zum Glück nicht überall so. In Dänemark zeigen wir ganz selbstverständlich unsere tamilische Nationalflagge. Sie ist Teil unserer nationalen Identität. Niemand kann uns das wegnehmen. Es ist sehr zu kritisieren, dass die tamilische Nationalflagge in mehreren deutschen Städten verboten ist.

Tharjan Jeyananthan ist Mitglied der Tamil Youth Organisation (TYO) ­Dänemark

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