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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

Der Preis der Medaillen

Die Spitzensportreform als fortwährendes Desaster. Eine Betrachtung
Von Andreas Müller
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Kollektive Kopfarbeit: Turner bei ihrem Auftritt beim VII. Turn- und Sportfest 1983

Es scheint in diesem Land ein Ding der Unmöglichkeit, ein effizientes Fördersystem für den Spitzensport zu entwerfen. Ein 2016 gestarteter Versuch ist grandios gescheitert. Von föderalistischen Strukturen behindert, von Zuständigkeits- und Kompetenzgerangel begleitet und ohne klare Zielvorgabe, konnte das Vorhaben nur schiefgehen. Bei den Olympischen Spielen in Tokio vor drei Jahren belegte die Bundesrepublik im Nationenranking Platz neun und war nur eine Silbermedaille besser als Italien auf Rang zehn. Skeptiker unken, bei den Sommerspielen in diesem Jahr vom 26. Juli bis 11. August in Paris könnte es noch schlimmer kommen. Bei den Sommersportarten gibt es keine Domäne deutscher Athleten mehr wie das Rodeln oder das Bobfahren unter den Wintersportarten, deren Glanz den nüchternen Blick aufs Ganze trübt.

Die Substanz des DDR-Sports ist aufgebraucht. Die Vorzüge der damaligen Sportförderung wurden nie vorurteilslos anerkannt, geschweige denn als Vorbild genommen. Die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) wurden zu Eliteschulen des Sports (EdS), mit angeschlossenen Internaten. Sportler aus dem Osten, die noch bis ins fortgeschrittene Athletenalter mit Weltklasse aufwarteten, und Trainer, die an der umgehend abgewickelten Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig auch für die kleinsten olympischen Sportarten hervorragend ausgebildet wurden, sind nach und nach ausgeschieden – falls sie überhaupt für die BRD wirken durften.

Nun sind die Klagen groß. Der jüngste Referentenentwurf aus dem für den Leistungssport zuständigen Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) scheint kaum geeignet, dem hiesigen Leistungssport wieder auf die Beine zu helfen, wie die geharnischte Reaktion des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) vom Freitag zeigt. Dieses Papier stelle nach über zwei Jahren gemeinsamer Arbeit an einer Reform »die bisher vertrauensvolle Zusammenarbeit in Frage«, wetterte der Dachverband. Das Verhältnis ist vergiftet. Wie soll da ein tragfähiges Konzept entstehen? Wie soll so gemeinsam und verbindlich geklärt werden, ob deutsche Athleten – wieder – in größerem Stil um Medaillen kämpfen sollen oder ob andere Ziele Vorrang haben – es also reicht, immer irgendwie dabei zu sein?

Die Grundsatzentscheidung muss nicht zwangsläufig im Sinne des Medaillenzählens sein, obwohl Leistungssportler natürlich immer gewinnen wollen. Die bisher gut 300 Millionen Euro an jährlicher Förderung allein vom BMI oder die beträchtlichen Hilfen von Bundeswehr oder Zoll könnten getrost reduziert werden, wenn die Berliner Politik andere Schwerpunkte setzen und im Spitzensport Mittelmaß akzeptieren will. Nur müsste der strategische Ansatz endlich einmal festgehalten, kommuniziert und die gesamte Sportförderung konsequent nach diesen Prämissen ausgerichtet werden, damit Athleten, Trainer, Funktionäre, Bürger, Wähler, Fans und andere Beobachter sich darauf einstellen können.

Kein ewiges »Jein« mehr auf die Frage nach Medaillenzielen, es muss Schluss sein mit dem ständigen Herum­lavieren. Das sorgt nur für Verunsicherung. Exemplarisch dafür steht der Streit um eine neue Leistungssportagentur, über die ab 2025 das Fördergeld verteilt werden soll. Der DOSB reklamiert für diese GmbH das uneingeschränkte Hoheitsrecht. Die Sportpolitiker und besonders die Haushälter des Bundestags sträuben sich dagegen. Sie wollen ihrerseits das Kommando haben oder zumindest viel Mit­sprache- und Vetorechte bekommen. Ein Gezänk und Gezerre, das keinen Meter voranbringt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (7. März 2024 um 10:15 Uhr)
    Andreas Müller macht sich wieder Mal Sorgen um die Außendarstellung und den Medaillenspiegel des deutschen Imperialismus. Ist es politische Naivität, wenn er sich auch noch darüber wundert, dass die Vorzüge der Sportförderung der DDR »nie vorurteilslos anerkannt wurden«?

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