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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 8 / Ansichten

Coup für Spekulanten

Aktienrente
Von Sebastian Edinger
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Blick in die Zukunft: Verzockt der Staat ihr Ruhegeld? (Rüdesheim, 28.2.2024)

Die Tendenz des finanzgetriebenen Kapitalismus, sich nach und nach in alle Lebensbereiche zu drängen und sich alles einzuverleiben, woraus sich Profit schlagen lässt, ist nicht neu. Seit Jahrzehnten vergeht keine Legislaturperiode, ohne dass den Renditejägern weitere Teile der sozialen Sicherungssysteme zum Fraß vorgeworfen werden. Dahinter bleibt auch die Ampelregierung nicht zurück, im Gegenteil: Mit der sogenannten Aktienrente könnte ein ganz großer Coup gelingen, der fast schon an die Zeit um die Jahrtausendwende und die radikal-neoliberalen Reformen der Regierung Schröder erinnert. Am Dienstag wurden die Pläne vorgestellt.

200 Milliarden Euro sollen demnach bis Mitte der 2030er Jahre als Kapitalstock zusammengeklaubt werden, um dann auf den Finanzmärkten verbrannt zu werden. Der dank FDP-Regierungsbeteiligung, Vorfahrt für »grüne« Wahlgeschenke und Schuldenbremse ohnehin unerträgliche Kürzungsdruck muss also erst mal weiter steigen. Irgendwo muss das Geld ja schließlich herkommen. Dafür sollen später mit den vermeintlichen Renditen Beitragserhöhungen und Rentenkürzungen vermieden werden. Das könnte vielleicht klappen – zumindest so lange die Kurse steigen, die spekulativen Blasen weiter aufgebläht werden und die Profite sprudeln.

Manchmal ist das ja so, an den Finanzmärkten. Bis es knallt, die Blasen platzen und die Investoren dumm aus der Wäsche gucken. Alle, bis auf den deutschen Staat? Schließlich handelt es sich bei der Aktienrente ja nicht um Zockerei, sondern um »langfristig gut angelegtes Geld«, wie Heil am Dienstag bei der Vorstellung der Pläne zwecks allgemeiner Beruhigung betonte. Doch es nützt ja nichts: Wenn die Kohle weg ist, ist sie weg. Dann kann eine künftige Regierung die gerissenen Löcher zwar noch von einem Schattenhaushalt in den anderen schieben und sie notdürftig verstecken. Futsch ist das Geld der Steuerzahler trotzdem. Und wenn dann nicht die Rentner für die staatlichen Fehlspekulationen einspringen sollen, muss es jemand anders tun.

Kann passieren, doch das ist weit weg. Jetzt geht es erst mal darum, die Finanzjongleure zu füttern. Als Argument wird ins Feld geführt, die einzige Alternative dazu seien mittelfristig steigende Beiträge und sinkende Renten. So ein Quatsch, wurde doch in den vergangenen Jahren mehr als einmal vorgerechnet, dass die umlagefinanzierte Rente sehr wohl langfristig funktionieren würde und zudem längst überfällige Rentenerhöhungen finanzieren könnte – wenn endlich alle in das System einzahlen würden, vom Beamten über den Unternehmer bis zum Politiker, und wenn alle Einkommen – auch die großen, auch die aus Kapitalerträgen – verpflichtend einbezogen werden. Das träfe jedoch vor allem die Wählerklientel von FDP und Grünen, ist also keine ernsthafte Option.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (6. März 2024 um 13:23 Uhr)
    Nach der Blüm-Lüge, dem Riester-Diebstahl und dem Rürup-Betrug kommt nun also der Lindner-Raub. Und am Ende? Da bleibt dann für viele nur noch der Rentner-Suizid. Aber vielleicht gibt es dafür vorab ja noch eine staatliche Abwrackprämie.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christoph H. aus W. (5. März 2024 um 21:11 Uhr)
    Ich fürchte, Sebastian Edinger hat da etwas nicht ganz verstanden. Man kann die Aktienrente für ein windiges Konzept halten und stattdessen die bekannten Vorschläge zur Stützung des Umlagesystems favorisieren. Man kann die Aktienrente auch als Sozialdemokratismus bzw. bürgerlich-systemimmanenten/staatskapitalistischen Irrweg ablehnen und lieber die Revolution vorbereiten. Aber wenn FDP-Lindner Kredite aufnimmt (!) und mit dem Geld dann Aktien kauft und somit Unternehmen teilverstaatlicht (!), und dann... - wenn es gut läuft, immerhin einen Teil des expropriierten Mehrwerts an diejenigen zurückreicht, denen er ursprünglich abgeknöpft wurde (!) - wenn es schlecht läuft, mit der Staatskasse haftet (!) und nicht die Rentner bluten läßt ...wäre ich jedenfalls bereit, mir das mal vorführen zu lassen.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (6. März 2024 um 22:06 Uhr)
      Ich fürchte, dass Christoph H. aus W. etwas nicht ganz verstanden hat. Wie soll durch Aktienkäufe etwas (teil-)verstaatlicht werden? Wir wissen aus der Vergangenheit, dass mit Verstaatlichung die Verluste sozialisiert und mit Eintritt der Profitabilität selbige privatisiert wurde. Nun, die RenterIn blutet nicht, sie geht am Stock. Der wird ihr, wenn der Staat haften muss, auch noch weggehauen. Wer füllt denn die Staatskasse, Herr W. aus H.? Die Herren Lindner oder Merz?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (6. März 2024 um 14:11 Uhr)
      »Jeder Aktienkauf ein Schritt hin zum Sozialismus.« Wieso ist da eigentlich früher keiner drauf gekommen? Gilt eigentlich auch die Umkehr: »Jeder Kursverlust ein Schritt zurück in der Menschheitsgeschichte«? Man möchte nicht glauben, dass es möglich ist, gerade die FDP für einen Vorkämpfer von Gerechtigkeit und Kommunismus zu halten.
  • Leserbrief von Hagen Radtke aus Rostock (5. März 2024 um 20:55 Uhr)
    Ich finde das mit der Aktienrente super. Man muss es doch mal so sehen: Der Staat erwirbt Eigentum an Produktionsmitteln, um damit die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Das ist das sozialistischste Projekt seit langem. Für 200 Milliarden könnte der Staat zum Beispiel Mercedes, BMW, die Deutsche Bank und Vonovia verstaatlichen. In der Praxis werden die Anteile wohl breiter gestreut, aber das Prinzip bleibt dasselbe: Mehr staatliche Kontrolle der Wirtschaft, denn es entstehen demokratisch legitimierte Stimmrechte bei Aktienkonzernen. Eine progressive Sache, die ich von der FDP nicht erwartet hätte.

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