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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Umweltverschmutzung

Vermeiden statt umdisponieren

CO2-Abscheidung könnte sinnvoll eingesetzt werden, wenn Verkehrs- und Bauwende eingeläutet würden
Von Wolfgang Pomrehn
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CBR-Logo in Antoing, 27.2.2024

Was sind die nicht oder nur schwer vermeidbaren Emissionen, von denen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht, die er durch CO2-Abscheidung (CCS) kompensieren will? Halbwegs sinnvoll eingesetzt werden kann die Technik nur bei großen, industriellen Emittenten. Ein Einfangen von Treibhausgasen aus Autos, Lkw oder Dieselloks ist nicht denkbar. Für die gäbe es ohnehin sinnvollere Lösungen: Erheblich mehr elektrischen öffentlichen Nahverkehr, die Bahn endlich vollständig elektrifizieren und den nicht vermeidbaren Pkw- und Lkw-Verkehr auf Elektromotoren umstellen. Doch da stehen die deutschen Verkehrsminister seit Jahrzehnten auf der Bremse.

Die großen Emittenten sind derweil zum einen die industriellen und öffentlichen Kraftwerke, die noch immer mit Kohle oder Erdgas betrieben werden. Ausschließen will Habeck CCS nur für Kohlekraftwerke. Für Gaskraftwerke sei die Technik »wahrscheinlich« zu teuer, meint er, und hofft, dies über einen höheren Preis für die CO2-Emissionen steuern zu können. Doch selbstverständlich kann er nicht garantieren, dass künftig tatsächlich ein hoher CO2-Preis die hiesigen Gaskraftwerksbetreiber davon abhält, weiter besonders klimaschädliches Frackinggas aus den USA zu verbrennen, weil sie ihre Emissionen rechnerisch mit CCS kompensieren können. Genauso wenig kann er im übrigen ausschließen, dass ein weiter gesteigerter CO2-Preis letztlich von den Endverbrauchern über die Energierechnung oder über verteuerte Konsumgüter gezahlt werden muss.

Neben den Kraftwerken gibt es in der Industrie noch einige andere Kandidaten für die CCS-Anwendung. Zum Beispiel die Stahlindustrie: Beim Einschmelzen von Eisenerz wird Koks beigegeben, das mit dem im Erz gebundenen Sauerstoff zu CO2 reagiert. Reduktion nennen das die Chemiker. Zurück bleibt vom Sauerstoff befreites Roheisen und jede Menge Treibhausgasemissionen. Die lassen sich jedoch durchaus vermeiden, wie inzwischen schon schwedische Stahlwerke demonstrieren. Die zum Schmelzen notwendige Energie kann auch Wind- oder Solarstrom liefern, und die Sauerstoffreduktion kann durch in den Hochofen gepumpten Wasserstoff erfolgen. Auch in Deutschland wird mit dieser neuen Technologie bereits experimentiert, aber wenn es ganz schlecht läuft, könnten die CCS-Pläne falsche Anreize schaffen und Innovation verhindern.

Ähnlich ist es in der Zementindustrie. Bei der Vorstellung seiner CCS-Initiative hatte Habeck Dominik von Achten, den Vorstandsvorsitzenden von Heidelberg Materials, Deutschlands größtem Zementhersteller, mit aufs Podium gebeten, der lebhaftes Interesse an der CCS-Technologie bekundete. Zement ist der Grundstoff des allgegenwärtigen Betons. Das Problem bei seiner Herstellung ist zum einen der hohe Einsatz von Energie, die heute meist von Erdgas geliefert wird. Dieses ließe sich allerdings auch durch Wasserstoff ersetzen, wie es bei Heidelberg Materials bereits demonstriert wurde. Der Wasserstoff ließe sich wiederum per Elektrolyse durch Wind- oder Solarstrom erzeugen. Oder man setzt direkt Strom ein, wie es das schwedische Unternehmen Salt X vormacht.

Zum anderen blieben aber noch immer etwa 60 Prozent der CO2-Emissionen, die auf chemischem Wege beim Kalkbrennen, also der Erzeugung von Zement, entstehen. Doch auch diese ließen sich ohne CCS in den Griff bekommen. Oft kann Zement durch andere Baustoffe ersetzt werden. Zum Beispiel durch verleimte Holzelemente, die seit den 1990ern vermehrt eingesetzt werden, und mit denen inzwischen in Oslo, Chicago oder auch Berlin vielstöckige Häuser gebaut werden. Holz hätte nebenbei den Vorteil, dass in den Gebäuden langfristig CO2 aus der Luft gebunden würde. Davon abgesehen lassen sich die Emissionen der Zementherstellung aber auch erheblich verringern, falls die Abgase chemisch im Beton gebunden würden, was langfristig ohnehin geschieht. Für all diese Ansätze gibt es bereits Pilotanlagen und Forschungsprojekte, aber auch hier sind nun Industrie und Bundesregierung mal wieder auf dem besten Wege, mit falschen Anreizen, Innovation zu unterdrücken.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (6. März 2024 um 16:41 Uhr)
    Einen hab ich noch zum »Holzbau«. Wer in Geschichte aufgepasst hat, wird sich an »Raubbau am Wald« erinnern. Ganze Landstriche sind immer noch entwaldet und teils sogar Wüste. Und damals gab es noch um Größenordnungen weniger Menschen. Was würde wohl passieren, wenn man Beton durch Holz ersetzte? Brauchen wir da wirklich einen Taschenrechner, um die Machbarkeit zu prüfen? Mal ganz davon ab, dass man Beton eben nicht uneingeschränkt durch Holz ersetzen kann. Die Projekte, von denen Herr Pomrehn schreibt, können nur glänzen, weil sie allein auf weiter Betonflur stehen (https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/uns-eine-zukunft-bauen-102.html). Wir schaffen noch nicht einmal nachhaltige Holzwirtschaft mit unserem jetzigen Bedarf. Gerne mal die FSC-Lüge recherchieren und global gucken, z. B. Skandinavien, wo Ikea ganze Arbeit geleistet hat und sehr liberal mit der Definition von »Wald« umgeht, damit man nach Kahlschlag noch von einem solchen heucheln kann. Gab da ’ne schöne Doku, die ich gerade nicht finden kann. Das wird alles nichts, wenn man sich einredet, dass wir ohne (schmerzliche) Einschnitte in unser bequemes Leben so weitermachen können. Herr Pomrehn wähnt sich zwar auf dem richtigen Pfad, tappt dann aber leider immer wieder in die Falle. Übrigens brauchen Solarzellen immer noch ca. sechs Jahre, bis sie sich energetisch amortisiert haben, d. h. erst dann haben sie die Energie »erzeugt«, die ihre Herstellung gekostet hat. Ich bin ja schon allein wegen der zunehmenden Naturkatastrophen skeptisch, dass nicht ein Gutteil vorzeitig zerstört wird. Auch sowas fehlt in der Rechnung, wie viele Solarzellen wir wirklich brauchen. Ich bin da ja, wie gesagt, ganz bei Niko Paech, der von Entropie (wie in der Thermodynamik) spricht. Ich bin nicht sicher, ob man das tatsächlich mit der physikalischen Größe darstellen kann, aber die Tendenz ist die gleiche: Wir wenden Energie auf und ernten Entropie, nur rückwärts geht das nicht, wie in der Thermodynamik.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (5. März 2024 um 20:56 Uhr)
    Ich gehe davon aus, dass Herr Habeck es nicht nur nicht ausschließen kann, dass die EndverbraucherIn auf dem CO2-Preis sitzen bleibt, sondern das - unausgesprochen - plant. Denn: Der Markt regelt es. Zu Zement bzw. Beton wäre zu sagen, dass eine systematische Rückführung (»Kreislaufwirtschaft«) möglich wäre. Beton nimmt nämlich im Laufe seines Lebens Kohlenstoffdioxid auf, langsam zwar, aber immerhin. Am Ende seines (heute üblichen) Lebens wandert er als Schutt auf die Deponie. Mittels geeigneter Ausscheidung aus Bauschutt könnte er feinst gemahlen frischem Beton zugesetzt oder CO2-Entnahme aus der Atmosphäre zugeführt werden. Im Projekt C2inCO2, das von 2020 bis 2023 lief, wurde dies erforscht: https://co2-utilization.net/de/projekte/co2-mineralisation/c2inco2/ , https://co2-utilization.net/fileadmin/user_upload/PRO_CO2-Win_C2inCO_DE.pdf, https://co2-utilization.net/de/projekte/co2-mineralisation/c2inco2/interview-mit-herrn-dr-dirk-schmitt-heidelbergcement-ag/
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (6. März 2024 um 16:07 Uhr)
      Man beachte die Quelle; wieder nur Greenwashing, »Pilot«-Anlage etc. pp. Von der Energiebilanz keine Spur, nicht mal eine theoretische Betrachtung. Es wird von Prozenten gesprochen, wo man Reduktionen um Größenordnungen, also Zehnerpotenzen, bräuchte. Das ist also genau so ein »Weiter so«-Projekt, das mit Taschenspielertricks eine Nichtlösung als Erfolg verkauft. Das gilt übrigens auch für die Vorschläge von Herrn Pomrehn. Klar, man kann (!) Stahlwerke mit Strom aus Wind/Solar und »grünem« Wasserstoff aus Wind/Solar betreiben, nur fehlt der dann woanders. Wir sind Jahre, eher Jahrzehnte, davon entfernt, unsere ursprünglichen Ausbauziele für Erneuerbare zu erreichen, und, ganz wichtig, da war und ist sowas nicht (!) einkalkuliert. Nur als Anhalt für die Größenordnungen: Der Chef der Lufthansa sagte kürzlich, dass man ca. das sechsfache an erneuerbarer Energie bräuchte, um nur diesen Luftfahrtkonzern »grün« zu betreiben. Für ein einziges Stahlwerk bräuchte man das Äquivalent eines mittleren Kraftwerks für die Heizung des Hochofens und Gewinnung von Wasserstoff aus Wasserelektrolyse; nicht umsonst fahren da Züge voll Kohle, wie bei Kohlekraftwerken, rein. Das gleiche gilt natürlich für alles, wo man den massiven Einsatz thermischer Energie über den Umweg der elektrischen ersetzen will, wobei die direkte Heizung noch am effizientesten ist. Warum heizt niemand bei Verstand seine Wohnung mit Strom? Bingo! Wir müssen massiv (!) unseren Bedarf an derlei Industrie reduzieren; wieder: Nullen streichen und nicht um Prozente feilschen! Und dann haben wir noch nicht drüber gesprochen, dass man Elektrolyse von Wasser nicht ohne Elektrolyte machen kann. Was kostet deren Herstellung und Entsorgung bzw. Recycling, energetisch und umwelttechnisch? Das sind alles Fragen, die nur zu gern ausgeblendet werden. Diese Alibilösungen für die Restprobleme nützen nichts, wenn man die Elefantenprobleme nicht angeht. Ich empfehle Niko Paech: Postwachstumsgesellschaft – nach massiver Schrumpfung!

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