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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Umweltverschmutzung

Zurück in die Zukunft

Fossiles Rollback: Bundesregierung bereitet Rahmen für Lagerung von CO2 unter der Nordsee vor
Von Wolfgang Pomrehn
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Forschen für CCS: Messgeräte auf dem Grund des Mittelmeers (20.5.2011)

Die Ampelkoalition bereitet einen rechtlichen Rahmen für die Abscheidung und Einlagerung von Kohlendioxid (CO2) vor. Das Treibhausgas soll am Ort seiner Entstehung eingefangen, verflüssigt, durch Pipelines gepumpt und schließlich in den Boden unter der Nordsee verpresst werden. Meist wird die Technologie mit ihrer englischen Abkürzung CCS benannt, die für Carbon Capture and Storage (Kohlenstoffabscheidung und -lagerung) steht. Technisch sinnvoll ist sie – wenn überhaupt – nur für industrielle Großanlagen wie Zement-, Stahl- oder Kraftwerke. Erprobt wurde sie bisher, anders als von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) bei der Vorstellung seines Vorhabens behauptet, nur in einem eher bescheidenen Umfang. Vor allem Norwegen setzt verflüssigtes CO2 bisher ein, um es in Erdgas- und Erdöllagerstätten zu pumpen. In Australien plant man ähnliches, um die Ausbeutung der wertvollen Vorkommen zu verbessern, was wiederum CO2-Emissionen zur Folge haben wird.

Habeck zufolge soll auch in Deutschland künftig im großen Stil CO2 eingefangen und zum Teil exportiert, zum Teil aber auch vor der Nordseeküste in den tieferen Untergrund gepresst werden. Erdöllager gibt es dort nur unter dem Wattenmeer, das der Grünen-Politiker allerdings auszunehmen verspricht. In Naturschutzgebieten solle kein CO2 in den Untergrund gepumpt werden.

Als erster Schritt wurden vergangene Woche zwei Eckpunktepapiere sowie der Entwurf einer Änderung des sogenannten Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes vorgelegt. Letzterer muss nun noch in den anderen Ministerien diskutiert werden, bevor ihn erst das Kabinett und dann der Bundestag verabschieden können. Unter anderem wird mit ihm das bisherige Verbot für den Transport von CO2 in Pipelines aufgehoben. Habeck geht davon aus, dass ein Teil des bisherigen Erdgasnetzes für CO2 umgerüstet wird. Ob das realistisch ist, bleibt zunächst offen, denn auch für die neue Wasserstoffwirtschaft, die die Bundesregierung aufgebaut sehen will, wird bereits Anspruch auf einen Teil des Pipelinenetzes erhoben.

Auch die Finanzierung ist weitgehend unklar. Der Energieminister nimmt an, dass auch ein künftiges CO2-Pipeline-Netz privat betrieben wird. Eine noch stärkere Bepreisung der CO2-Emissionen soll über marktwirtschaftliche Mechanismen für die Finanzierung sorgen. Allerdings wird, zumindest in der Anfangszeit, auch an staatliche Förderung gedacht. Dominik von Achten, Vorstandsvorsitzender des großen Zementherstellers Heidelberg Materials, der zu den potentiellen Nutzern der neuen Technologie gehört, machte vergangene Woche vor der Presse in Berlin klar, dass es ohne staatliche Beihilfen nicht gehen wird.

Für die Bestimmung der Gesteinsschichten im Untergrund, die für eine Speicherung von CO2 in Frage kommen, ist schon nach bisheriger Gesetzeslage die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zuständig. Unter anderem gehört zu ihren Aufgaben, zu prüfen, ob Nutzungskonflikte mit der Grundwasserentnahme vorliegen. In der Vergangenheit fiel die Behörde durch besonders große Nähe zur Industrie auf.

Entsprechend gibt es viel Kritik an den CCS-Plänen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht zum Beispiel ein »Roll-back in die fossile Vergangenheit«. Der Fortsetzung »fossiler Geschäftsmodelle« werde »Tür und Tor geöffnet«. Kritisiert wird vor allem die Kombination des Ausbaus der Infrastruktur für Flüssiggas (LNG) mit der Erlaubnis für CCS an Gaskraftwerken. Letzteres stelle ein Kehrtwende dar. Noch auf der letzten UN-Klimakonferenz habe die Bundesregierung CCS für Gaskraftwerke ausgeschlossen.

Außerdem weist die DUH auf mögliche Gefahren für das Meeresleben hin. Constantin Zerger, Bereichsleiter Energie und Klimaschutz der DUH sagte »Bereits jetzt ist der Druck auf die Nordsee hoch, nicht zuletzt durch die ambitionierten und richtigen Pläne für den Ausbau der Offshore-Windenergie. Zusätzlich mit der Speicherung von CO2 den großflächigen Ausbau einer neuen Infrastruktur aus Bohrinseln, Pipelines und Kabeln zuzulassen, hätte für das Ökosystem jedoch verheerende Folgen.«

Kommentar

Deutschland hat gerade den mit großem Abstand wärmsten Februar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hinter sich, während in Australien die Thermometer zum Teil auf über 50 Grad Celsius klettern und extreme Trockenheit die Wälder zu Pulverfässern macht. Ähnlich wie in verschiedenen Ländern Lateinamerikas. In Chile starben Anfang Februar über 100 Menschen durch Waldbrände, und in Brasilien, Venezuela und Bolivien brennt der Regenwald, nach dem das Amazonasbecken gerade die schlimmste Dürre seit Menschengedenken durchlebt hat.

Satellitendaten zeigen dort für Februar die höchsten Waldbrandemissionen seit mindestens 2003. Aktuell erlebt der Norden des US-Bundesstaats Texas einen der größten Buschbrände der US-Geschichte, kaum ist der Winter vorbei. Gleichzeitig ist der Nordatlantik wie auch die anderen Weltmeere so warm wie nie, und die höhere Verdunstung führt in Teilen Westeuropas zu extremen Niederschlägen, die in den vergangenen Wochen, zum Beispiel in Teilen Großbritanniens, die Wintersaat vernichten und hierzulande vor allem an den Flüssen Niedersachsens erhebliche Schäden angerichtet haben.

Die Klimakatastrophe klopft also mal wieder mit Macht an die Tür, und man sollte meinen, dass die Bundesregierung da wenigstens ihr unzulängliches Klimaschutzgesetz umsetzt. Doch mitnichten. In den Sektoren Heizen und Verkehr geschieht seit Jahren zu wenig, und der Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) verweigert die Arbeit, legt kein Maßnahmenpaket vor, das die Treibhausgasemissionen endlich zumindest auf die – viel zu hohen – gesetzlichen Höchstgrenzen herabdrücken würde. Statt dessen bereitet das Bundeswirtschaftsministerium nun den Rahmen für die Abtrennung und die bei Umweltschützern wie Bürgern ziemlich unbeliebte Einlagerung von CO2 im Untergrund (CCS) vor. Ein Prozess, der höchst energieaufwendig ist, und dessen langfristige Sicherheit entgegen den Beteuerungen des Wirtschaftsministers fragwürdig bleibt.

Doch in einem hat Habeck recht: Schon im nächsten Jahrzehnt müssen wir beginnen, der Atmosphäre Treibhausgas zu entziehen. Das ist in den Klimawissenschaften schon seit längerem klar, aber noch nicht so richtig ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Anders werden wir keine Chance haben, zumindest die schlimmsten Auswüchse des Klimawandels zu verhindern. Nur muss das eine zusätzliche Maßnahme sein, zusätzlich zur schnellen und drastischen Verminderung der Emissionen. Zu befürchten ist angesichts der regierungsamtlichen Untätigkeit und der Kriminalisierung von Klimaschützern allerdings, dass die neue CCS-Technologie nur als Ausrede dienen wird, den Klimaschutz (noch) weiter zu verschleppen. (wop)

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