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Aus: Ausgabe vom 06.03.2024, Seite 1 / Inland
Altersruhe

Pläne für Aktienrente

Gesetzentwurf: Ministerduo Heil und Lindner stellt »Rentenpaket II« vor
Von Sebastian Edinger
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»An den Finanzmärkten zocken gehen«: Minister Christian Lindner und Hubertus Heil am Dienstag in Berlin

Die Ampelregierung löst ein Wahlversprechen ein, das dem Finanzkapital 2021 mit dem Koalitionsvertrag gegeben worden war: Mit dem sogenannten Renten­paket II soll die Altersvorsorge für profitgierige Spekulanten geöffnet werden. Das geht aus den am Dienstag von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorgestellten Reformplänen hervor.

Demnach soll der Bund bis Mitte der 2030er Jahre einen Kapitalstock von 200 Milliarden Euro aufbauen und damit an den Finanzmärkten zocken gehen. Aus den Profiten sollen dann jährlich Zuschüsse an die Rentenkasse gezahlt werden, kündigte Lindner an. Die Rentenversicherung erhalte damit zusätzlich zu den Beiträgen und Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt eine dritte Finanzierungsquelle – zumindest so lange die Kurse steigen. Crashen die Finanzmärkte, dürften neben Zockern auch Rentner in Mitleidenschaft gezogen werden.

Laut dem Gesetzentwurf rechnet die Bundesregierung damit, dass der Rentenbeitrag aus demographischen Gründen in den nächsten Jahren von aktuell 18,6 auf 22,3 Prozent steigt. Bis 2045 könnte der Beitrag sogar auf 22,7 Prozent steigen – es sei denn, die Renten werden für Finanzinvestoren geöffnet. So soll es nun kommen, steigende Lohnnebenkosten für die Kapitalseite sind schließlich unter allen Umständen zu vermeiden. Zur Beruhigung betonte Heil, es gehe um »langfristig gut angelegtes Geld«. Und überhaupt werde ja nicht das Geld der Bürger angelegt, sondern bloß jenes des Staates.

Kritik an den Rentenplänen kam unter anderem vom Paritätischen Gesamtverband, der die Maßnahmen als »gefährlichen Irrweg« bezeichnete. »Aktien auf Pump zu kaufen bringt kaum Rendite und ist extrem risikoreich. Die gesetzliche Rentenversicherung ist denkbar ungeeignet, um damit an der Börse zu spekulieren«, warnte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Der Verband plädiert für einen »Umbau des Rentensystems zu einer Bürgerversicherung, in die ohne Ausnahme alle einzahlen.«

Geht es nach der Ampel, soll das Rentenpaket II noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.

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  • Leserbrief von Günter Buhlke aus Berlin/Zürich (7. März 2024 um 13:18 Uhr)
    Eine Horrorrakete hat Minister Lindner mit seinem Vorschlag, Rentenbeiträge auf den Kapitalmarkt zu bringen (Rentenpaket II) gezündet. Das Casino des Finanzmarktes soll neue Chips für Spekulationsspiele erhalten. Noch ist nur ein kleiner Teil der Lehren aus der Systemkrise, in Folge von Spekulationen um 2008, verarbeitet. Gier und Sucht nach Gewinn treiben noch immer die Finanzwelt um. Sinnvoller wäre es, die Umsätze an den Börsen so zu versteuern, wie es in der materiellen Warenwelt üblich ist. Das entspräche auch dem Charakter eines Rechtsstaates. Mit nur drei bis fünf Prozent des Börsenumsatzes als Steuer wären die Geldsummen des Altersrentenbedarfs und eines Kapitalstocks gut gedeckt. Mister Tobin wäre zufrieden.
    Hinter Lindners Vorschlag steht pures Wunschdenken und Aktionismus. Beides war für die Politik nie hilfreich. Das Projekt ist Teil des Koalitionsvertrages. So teilt die FDP das Risiko, Geld für die Altersrenten via Aktien zu schaffen, mit der SPD und den Grünen. Dass Deutschland, die USA u. a. große Schuldenblasen haben, ist der Ampel vielleicht entgangen. Auch, dass Aktien in einem weltweiten Netz verteilt sind.
    Im übrigen zahlen nicht alle Bürger in die Altersrentenkasse ein. Die Masse der Rentner, die Lohnempfänger waren, werden z. Zt. dagegen zweimal besteuert. Die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich eher mit linken Abweichlern in Deutschland.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Manni Guerth, Hamburg Altona (6. März 2024 um 21:33 Uhr)
    Ob Renten, Gesundheitsversorgung, Bildung oder Arbeitswelt, seit über 60 Jahren wiederholt sich das Ritual der Mahner und Kritiker in der BRD in Form von leeren Worthülsen wie »eklatante Ungerechtigkeit« oder »das ist empörend« in unterschiedlichsten hohlen Phrasen. Das ist bewusst so gewollt. Warum? Weil es eine Form psychologischer Propaganda ist. Man will den Glauben stärken, dass wir in einem System leben, welches gerecht, intelligent und vernünftig erscheint. Es ist der Politik, mit der Hilfe der Medien, gelungen, ein Weltbild zu verbreiten, welches auf Gerüchte, Desinformation und Unwahrheiten beruht, dieses aber als gesunde Form von Demokratie darzustellen. Diese künstliche »Realität« erzeugt eine falsche Sichtweise. Es ist eine staatsfreundliche Sichtweise. Der Glaube und das Festhalten an den Staat ist ein Produkt medialer Propaganda. Es führt zur kognitiven Dissonanz beim Menschen, d. h. man sieht und hört etwas, blendet es aber aus, weil es nicht ins mediale Weltbild passt. Kapitalistische Propaganda erzeugt Angst. Angsterzeugung ist ein wichtiges Werkzeug, um Macht auszuüben. Je bedrohter die Menschen sich fühlen, je weniger werden sie abweichende Meinungen und Fakten, die ihr Weltbild verändern, akzeptieren und sie sind viel kontrollierbarer. Darum ist es sehr wichtig zu begreifen, dass die Medien im Kapitalismus ein Hauptfeind der arbeitenden Menschen sind.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinz-Joachim R. aus Berlin (6. März 2024 um 15:25 Uhr)
    Spekulanten als Regierung im Dienste vom Aktienkapital zu haben, kann keine anderen Ergebnisse zeitigen. Dabei denke ich wieder an die zwar nicht sehr hohen, aber auch nicht allzu unterschiedlich hohen Rentenbezüge in der Deutschen Demokratischen Republik, wie sie im Gegensatz zu hier und jetzt die un- und asoziale BRD kennzeichnen. Warum auch gehen Krankenkassenbeiträge etc. von der Rente ab? Und nur mal zur Erinnerung: in der DDR war die Netto-Rente identisch mit der Brutto-Rente. Frauen hatten mit 60 Jahren und Männer ab dem 65. Lebensjahr das reguläre Rentenalter erreicht. Übrigens gibt es in der Schweiz zwei aktuelle Ergebnisse von Volksinitiativen. Einerseits haben darin etwa 75 Prozent gegen eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters über 65 gestimmt und andererseits sprachen sich rund 58 Prozent für eine von den Gewerkschaften vorgeschlagene 13. Monatsrente aus. Zwar sind Parlament und Regierung typischerweise dagegen, allerdings haben die Kantone, so mir bekannt, sich dafür ausgesprochen. Wie wäre es hier mal mit Gewerkschaftsforderungen für ihre ehemaligen Mitglieder? Zu ergänzen wäre außerdem, dass überhaupt Forderungen, und hier ganz besonders bei Rentenzahlungen, wegkommen von den Prozenten, denn die mehr haben, bekommen so immer mehr und denen, die schon wenig erhalten, bleiben nur Almosen. Damit wird die Schere der Ungleichheit immer mehr geöffnet – der antagonistische Widerspruch zwischen oben und unten immer größer, so dass sich die bürgerliche Demokratie als hoffnungslose Illusion selbst zerlegt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (6. März 2024 um 14:24 Uhr)
    Nachdem es in den 90er Jahren gelungen ist, das Gesundheitswesen in eine sprudelnde Profitquelle zu verwandeln (mit all den bekannten Folgen für seine heute beklagenswerte Qualität), soll nun ein weiterer feuchter Traum des Kapitals Wirklichkeit werden: Auch die Rentenmittel zum Spekulationsobjekt machen zu können. Alte Weisheit: Spekulation nützt einzig dem Spekulanten. Alle anderen sollen lediglich nicht merken, auf welch infame Weise ihnen das Fell über die Ohren gezogen werden soll.
  • Leserbrief von Simon Gropp aus 68535 Edingen-Neckarhausen (6. März 2024 um 14:20 Uhr)
    Zitat aus der jW vom 08.02.2024: »Ihr jüngster Streich« (i.e. die Ampelregierung) »beim Abbau öffentlicher Daseinsfürsorge ist der Verkauf von Aktienbeständen der Deutschen Post AG im Wert von rund 2,2 Milliarden Euro«. Also müsste doch eigentlich – streng nach Logik der jW – der massive Ankauf von Aktien durch den Staat der Stärkung der öffentlichen Daseinsfürsorge dienen. So wie das auch in Norwegen und vielen anderen Ländern der Welt seit vielen Jahren erfolgreich gehandhabt wird.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. März 2024 um 10:41 Uhr)
    Es ist paradox, dass man die Rentenmittel teilweise aus Kapitalerträgen generieren möchte, während gleichzeitig der Wunsch besteht, dass Privatinvestoren davon profitieren. Wie kann die bestehende Summe für die Rentner effektiv maximiert werden, wenn gleichzeitig auch die Interessen der Privatinvestoren berücksichtigt werden sollen? Es scheint eine Unlogik zu sein, die einerseits auf die Absicherung der Rentner abzielt, andererseits jedoch die finanziellen Interessen externer Investoren in den Vordergrund stellt. Als 77-Jährige bin ich erleichtert, dass ich nicht mehr auf ein vermeintlich langfristig gut angelegtes Rentengeld angewiesen bin. Gleichzeitig bedauere ich jedoch, dass meinen Kindern und Enkeln ein Rentensystem überlassen wird, das offensichtlich von solchen Widersprüchen geprägt ist.
    • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (6. März 2024 um 11:08 Uhr)
      Da besteht nicht der geringste »Widerspruch«, sondern das liegt voll in der kapitalistischen Logik; nämlich systematische Schwächung und Plünderung der öffentlichen Rentenkassen und Transferierung von gigantischem Volksvermögen in die privaten Taschen von Spekulanten, also Raub. Wie so etwas läuft, hat uns unlängst doch schon die »Treuhand« im großen Stil vorgeführt. Schon vergessen?
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (6. März 2024 um 10:05 Uhr)
    Der nächste fundamentale Angriff der Herrschenden gegen das lohnabhängige Volk in diesem Lande. Erinnert sei daran, wie schwer es gewesen war, die gesetzliche Rentenversicherung vor nunmehr 135 Jahren zu erkämpfen. Sie war nämlich – entgegen anderslautenden Erzählungen - alles andere als ein »Geschenk« des damaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck an das Industrieproletariat des Zweiten Deutschen Kaiserreiches. Sollte man sie gerade deshalb vielleicht nicht doch wesentlich stärker verteidigen gegen alle heutigen Räuber und Sozialstaatszerstörer?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (6. März 2024 um 11:06 Uhr)
      Allerdings muss man auch erwähnen, dass die »Bismarck«-Rente ebenfalls kapitalgedeckt war, was dann mit und nach dem Ersten Weltkrieg, spätestens zur großen Inflation in die Katastrophe führte, gleich noch mal ab 1929, dann natürlich im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die ganzen »Riester«-Verträge sind ja auch Rohrkrepierer, nicht zuletzt dank geplatzter Blase (2007–2009) und der folgenden Nullzinspolitik der EZB. Das einzig sinnvolle Modell ist und bleibt das umlagefinanzierte. Blüm hatte insofern Recht mit »die Renten sind sicher«, als dass, solange Arbeiter Geld verdienen und Rentenbeiträge zahlen, auch Rentner Rente bekommen werden; ist alles nur eine Frage der Demographie und entspr. angepassten Beiträgen. Wirtschaftsleistung ist selbstverständlich auch ein Faktor, aber das ist er genauso, schlimmer gar bei Kapitaldeckung – ohne Wirtschaftsleistung keine Kapitalrendite.