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Aus: Ausgabe vom 04.03.2024, Seite 16 / Sport
Radsport

Noch ohne Tradition

Weiße Schotterwege zwischen Weinbergen, aber wenig Spannung: Die 18. Austragung der Strade Bianche in Siena
Von Holger Römers
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Solo bis zum Ziel: Tadej Pogačar (UAE Team Emirates)

Ob die Strade Bianche den Monumenten des Radsports gleichzustellen sind, ist eigentlich eine absurde Frage. Denn dem in Siena startenden und endenden Rennen, das seinen Namen hellen Schotterstraßen zwischen malerischen Weinbergen verdankt, fehlt die notwendige Tradition. Dass Sportmedien die besagte Frage im Zusammenhang mit der 2007 inaugurierten Veranstaltung regelmäßig aufwerfen, ist wohl nur mit entsprechenden Ansprüchen des Medienunternehmens RCS zu erklären, das fast alle wichtigen Radsportevents in Italien ausrichtet. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidung zu sehen, das Männerrennen in diesem Jahr noch schwerer zu gestalten und um 31 Kilometer auf überdurchschnittliche 215 Kilometer zu verlängern, davon ein Drittel auf Schotter. Das Ergebnis war dann freilich, dass es bei der 18. Austragung am Sonnabend leider vorschnell mit der Spannung vorbei war.

Als Tadej Pogačar (UAE Team Emirates) vor dem Start ankündigte, auf dem Monte Sante Marie anzugreifen, musste das nicht ernst genommen werden. Bekanntlich dienen solche Interviewaussagen allenfalls der Irreführung der Konkurrenz. Da der angesprochene zweitlängste Schotterabschnitt schon nach 131 Kilometern auf dem Programm stand, schien eine Realisierung des vorgeblichen Plans erst recht blödsinnig – zumal der 25jährige Slowene sich an seinem ersten Renntag des Jahres der eigenen Form erst noch vergewissern musste.

Nachdem sein Kollege Tim Wellens im stark ausgedünnten Peloton die Geschwindigkeit erhöht hatte, ritt Pogačar 81 Kilometer vorm Ziel aber tatsächlich die avisierte Attacke. Als – in Abwesenheit von Wout van Aert (Team Visma – Lease a Bike) und Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck), den Siegern von 2020 beziehungsweise 2021 – niemand mitgehen konnte, fuhr der zweifache Sieger der Tour de France kurzerhand solo bis zum Ziel.

Zwar machte Maxim Van Gils (Lotto Dstny) sich bald an die Verfolgung und konnte den Rest der Konkurrenz lange auf Abstand halten, doch da sein Rückstand auf Pogačar ständig wuchs, ließ sich der 24jährige Belgier aber vernünftigerweise wieder vom kleinen Fahrerfeld einholen. Für dessen Schwäche war indes bezeichnend, dass es Van Gils etwa 40 Kilometer vorm Ziel wieder davonfahren ließ. 20 Kilometer später schloss Toms Skujiņš (Lidl – Trek) auf, der seinerseits Kräfte verschleudert hatte, als er kurz nach dem Start einen Ausreißversuch unternahm und später durch einen Sturz und zwei Radwechsel zum Hinterherfahren genötigt war. Der 32jährige Lette konnte sich 500 Meter vorm Ziel absetzen und mit 2:44 Rückstand Zweiter werden. Vorjahressieger Thomas Pidcock (INEOS Grenadiers) lag indes als Vierter fast vier Minuten hinter Pogačar, dessen zweiter unangefochtener Sieg bei diesem Rennen eine noch erschreckendere Machtdemonstration war als die 50 Kilometer lange Solofahrt 2022. Über eine Minute nach Pidcock kam wiederum Christophe Laporte als Zehnter ins Ziel, somit Bester im erfolgsverwöhnten Team Visma – Lease a Bike, das im Verfolgerfeld zunächst überrepräsentiert, aber nie auf der Höhe des Geschehens gewesen war.

Das passte zur zwei Tage vorher in L’Equipe verkündeten Nachricht, dass sich mangels ausreichenden Interesses der World-Tour-Mannschaften der Plan des Visma-Team-Managers bereits zerschlagen habe, mit dem er den gesamten Sport umkrempeln wollte. Im Nebenamt als Verbandspräsident der Profiteams hatte Richard Plugge offenbar versucht, einen saudischen Fonds zur Investition von 250 Millionen Euro in eine neue Rennliga zu bewegen. Letztere sollte auf wundersame Weise das wirtschaftliche Kernproblem dieses Sports lösen: dass nennenswerte Profite nur die Tour de France erzielt.

Dass in Plugges Luftschloss anscheinend kein Raum für Frauen war, ist wiederum bezeichnend für das noch wackligere Fundament von deren Rennbetrieb. Bei den 10. Strade Bianche Donne war an der 137 Kilometer langen Strecke denn auch sichtlich weniger Publikum präsent als beim anderthalb Stunden später startenden Männerrennen – obwohl die Siegerin von 2017, die italienische Meisterin Elisa Longo Borghini (Lidl – Trek), wieder um den Sieg kämpfte und erst 500 Meter vorm Ziel von Lotte Kopecky (Team SD Worx – Protime) distanziert wurde. Die belgische Weltmeisterin hatte zehn Kilometer vorher aus einer kleinen Spitzengruppe attackiert, zu der auch ihre Kollegin Demi Vollering gehörte. Die niederländische Vorjahressiegerin konnte die Verfolgerinnen ausbremsen und sich schließlich im Zweiersprint um Platz drei gegen die bitterlich weinende Weltmeisterin in der Schotterspezialdisziplin Katarzyna Niewiadoma (Canyon – SRAM Racing) durchsetzen.

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