junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Dienstag, 30. April 2024, Nr. 101
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 04.03.2024, Seite 12 / Thema
Faschismus

»Weigert euch, Munition herzustellen!«

Vorabdruck. Der Arbeiterwiderstand im Deutschen Reich nach Beginn des Zweiten Weltkriegs
Von Ulrich Schneider
12_13.jpeg
Die von Anton Saefkow, Bernhard Bästlein und Franz Jacob geleitete Widerstandsgruppe agitierte in Berliner Rüstungsbetrieben gegen den Krieg. DDR-Gedenkbriefmarke für Anton Saefkow (1903–1944)

In der kommenden Woche erscheint im Kölner Papy Rossa-Verlag von Ulrich Schneider die Schrift »Arbeiterwiderstand im Dritten Reich«. Wir dokumentieren daraus mit freundlicher Genehemigung von Verlag und Autor einen Auszug aus dem Kapitel zum Widerstand während des Zweiten Weltkriegs. (jW)

Der Arbeiterwiderstand nach Beginn des Weltkriegs mit dem Überfall Deutschlands auf Polen war kein Massenwiderstand. Aber wenn man auf der einen Seite die verschiedenen regionalen Widerstandsgruppen betrachtet und auf der anderen Seite die Zahl der Prozesse vor dem Volksgerichtshof gegen Arbeiter sowie die Deportationen in die Lager und Haftstätten, dann wird erkennbar, welche Bedeutung und Dimension der Arbeiterwiderstand selbst in Zeiten des Krieges hatte.

Die ersten Signale aus dem Arbeiterwiderstand gegen den Krieg waren zwei Flugblätter. Das erste unter dem Titel: »Deutsches Volk! Der Krieg ist da – von Hitler herbeigeführt!« wurde von einem »Aktionsausschuss deutscher Sozialdemokraten und Kommunisten« herausgegeben, das zweite »Ich rufe die Jugend der Welt« vom Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), genauer der Widerstandsgruppe um Heinz Kapelle. Schon hier wurde zum aktiven Handeln gegen den Krieg aufgerufen. »Weigert euch, Munition herzustellen. Je schneller Ihr handelt, desto kürzer ist der Krieg!«

Die Unerfahrenheit der Kapelle-Gruppe führte dazu, dass schon Ende 1939 alle Beteiligten von der Gestapo verhaftet und zumeist zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Heinz Kapelle wurde am 1. Juli 1941 im Strafgefängnis Plötzensee hingerichtet.

Neben solchen spektakulären Aktionen bemühten sich die Kommunisten, erneut Parteigruppen in den Regionen und in Betrieben sowie Abschnittsleitungen im Untergrund aufzubauen. Trotz Verhaftungen und vieler Rückschläge gelang es, die durch das Naziregime gerissenen Lücken zu schließen, so dass die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) bis zum Ende des Krieges ein oftmals mehrere Regionen umfassendes Netz von Widerstandsgruppen besaß.

Erwähnenswert ist auch in dieser Phase, dass der Arbeiterwiderstand in Deutschland eine Sache von Männern und Frauen war. War schon in der Zeit bis zum Krieg erkennbar, dass der Anteil der in politischen Strafverfahren wegen »Hochverrats« vor Gericht angeklagten Frauen mindestens den früheren Mitgliederzahlen in den jeweiligen Organisationen entsprach, so stieg in den Kriegsjahren (bedingt durch die Verhaftung von Männern und die Mobilisierung zu Soldaten während des Krieges) die Zahl und Bedeutung von Frauen für den organisierten Widerstand. Auch wenn sie nur selten in der »ersten Reihe« zu finden waren, übernahmen Antifaschistinnen vielfältige Aufgaben beim Aufbau der Widerstandsgruppen, für die Netzwerkarbeit und bei verschiedenen Widerstandsformen.

Im Rahmen dieser Veröffentlichung können nur einige besonders bekannte Widerstandsgruppen der KPD aus unterschiedlichen Regionen des Deutschen Reiches in aller Kürze dargestellt werden.

Illegale KPD

Das Mitglied des KPD-Zentralkomitees Wilhelm Knöchel kam aus Amsterdam als Instrukteur ins Ruhrgebiet. Gemeinsam mit Willi Seng baute er eine KPD-Gruppe mit Schwerpunkt in verschiedenen Städten des Industriegebiets auf. Unterstützt von seiner Lebensgefährtin Cäcilie »Cilly« Hansmann versuchte er Kontakt zu anderen KPD-Gruppen aufzunehmen, um eine reichsweit tätige illegale KPD-Leitung zu entwickeln. Die Kontakte reichten von Rheinland und Ruhrgebiet bis nach Berlin. Ein wichtiger Teil des Widerstands war die Aufklärungsarbeit. Bekannt sind die Flugblätter der Gruppe. Knöchel produzierte eine Untergrundzeitschrift Frieden Freiheit Fortschritt (F-Aktion), verteilte weitere Flugblätter und illegale KPD-Zeitungen. Anfang 1943 wurde ein Mitglied der Gruppe von der Gestapo verhaftet, später Willi Seng. Am 30. Januar 1943 wurde auch Knöchel selbst, der schwer an Tuberkulose erkrankt war, in Berlin verhaftet. Nach Verhör unter Folter wurde er am 12. Juni 1944 vom Volksgerichtshof in Berlin nach nur zehnminütiger Verhandlung zum Tode verurteilt und am 24. Juli im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet.

Mit intensiven Kontakten ins sächsische Industriegebiet entstand ab 1941 von Leipzig aus eine KPD-Widerstandsgruppe, die von Georg Schumann, Otto Engert und Kurt Kresse organisiert wurde. Es war zahlenmäßig eine der größten Gruppen des kommunistischen Widerstands im Deutschen Reich. Die Gruppe orientierte sich in ihren programmatischen Aussagen am Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD), dessen Manifest sie über Radio Moskau kennengelernt hatten. Diese Gruppe entwickelte sich und agierte relativ eigenständig. Sichtbar wurde das unter anderem daran, dass die in Flugblättern und in anderen Erklärungen veröffentlichten Positionen, ähnlich wie bei der Knöchel-Seng-Gruppe im Ruhrgebiet, die sozialistische Zielperspektive viel klarer formuliert wurde, als es die Moskauer Exilführung der KPD zu dieser Zeit tat. Diese hatte mit Blick auf die Bündnispartner im NKFD und das Ziel des militärischen Sturzes des Naziregimes, das nur mit Hilfe aller Alliierten zu erreichen war, die sozialistische Perspektive in öffentlichen Verlautbarungen zurückgestellt.

Es dauerte bis zum Sommer 1944, bis es der Gestapo gelang, die Schumann-Engert-Kresse- Gruppe aufzuspüren und deren wichtigste Vertreter zu verhaften. Trotz schwerer Folter gaben sie keine Namen von Mitgliedern der Gruppe preis, und retteten so vermutlich vielen Widerstandskämpfern das Leben. Im November 1944 verurteilte der Volksgerichtshof in Dresden alle drei zum Tod, am 11. Januar 1945 wurden sie im Hof des Dresdner Landgerichts hingerichtet.

Etwas kleiner und regional auf den Thüringer Raum fokussiert war die Gruppe um Theodor Neubauer und Magnus Poser. In den industriellen Schwerpunkten Jena und Gotha waren schon vor dem Krieg aus politischen Gegnern des faschistischen Regimes, nachdem sie aus der Haft entlassen waren, neue Gruppen entstanden. Ende 1941 kam es zu einer ersten Verbindung zwischen diesen Gruppen, bei der die gemeinsame Herstellung und Verbreitung antifaschistischer Flugschriften vereinbart wurde. In Jena gab es ein Vervielfältigungsgerät, das an unterschiedlichen Orten deponiert wurde. So konnten Hunderte Flugblätter und Streuzettel hergestellt werden. Die Auflage dieser Papiere betrug oftmals über 1.000 Exemplare. In Einzelfällen richteten sich die Flugschriften sogar in französischer und russischer Sprache direkt an Zwangsarbeiter. Die Gestapo registrierte das Auftauchen dieser Materialien in Berlin, Leipzig, Chemnitz, Dortmund, Erfurt, Gotha, Zella-Mehlis und weiteren Orten. Sogar in das KZ Buchenwald gelangten Exemplare. Bei einer konspirativen Beratung im September 1943 formulierte man ein 8-Punkte-Programm zur Überwindung des Naziregimes.

Die Kontaktaufnahme mit bürgerlichen Kräften wie zur Dichterin Ricarda Huch, lief auf informellen Wegen, Gesprächsrunden, Schachpartien und anderen unverfänglichen Wegen. Das Resultat war u. a., dass ein Arzt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für Antifaschisten ausstellte oder Medikamente an Zwangsarbeiter gab.

Am 14. Juli 1944 wurde Magnus Poser auf seiner Arbeitsstelle verhaftet und – nach einem Fluchtversuch – in das KZ Buchenwald verbracht, wo er Stunden später starb. Am selben Tag wurde Theodor Neubauer in Tabarz verhaftet. Im Januar 1945 verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode. Am 5. Februar 1945 wurde er in Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil hingerichtet.

Kontakt in Großbetriebe

Im Industriegebiet Mannheim entwickelte sich während des Krieges ebenfalls eine Widerstandsgruppe mit intensiven Kontakten in die Großbetriebe. Schon vor Kriegsbeginn hatte Georg Lechleiter Kontakte zu ehemaligen Mitgliedern der KPD-Betriebszellen und ihrem Umfeld geknüpft. Als man mit Kriegsbeginn auf sich alleine gestellt war, bauten Lechleiter, Jakob Faulhaber und Anette Langendorf, um nur drei Namen zu nennen, eine Widerstandsorganisation auf, in der Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und parteilose Mitglieder zusammenwirkten. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit waren die Herstellung und Verbreitung von Flugblättern und einer eigenen Zeitung Der Vorbote. Ab September 1941 sind vier Ausgaben der illegalen Zeitung nachweisbar. Wahrscheinlich vorbereitet durch einen Spitzel, begann am 26. Februar 1942 eine Verhaftungswelle der Gestapo. Über 50 Personen wurden festgenommen, 32 von ihnen vor Gericht gestellt. In zwei Prozessen wurden allein 19 Todesurteile gefällt, diese wurden im September 1942 bzw. im Februar 1943 in Stuttgart vollstreckt.

Mit einem regionalen Schwerpunkt in Norddeutschland agierte die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, ebenfalls eine KPD-Widerstandsorganisation. 1940 entschlossen sich Robert Abshagen, Bernhard Bästlein, Franz Jacob und Gustav Bruhn, obwohl alle vier gerade erst aus dem KZ Sachsenhausen entlassen worden waren, aus den im Hamburger Raum noch bestehenden versprengten Kontakten der KPD und einer Vielzahl kleinerer Gruppen, eine gemeinsame Widerstandsorganisation aufzubauen. Diese war in Hamburger Großbetrieben und im Hafen verankert und setzte sich ein für den Sturz des faschistischen Regimes und die Beendigung des Krieges. Durch die Reaktivierung alter politischer Kontakte schufen sie ein konspiratives Netzwerk in über 30 Betrieben, hauptsächlich in den Hamburger Werften. Die verschiedenen Gruppen zählten insgesamt mehr als 300 Aktivisten. Hier ging es nicht allein um antifaschistische Aufklärungsarbeit, sondern um die Mobilisierung der Arbeiter zur Unterstützung ausländischer Zwangsarbeiter und sowjetischer Kriegsgefangener sowie die Sabotage der Rüstungsproduktion. Der Gruppe gehörten vor allem ehemalige KPD-Mitglieder, einige Sozialdemokraten und Parteilose sowie ausländische Zwangsarbeiter an. Flugblätter und Erklärungen wurden zumeist unter der Hand weitergegeben. Die politische Vision der Gruppe war ein sozialistisches Deutschland, das mit der Sowjetunion verbunden ist. Zwar lag der organisatorische Schwerpunkt in Hamburg, man hatte aber über Leo Drabent und Hermann Böse Kontakt zu anderen Widerstandsgruppen, bis nach Berlin zur Schulze-Boysen/Harnack-Organisation oder nach Bremen.

Erst im Oktober 1942 wurden die Aktivitäten der Gruppe durch die Gestapo Hamburg entdeckt und etwa 100 Antifaschisten verhaftet. Franz Jacob konnte nach Berlin fliehen und knüpfte dort mit Anton Saefkow ein neues Netz illegaler Zellen. Als im Juli und August 1943 Hamburg mit von schweren Luftschlägen angegriffen wurde, waren selbst die Haftanstalten betroffen. 50 inhaftierte Widerstandskämpfer der Gruppe erhielten daraufhin unerwartet Hafturlaub. Die meisten gingen in die Illegalität und versuchten, die alten Kontakte wieder neu zu knüpfen. Bernhard Bästlein nahm die Verbindung zu Franz Jacob in Berlin auf. Die Gestapo intensivierte die Suche nach den Untergetauchten, von denen bis Anfang 1944 viele erneut verhaftet wurden.

In den damaligen Hamburger Kommunistenprozessen ab Mai 1944 wurden zahllose Mitglieder der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe verurteilt. Mindestens 70 Mitglieder der Gruppe wurden zwischen 1942 und 1945 hingerichtet. Dennoch gelang es der Gruppe, ihre Aktivitäten bis in die letzten Kriegstage aufrechtzuerhalten und für die kampflose Übergabe der Stadt Hamburg an die Alliierten einzutreten.

Weitverzweigtes Netz

In das organisatorische Umfeld dieser Gruppe gehört auch Anton Saefkow, der als Kommunist bereits im April 1933 für ein Jahr in das KZ Fuhlsbüttel verschleppt worden war, danach für zweieinhalb Jahre ins Zuchthaus Fuhlsbüttel wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«. 1936 folgte seine Internierung im KZ Dachau. Wegen Widerstandstätigkeit dort verurteilte ihn das Oberlandesgericht Hamburg zu weiteren 30 Monaten Zuchthaushaft, die er ebenfalls in Fuhlsbüttel verbüßte.

Als er im Juli 1939 aus der Haft entlassen wurde, nahm er Kontakt zu den ihm bekannten politischen Kräften auf, und beteiligte sich am Aufbau von illegalen Gruppen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 schuf er in Berlin die wohl größte Gruppe im Widerstand der KPD. Von Berlin aus bestanden feste Kontakte zu Widerstandsgruppen in Magdeburg, Leipzig, Dresden und Hamburg. Ziel war es, in Umsetzung der neuen Bündnisorientierung ein Netzwerk mit Sozialdemokraten und antifaschistischen Kräften im Bürgertum herzustellen. Zu den über 500 Frauen und Männern der Gruppe gehörten neben Arbeitern auch Ärzte, Lehrer, Ingenieure und Künstler.

1942 leiteten Anton Saefkow, Bernhard Bästlein und der nach Berlin geflohene Franz Jacob die Gruppe. Sie erstellten und verbreiteten ab 1943 die illegale Zeitschrift Die Innere Front und bildeten eine »Operative Leitung der KPD in Deutschland«. Der politische Schwerpunkt der Widerstandsgruppen lag in den Berliner Rüstungsbetrieben, in denen man gegen den Krieg agitierte und zu Sabotageaktionen aufrief. Im Sommer 1944 wurden über 280 Mitglieder der Gruppe nach Verrat verhaftet. In einem Bericht wird davon gesprochen, dass über 100 von ihnen hingerichtet wurden oder in den KZ und Haftstätten starben.

An diesen Beispielen wird bereits deutlich, dass die früheren Fraktionslinien innerhalb der antifaschistischen Kräfte, die teils zu erheblichen Konflikten geführt hatten, durch den Überfall auf die Sowjetunion obsolet geworden waren. Es ging weniger darum, welcher Partei oder Gruppe in der Arbeiterbewegung man angehört hatte, sondern ob die Person immer noch bereit war, aktiv für den Sturz des Naziregimes einzutreten. Dabei waren die Formen widerständigen Handelns sehr vielfältig. Das konnten ein regelmäßiger Meinungsaustausch, oder die Unterstützung für Angehörige von Verfolgten sein, die in NS-Haftstätten eingekerkert waren. Manche waren bereit, Handzettel zu verteilen oder illegale Flugschriften an vertrauenswürdige Personen weiterzugeben. Facharbeiter in den Rüstungsbetrieben waren sogar in der Lage, durch gezielte Störungen im Produktionsablauf die Kriegsproduktion zu behindern. Gerade solche weitgehenden Formen von Widerstand riefen immer wieder die Gestapo und den Sicherheitsdienst (SD) auf den Plan, die durch Verhöre, Spitzeleinsätze und andere Methoden solche Behinderungen der Kriegsproduktion auszuschließen gedachten. Prozessunterlagen aus den 1940er Jahren zeigen, dass Beschäftigte – oft auch Zwangsarbeiter – wegen des Vorwurfs der Sabotage zum Tode verurteilt worden sind.

»Rote Kapelle«

Eine der – aus der Sicht der Nazis – wohl gefährlichsten Gruppen war die Schulze-Boysen/Harnack-Organisation, die unter dem Namen »Rote Kapelle« von der Gestapo verfolgt wurde. In ihr verband sich antifaschistische Aufklärung mit praktischer Arbeit für die militärische Niederlage des deutschen Faschismus, insbesondere durch Weitergabe von Informationen an die Sowjet­union. Das Netz der »Roten Kapelle«, wie es die Verfolgungsbehörden verstanden, erstreckte sich bis nach Belgien und Frankreich.

Die Gruppe entstand aus Widerstandszirkeln und antifaschistischen Strukturen, die sich schon vor dem Krieg in Berlin zusammengefunden hatten. Man half Nazigegnern und rassistisch Verfolgten, indem man ihnen Verstecke anbot und ihre illegale Ausreise unterstützte. Anfang 1938 erschien ein erstes Flugblatt dieser Gruppe zum Spanischen Bürgerkrieg. Nach dem Münchener Abkommen erklärte ein zweites Flugblatt die Angliederung des Sudetenlandes im Oktober 1938 als Schritt in einen neuen Weltkrieg.

Adam Kuckhoff versuchte mit Beginn des Krieges, die verschiedenen Gruppen unterschiedlicher sozialer Herkunft enger zusammenzuführen. So entstand bis 1941 ein loses Netzwerk von sieben Berliner Freundes-, Diskussions- und Schulungskreisen. Es wird berichtet, dass sie mehr als 150 Nazigegner umfassten, unter ihnen etwa 40 Prozent Frauen.

Diesen Widerstand prägten ganz unterschiedliche Aktionsformen. Von Harro Schulze-Boysen ist bekannt, dass er wenige Tage vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion die sowjetische Botschaft in Berlin darüber informierte, was er im Reichsluftfahrtministerium erfahren hatte, wo er als Oberleutnant beschäftigt war. Libertas Schulze-Boysen, die im Reichspropagandaministerium Zugang zu vertraulichen Unterlagen besaß, sammelte Bildmaterial über deutsche Kriegsverbrechen. John Sieg war seit Dezember 1941 verantwortlich für die Druckschrift Die Innere Front. Sie berichtete über die tatsächliche Lage in Europa, enthielt Hinweise auf Moskauer Rundfunkfrequenzen, Aufrufe zum Widerstand und mehrsprachige Informationen für ausländische Zwangsarbeiter. Hilde Coppi zeichnete heimlich in Radio Moskau gehörte Lebenszeichen deutscher Kriegsgefangener auf und leitete sie an deren Angehörige weiter. Zur Nazipropagandaausstellung »Das Sowjetparadies« druckten Mitglieder Flugzettel, die sie am 22. Mai 1942 – vier Tage nach einem Brandanschlag der jüdischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum auf die Ausstellung – an Berliner Häuserwände klebten.

Als programmatisches Dokument kann die im Februar 1942 von Harro Schulze-Boysen verfasste Flugschrift mit dem Titel »Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk!« angesehen werden. Darin hieß es: »Das Gewissen aller wahren Patrioten aber bäumt sich auf gegen die ganze derzeitige Form deutscher Machtausübung in Europa. Alle, die sich den Sinn für echte Werte bewahrten, sehen schaudernd, wie der deutsche Name im Zeichen des Hakenkreuzes immer mehr in Verruf gerät. In allen Ländern werden heute täglich Hunderte, oft Tausende von Menschen standrechtlich und willkürlich erschossen oder gehenkt, Menschen, denen man nichts anderes vorzuwerfen hat, als daß sie ihrem Land die Treue halten. (…) Im Namen des Reiches werden die scheußlichsten Quälereien und Grausamkeiten an Zivilpersonen und Gefangenen begangen. Noch nie in der Geschichte ist ein Mann so gehaßt worden wie Adolf Hitler. Der Haß der gequälten Menschheit belastet das ganze deutsche Volk.«

Erst als es der faschistischen Abwehr gelang, einen sowjetischen Funkspruch zu entschlüsseln, begann die Ermittlungsarbeit der Gestapo. Zwischen August 1942 und März 1943 wurden ungefähr 130 Mitglieder dieser Gruppe verhaftet. Fast 60 Verhaftete, darunter ein Drittel Frauen, wurden von Nazigerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet, teilweise auch ohne Gerichtsurteil ermordet.

Der Verlauf des Krieges und speziell die Niederlage der 6. Armee bei Stalingrad im Februar 1943 halfen, den Mythos der »unbesiegbaren Wehrmacht« zu zerstören. Die Bombenangriffe auf deutsche Städte hatten den Krieg in das eigene Land gebracht. Mehr und mehr wurde deutlich, dass mit einem schnellen Kriegsende und gar einem großartigen »Endsieg« nicht mehr zu rechnen war. Und so fanden sich auch bürgerliche Kräfte, beispielsweise in der »Weißen Rose«, zusammen, die sich anfangs mit der faschistischen Entwicklung arrangiert oder sie sogar begeistert unterstützt hatten, nun aber aus Sorge um die deutsche Zukunft aktiv wurden.

Ein anderes Verhalten legten junge Leute an den Tag, die sich der faschistischen Gleichschaltung der jungen Generation verweigerten. Zumeist in städtischen Milieus waren oft schon vor dem Krieg Gruppen der sogenannten Swing-Jugend oder der Edelweißpiraten entstanden, die, teilweise in der Tradition der bündischen Jugend und der Arbeiterjugendbewegung, sich dem gesellschaftlichen Zwang zu entziehen versuchten und dabei häufig in Konflikt mit der Hitlerjugend, der Naziadministration und ihrem Verfolgungsapparat gerieten. Dieser Widerspruch führte in vielen Fällen dazu, dass sich die Jugendlichen mit anderen ebenfalls Verfolgten, mit Zwangsarbeitern, Deserteuren oder Untergetauchten verbunden fühlten und ihnen halfen. Dies begründete sich oftmals nicht aus gewachsener politischer Überzeugung, sondern schlicht aus einer Solidarität der Verfemten.

Neue Bündniskonstellationen

Die fortschreitende Beeinträchtigung der Kriegswirtschaft durch vermehrte Bombardierungen deutscher Städte, die massiven Auswirkungen auch für die deutsche Zivilbevölkerung sowie die weitere Verschlechterung der militärischen Lage infolge der deutschen Niederlage im Afrikafeldzug und der Landung der Westalliierten in Süditalien im Sommer 1943 und im Juni 1944 in der Normandie förderten trotz eines noch gesteigerten faschistischen Terrors in der Bevölkerung die Erkenntnis, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen und das Regime auf Dauer nicht zu halten war. Das galt auch bei solchen Teilen der Eliten, die nicht aufs Engste mit der Nazihierarchie verbunden waren. In der Folge traten neue Akteure auf den Plan, ergaben sich völlig neue Bündniskonstellationen für den Widerstand. Nur Einzelne aus dem »Kreisauer Kreis« waren schon vor dem Krieg Nazigegner gewesen. Zumeist hatten sie sich – trotz innerer Distanz – mit dem Regime und seinen Zielen arrangiert. Erst der Verlauf des Krieges und die Einsicht, dass die politisch Verantwortlichen nicht mehr auf der Basis der eigenen bürgerlichen oder militärischen Rationalität agierten, führten sie zum Widerspruch und befeuerten auch Kritik auf anderen Politikfeldern, beispielsweise hinsichtlich der faschistischen Kirchenpolitik.

Bezeichnenderweise waren es jedoch nicht die politischen, antisemitischen und rassistischen Verbrechen, die solchen Widerspruch auslösten, sondern die Furcht, dass durch eine ungebremste Fortsetzung der Nazikriegspolitik Deutschland selbst unabsehbaren Schaden erleiden werde. Handlungsleitend für das Attentat vom 20. Juli war also neben manchen humanistischen Begründungen vor allem ein nationales Selbstverständnis.

Zum politischen Umfeld derjenigen, die im »Kreisauer Kreis« bereit waren, einen Umsturzversuch vorzubereiten, gehörten auch Angehörige bzw. ehemalige Funktionäre der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen und auch christlich-sozialen Arbeiterorganisationen. Wichtig waren dabei ihre Netzwerke, über die sie aus alten Verbindungen noch verfügten. Einzelne signalisierten Bereitschaft, in einer neuen Regierung verantwortliche Positionen zu übernehmen.

Dem Umfeld des »Kreisauer Kreises« waren neben den Sozialdemokraten Julius Leber, Theodor Haubach, Carlo Mierendorff und Adolf Reichwein auch zahlreiche Gewerkschafter zuzuordnen, die bereit waren, sich an Vorbereitungen für die Zeit nach Hitler zu beteiligen. Dazu gehörten Wilhelm Leuschner vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und Jakob Kaiser vom Christlichen Gewerkschaftsbund, selbst Max Habermann vom Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband. Auch aus den Reihen der katholischen Arbeitervereine waren einzelne Repräsentanten wie Josef Wirmer und Bernhard Letterhaus vertreten.

Die Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein nahmen darüber hinaus sogar Kontakt zur Landesleitung der KPD auf. Am 22. Juni 1944 fand ein erstes Treffen mit Franz Jacob und Anton Saefkow in Berlin statt, bei dem jedoch ein Spitzel der Gestapo anwesend war. Weitere Verabredungen wurden durch Verhaftungen verhindert. Anfang Juli wurden alle vier von der Gestapo verhaftet, im September/Oktober 1944 zum Tode verurteilt. Am 18. September 1944 wurde Anton Saefkow durch das Fallbeil im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet.

Ulrich Schneider: Arbeiterwiderstand im Dritten Reich. Köln: Papyrossa 2024, 127 Seiten, 12 Euro.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

  • Nicht nur per Radiowelle, sondern auch mit Schallverstärker dire...
    17.05.2023

    »Wo ist der Rommel?«

    Serie: Klassenkampf im Äther – 100 Jahre Rundfunk in Deutschland. Teil 5: Antifaschistische »Feindsender« während des Zweiten Weltkriegs
  • Die zumeist ahnungslosen Gesellschafter der »Simexco« in Brüssel...
    21.12.2012

    Ein legendäres Orchester

    Geschichte. Streiflichter aus dem Innenleben des sowjetischen Kundschafternetzes, das von den Nazis auf den Namen »Rote Kapelle« getauft worden war