Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 04.03.2024, Seite 8 / Ausland
El Salvador

»Ich möchte nicht in einer neuen Diktatur leben«

Wiederwahl Bukeles in El Salvador: Angst, kritische Meinungen zu äußern. Wahlbetrug vermutet. Ein Gespräch mit Zulma Larín
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
Nach_den_Praesidente_80918875.jpg
El Salvador: Feministischer Protest gegen den Präsidenten Nayib Bukele (San Salvador, 5.2.2024)

Nayib Bukele hat die Präsidentschaftswahlen Anfang Februar mit über 86 Prozent der Stimmen gewonnen. Auch bei den Parlamentswahlen erhielt seine Partei »Nuevas Ideas« (Neue Ideen) nach Angaben des Wahlgerichts 90 Prozent der Stimmen und wird 54 der 60 Abgeordneten stellen. Die linke FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Marti) hat keinen einzigen Sitz mehr im Parlament. Warum ist Bukele so populär in El Salvador?

Seine Beliebtheit stützt sich eindeutig auf das Thema Sicherheit. Die Maras (kriminelle Jugendbanden, jW) haben ganze Regionen, gerade arme Stadtteile kontrolliert. Heute kann man sich frei bewegen, mit seinen Nachbarn auf der Straße in Ruhe sprechen, das war früher nicht möglich.

Wie haben Sie die Wahlen am 4. Februar erlebt?

Als trauriges Ereignis. Früher – nach dem Ende des Bürgerkrieges – waren die Wahlen ein Fest der Demokratie. Heutzutage ist das nicht mehr so. Die Leute haben schnell gewählt und sind dann nach Hause gegangen, es herrscht Angst, abweichende Meinungen zu äußern. Dann gab es Unstimmigkeiten bei den Wahlen, Hinweise auf »technischen Betrug«. Wahlurnen waren zwischenzeitlich verschwunden. Frühere Präsidenten haben zwischen 1,3 und 1,5 Millionen der Stimmen erreicht, auch Bukele gewann 2019 mit gut 1,4 Millionen Stimmen. Heute sollen es über drei Millionen Stimmen sein? Das ist fraglich. Laut Verfassung hätte Bukele gar nicht wiedergewählt werden dürfen.

Demokratie ist nicht nur das Thema Sicherheit. Wir müssen das Phänomen Nayib Bukele sehr gut analysieren. Ich habe die Diktatur in den 1980er Jahren erlebt und möchte nicht in einer neuen Diktatur leben.

Seit zwei Jahren gilt in El Salvador der Ausnahmezustand. Die Regierung begründet ihn mit dem Kampf gegen die kriminellen Banden. Wie wirkt sich das auf das tägliche Leben aus?

Vor allem durch die vielen Festnahmen, nach offiziellen Angaben über 70.000. Man kann heutzutage leicht festgenommen werden, es reicht der Hinweis eines Nachbarn, man habe mit den Maras zu tun und schon kommt man in Haft. Tausende junge Männer und Frauen sitzen in Haft, ohne etwas mit den Banden zu tun zu haben. Die Menschen haben Angst, festgenommen zu werden, weil sie eine kritische Meinung äußern. Es gibt keine öffentliche Diskussion und keine Meinungsvielfalt mehr in El Salvador.

2017 verbot der Kongress – damals unter der Regierung der linken FMLN – den Bergbau im Tagebau. Die aktuelle Regierung möchte dieses Gesetz wieder kippen. Welche Konsequenzen befürchten Sie?

Das kann ein großes Problem werden. El Salvador ist ein kleines Land, aber dichtbevölkert. Gerade im Norden des Landes gibt es viele Bodenschätze, die interessant sind für transnationale Konzerne. Auch möchte die Regierung ein Gesetz streichen, das Teil des Friedensabkommens war und Kleinbauern Land garantiert. Auch das geschieht im Interesse von Monokulturen, zum Beispiel der Zuckerproduktion. Auch die Palmölproduktion spielt eine Rolle.

Ein weiterer Punkt ist der Konflikt um die Privatisierung des Wassers. Was hat es damit auf sich?

In der abgelaufenen Legislaturperiode hat die Regierung ein Gesetz zur Wasserversorgung verabschiedet. Darin heißt es in Artikel 14, Konzerne können die Wasserversorgung kontrollieren. Dieses Gesetz bevorzugt nationale und internationale Konzerne bei der Wasserversorgung. Viele Menschen in El Salvador haben nach wie vor keinen Zugang zu sauberem Wasser. Das führt in einzelnen Regionen bereits zu Konflikten.

Was erwarten Sie von den nächsten fünf Jahren der Regierung Nayib Bukele?

Vergangene Woche wurde ein Gesetz erlassen, das Themen wie Gender und LGBTQ aus der Bildung entfernen soll. Das gibt einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Freie Meinungsäußerung und freie Bildung werden stark eingeschränkt, gleichzeitig werden nationale und transnationale Konzerne in der Politik bevorzugt.

Zulma Larín ist Menschenrechts- und Umweltaktivistin, aktiv in RACDES (Netzwerk kommunaler Umweltschützer von El Salvador)

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

Ähnliche:

  • 16.01.2023

    Der Bitcoin soll's richten

    El Salvador macht Kryptowährung endgültig zum offiziellen Zahlungsmittel
  • »Angeblich Maßnahme gegen die Banden«: Truppeneinmarsch in Soyap...
    06.12.2022

    Wahlkampf mit Militär

    Bandenkriminalität in El Salvador: Staatschef riegelt erneut Stadt ab. Kritik an Menschenrechtsverletzungen
  • Polizeikräfte in San Salvador patrouillieren durch die Stadt (29...
    18.10.2022

    »Was passiert mit all den Festgenommenen?«

    El Salvador: Linke Partei FMLN muss sich nach Wahlniederlage neu aufstellen. Kritik an Ausnahmezustand und Verhaftungen. Ein Gespräch mit Lourdes Argueta

Regio:

Mehr aus: Ausland