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Aus: Ausgabe vom 04.03.2024, Seite 6 / Ausland
US-Gefängnissystem

Alabamas Gefangene im Streik

Entlassungen systematisch hintertrieben: Kampf gegen lebenslange Haft zur Ausbeutung von Arbeitskraft
Von Jürgen Heiser
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Billig und ohne Rechte: Hier stellen Inhaftierte in Philadelphia Möbel her (7.8.2015)

Inhaftierte im US-Bundesstaat Alabama wehren sich derzeit gegen ein Haftsystem, dem sie attestieren, dass es sich dabei um »Sklaverei« handelt. Wie das US-Onlineportal Peoples Dispatch am vergangenen Dienstag berichtete, haben organisierte Gefangene im Staatsgefängnis St. Clair Correctional Facility nahe Birmingham seit dem 6. Februar die Strafanstalt mit einem »Shutdown« lahmgelegt. Sie verweigern jede Arbeit und Teilnahme am Gefängnisalltag. Dabei werden sie von außen durch ein Netzwerk von Exgefangenen und Solidaritätsgruppen unterstützt. Ihr Protest richtet sich gegen die fortdauernden unmenschlichen Haftbedingungen unter dem Regime der Gefängnisbehörde »Alabama Department of Correc­tions« (ADOC).

Die Streikenden, von denen viele dem seit 2016 aktiven »Free Alabama Movement« (FAM) angehören, werfen der Leitung des ADOC vor, systematisch die Entlassung von Häftlingen zu hintertreiben, um sie über ihre von den Gerichten festgelegte Strafzeit hinaus weiterhin als Arbeitskräfte auspressen zu können. Nach Angaben des »Tennessee Student Solidarity Network«, das mit dem FAM kooperiert, verdient das ADOC »jährlich rund 450 Millionen US-Dollar« an den gefangenen Arbeitern. Sie werden Fastfoodgiganten wie McDonald’s, Kentucky Fried Chicken, Burger King und Wendy’s als Arbeitskräfte überlassen. Peoples Dispatch nennt das »ein beunruhigendes Echo der Programme des rassistischen ›Sträflingsausleihens‹, die es unmittelbar nach der Abschaffung der Sklaverei im Süden der USA gab«.

Mit ihrer zentralen Forderung richten sich die Streikenden gegen das in Alabama berüchtigte »Gesetz gegen Gewohnheitsstraftäter«, amtlich »Habitual Felony Offender Act« (HFOA), mit dem mehrheitlich Schwarze zu lebenslanger Haft ohne Bewährung (»Life Without Parole« – LWOP) und so zu Zwangsarbeit bis ins hohe Alter verurteilt werden.

Die Arbeitsgruppe »Smart Justice« der Bürgerrechtsorganisation »American Civil Liberties Union« (ACLU) von Alabama hat 2020 einen Bericht über das Gesetz vorgelegt. Demnach verbüßten zu diesem Zeitpunkt im Bundesstaat 527 Menschen eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung, obwohl keiner davon einen Mord begangen hatte. Für eine Verurteilung zu LWOP reiche allein aus, »drei frühere Straftaten in seinem Strafregister zu haben, von denen eine zur ›Klasse A‹ zählt«. Schwere Straftaten dieser Klasse sind Mord und Vergewaltigung, aber auch minder schwere wie Raub, Einbruch sowie Drogenhandel und die Herstellung »verbotener Substanzen« gehören dazu.

Das Gesetz wurde 1977 eingeführt und war laut ACLU seitdem »ein Antreiber der Masseninhaftierung«, weil jemand »für einen einzigen Einbruch oder Raubüberfall und drei vorherige Verurteilungen wegen Fälschung oder Drogenkonsums zum Sterben im Gefängnis verurteilt werden kann«, selbst wenn die früheren Straftaten Jahrzehnte zurückliegen. Zahlreiche Menschen wurden so für den Rest ihres Lebens eingesperrt, »weil sie in ihrer Jugend ein paar Straftaten begangen hatten, die nicht einmal Körperverletzung beinhalten mussten«, so der ACLU-Bericht.

Zur Forderung nach Abschaffung des HFOA-Gesetzes gehört deshalb für die Streikenden auch die nach der generellen Abschaffung aller LWOP-Strafen, die seit Jahren von vielen US-Menschenrechtsgruppen erhoben wird. Dazu gehöre unabdingbar das Recht, dass HFOA-Verurteilte nach Abschaffung des Gesetzes rückwirkend eine geregelte Zeitstrafe mit verbindlichen Bewährungsrichtlinien erhalten, so Peoples Dispatch. Nach einem dort zitierten Bericht von AL.com hat der Begnadigungsausschuss von Alabama 2023 nur in acht Prozent der Fälle Häftlinge vorzeitig entlassen. Sogar die Anträge von zehn Personen, die älter als 80 Jahre waren, wurden sämtlich abgelehnt.

Zuletzt hatten im Juli 2022 Tausende Gefangene der größeren Haftanstalten Alabamas »gegen die Institution der Neosklaverei« die Arbeit niedergelegt. Die derzeit Streikenden knüpfen an die Taktik der damaligen »Shutdowns« an, um ihren Streik trotz harter Repressalien 90 Tage lang durchzuhalten und auf weitere Knäste Alabamas auszuweiten.

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