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Aus: Ausgabe vom 04.03.2024, Seite 5 / Inland
Inflationseffekte

Stetiger Reallohnverlust

Preise in Deutschland steigen seit drei Jahren stärker als Einkommen
Von Gudrun Giese
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Jeden Euro zweimal umdrehen: Reallohnverluste bringen Geringverdiener und viele Rentner in soziale Not

Im dritten Jahr in Folge müssen viele bundesdeutsche Beschäftigte Reallohnverluste hinnehmen. Das ergibt sich aus Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis), die die Behörde am Freitag in Wiesbaden vorlegte.

Die durchschnittlichen Tarifeinkommen, inklusive Sonderzahlungen, sind danach 2023 um 3,7 Prozent im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2022 gestiegen. Die Verbraucherpreise kletterten im selben Zeitraum um 5,9 Prozent, so dass sich ein reales Minus beim Entgelt von 2,2 Prozent im Durchschnitt ergibt. Bereits 2022 und 2021 seien die Preise stärker als die Tarifverdienste gestiegen, meldete Destatis. In den Jahren zuvor sei »die Entwicklung noch umgekehrt gewesen«. Dass die Negativlücke zwischen Preisen und Einkommen 2023 etwas kleiner ausfiel als in den beiden Vorjahren, sei auf ausgezahlte »Inflationsausgleichsprämien« im vergangenen Jahr zurückzuführen.

Je nach Branche gab es erhebliche Unterschiede beim Anstieg der Tarifeinkommen inklusive Sonderzahlungen: So lagen Beschäftigte, die im Sektor »sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen« arbeiteten, mit einem Entgeltplus von 7,8 Prozent und Mitarbeiter im Gastgewerbe mit 7,1 Prozent mehr Gehalt über dem Anstieg der Verbraucherpreise. Wer im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt war, hatte mit 5,4 Prozent plus einen verhältnismäßig geringen Reallohnverlust. Der fiel für Menschen, die im Handel arbeiten, mit 1,9, sowie Beschäftigte im Bereich Erziehung und Unterricht mit zwei Prozent besonders deutlich aus. Auch Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung oder in den Sektoren Kunst, Unterhaltung und Erholung (je 2,6 Prozent mehr), Grundstücks- und Wohnungswesen (2,8 Prozent mehr) sowie im Baugewerbe (2,9 Prozent mehr) spürten den Reallohnverlust überdurchschnittlich.

Dass alles noch viel schlimmer hätte ausfallen können, macht das Bundesamt mit dem Verweis auf Sondereffekte deutlich: So hätten 2022 »insbesondere die unteren Leistungsgruppen überproportional durch die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes bei der tariflichen Verdienstentwicklung« profitiert. 2023 seien nun »ähnliche strukturelle Effekte durch die Auszahlung von Inflationsausgleichsprämien zu beobachten«. Da die Prämien zumeist als Festbetrag ausgezahlt würden, unabhängig von der Entgeltgruppe, hätten geringer Verdienende prozentual mehr von der steuerfreien, tariflich vereinbarten Sonderzahlung als Angehörige der oberen Gehaltsstufen. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass in vielen Betrieben nicht die höchstmögliche Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro pro Jahr an jeden gewährt wurde.

Ohnehin sind in die Auswertung ausschließlich Entgelte eingeflossen, die auf Tarifverträgen basieren. Doch in den zurückliegenden Jahren haben sich viele Unternehmen aus der Tarifbindung gestohlen. Im Handel etwa ist derzeit kaum noch ein Drittel der Betriebe an die mit Verdi abgeschlossenen Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels sowie des Groß- und Außenhandels gebunden. Insgesamt werden derzeit lediglich etwa 43 Prozent der Beschäftigten in der Bundesrepublik auf der Grundlage eines Tarifvertrages bezahlt.

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