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Aus: Ausgabe vom 02.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Ratgeber

Mach was draus: Das Leben

Von Marc Hieronimus
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»Einmal auf der Welt, und dann ausgerechnet als Klempner in Detmold!« (Chr. D. Grabbe)

Günther Anders meinte von sich, von der Geschichte um eine Biographie betrogen worden zu sein – und was hat der Kerl nicht alles erlebt! Sohn eines berühmten Psychologen, Kumpel von Brecht und Jonas, Großvetter von Benjamin, bei Husserl promoviert, Heidegger das Liebchen ausgespannt, Theater kritisiert, an der Maschine gestanden, in Hollywood SS-Stiefel geputzt und dann zeitlose Bücher geschrieben. Allerdings hat er sich vieles davon nicht ausgesucht, wie wir alle. Der sogenannte Kontingenzschock: »Einmal auf der Welt, und dann ausgerechnet als Klempner in Detmold!« (Chr. D. Grabbe).

So viele wollen ein Leben führen à la Jim Morrison, »enough to base a movie on«, und verwechseln Berühmtheit, also Erfolg im heutigen Rummel, mit persönlicher Erfüllung und weiter reichender Bedeutung. Um 1968 konnte das zusammenfallen, konnte man anders und auf der Höhe der Zeit, innovativ und en vogue, akademisch und links, kontra und erfolgreich sein. Ein Segen übrigens, dass so viele Ikonen vor der Phase der autobiographischen und Welt(v)erklärung verstummt oder verstorben sind. Wenig ist widerlicher als mit der Gnade der rechtzeitigen Geburt gesegnete Altrevoluzzer, die der Enkelgeneration die vermeintlichen Karrierechancen von »Frechheit« und ideologischer Flexibilität erläutern und versichern, wer nicht groß rauskomme, sei selbst schuld.

Wenn Menschen diesen Sozialdarwinismus verinnerlicht, aber nicht den vermeintlich verdienten Erfolg haben, legen sie sich ein tröstliches und weitgehend selbsterfüllendes Lebensskript zurecht: »Mir gelingt einfach nichts«, »ich bin eben zu gutmütig«. Richtig glücklich wird man damit meist aber auch nicht. Erst am späten Lebensabend werden wir mild und weise, denn »verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts« (Kierkegaard) – außerdem kann und muss man nichts mehr erreichen und beweisen. Das letzte Projekt sollte in jedem Fall der würdevolle Abgang sein. Wir haben ein Leben lang Zeit, uns darauf vorzubereiten.

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