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Aus: Ausgabe vom 02.03.2024, Seite 2 / Ausland
Schuldenstreichung

»Das ist für mich eine Art moderner Sklaverei«

Länder des globalen Südens fordern eine Schuldenstreichung. Ein Gespräch mit Shamim Wasii Nyanda
Interview: Mawuena Martens
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Den Auswirkungen des Klimawandels ausgeliefert: Überflutungen in Tansania (Katesh, 4.12.2023)

Sie fordern eine Schuldenstreichung für Länder des globalen Südens, insbesondere afrikanische Staaten. Warum?

Die Vulnerabilität gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels ist eng mit der Verschuldung verknüpft. Und Afrika ist der verwundbarste Kontinent, weil die meisten Länder völlig von der Landwirtschaft, von humanitärer Hilfe und dem globalen Norden abhängen. Diese Art von Abhängigkeit passt nicht zur Forderung nach mehr Nachhaltigkeit, Selbstbestimmung und wirtschaftlicher Entwicklung. Anstatt eine neue Art des Kolonialismus einzuführen, bei dem Länder nur damit beschäftigt sind, die Bedingungen internationaler Gläubiger zu erfüllen, sollten sie dazu ermächtigt werden, eigenständig und souverän an der wirtschaftlichen Entwicklung, der Bekämpfung der Armut oder eben der Prävention der Folgen des Klimawandels arbeiten zu können.

Wer sind die größten Gläubiger?

Der Internationale Währungsfonds, IWF, und die Weltbank sind auf dem afrikanischen Kontinent die größten Gläubiger. Sie wenden bei allen Ländern die gleichen Methoden an, das ist für mich eine Art von moderner Sklaverei und Knechtschaft. Denn sie diktieren in einem Maße die Bedingungen zur Zurückzahlung und internen Reformen, dass überhaupt kein Spielraum für Nachhaltigkeit bleibt. Alles, was die Regierungen tun, ist darüber nachzudenken, wie sie Kredite und Zinsen zurückzahlen können. Die einzige Möglichkeit zur Rückzahlung besteht häufig darin, immer mehr Steuern von den Menschen zu verlangen. Mittlerweile nimmt auch die Bedeutung chinesischer Kreditgeber zu. Viele Länder ziehen sie vor, unter anderem weil die Zinssätze niedriger sind.

Wie groß müsste die Schuldenstreichung sein, um den betroffenen Ländern zu helfen?

Die Schulden müssten zu 100 Prozent erlassen werden, besonders wenn wir die Ziele der Agenda 2063 erreichen wollen, also ein wohlhabendes, souveränes, nachhaltig entwickeltes und friedliches Afrika. Eine Schuldenstreichung würde finanzielle Ressourcen freisetzen, die in Investitionen in verschiedenen Schlüsselsektoren wie die Bildung, Gesundheitswesen, Infrastruktur und den Agrarsektor umgelenkt werden könnten.

Was halten Sie von sogenannten »Klimaschuldenumwandlungen«, wie sie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit verwendet?

Die Idee dahinter ist, dass ein verschuldetes Land einen Teil seiner Schulden gegen die Verpflichtung eintauscht, bestimmte Investitionen in die sozial-ökologische Transformation vorzunehmen. Allerdings ist dies keine Vorgehensweise, die ich befürworte, weil ich darin eine neue Form der Sklaverei sehe. Ein solcher Schuldentausch ist sehr komplex, er beinhaltet Vereinbarungen mit mehreren Parteien. Dies kann zum einen zu Verzögerungen bei der Einigung und der effektiven Umsetzung führen. Andererseits sind diese Vereinbarungen an Bedingungen geknüpft, die Projekte sind häufig nicht wirklich zielführend und auf die jeweiligen Bedürfnisse der Länder abgestimmt, und vor allem verhindert dieser Mechanismus, dass verschuldete Länder ihre Entwicklungsprioritäten eigenständig setzen können.

Außerdem birgt es Risiken, wenn verschuldete Länder sich erneut verpflichten, Projekte über einen langen Zeitraum zu finanzieren, obgleich sich die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen schnell ändern können. Nicht zuletzt haben sie nur begrenzte Auswirkungen auf die Gesamtverschuldung, da sie nur umstrukturieren und die zugrunde liegenden Probleme nicht angehen. Man fügt also zu bestehenden zusätzliche Bürden hinzu. Auch in der Bundesrepublik Deutschland wurde 1953 ein Schuldenstreichnug den Schuldenumwandlungen vorgezogen, warum jetzt also anders vorgehen? Vielleicht um die Länder des globalen Südens von ihrer Forderung nach einer Schuldenstreichung abzubringen?

Warum wenden Sie sich mit Ihrer Forderung insbesondere an Deutschland?

Damals hatten sich Länder wie die Demokratische Republik Kongo, Argentinien, Simbabwe oder Pakistan dafür eingesetzt und es möglich gemacht. Warum also stellt sich Deutschland nun quer? Deutschland ist einer der größten historischen Umweltverschmutzer der Welt und hat eine große Stimmkraft innerhalb des IWF. Seinen heutigen Wohlstand verdankt es auch der Schuldenstreichung damals.

Shamim Wasii Nyanda ist Mitglied der globalen Bewegung »Debt for Climate« in Tansania

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