junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Mittwoch, 8. Mai 2024, Nr. 107
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 5 / Inland
»Arbeitspflicht« für Asylsuchende

Arbeitszwang für Arme

Saale-Orla-Kreis führt Ausbeutung von Geflüchteten ein. Ausweitung auf Bezieher von Bürgergeld angedeutet
Von David Maiwald
5.jpg
»Nachhaltige Arbeitsmarktintegration« sieht anders aus: Ein-Euro-Jobber in einem Hausflur

Der Sozialabbau in der Bundesrepublik wird verschärft. Ab diesem Freitag will der CDU-regierte Saale-Orla-Kreis in Thüringen Asylsuchende zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Vier Stunden pro Tag sollen Asylsuchende für eine »Aufwandsentschädigung« von 80 Cent pro Stunde leisten, erklärte ein Kreistagssprecher am Donnerstag gegenüber jW. Die auf einem Beschluss des Kreistags von September 2023 beruhende Maßnahme laufe nun an, von 150 im Landkreis in Frage kommenden Asylsuchenden sei 50 Personen bereits »eine solche Arbeit zugewiesen worden«. Geflüchtete Menschen – die in der Bundesrepublik nach geltender Rechtslage größtenteils keinen Zugang zu regulärer Beschäftigung haben – würden durch die Maßnahme nun »Hilfstätigkeiten« ausüben, »die sonst nicht gemacht würden und die keine reguläre Arbeit verdrängen«, hieß es.

Arbeitsminister Huberts Heil (SPD) erklärte den Arbeitszwang »während der mitunter langen Wartezeit in Sammelunterkünften« am Donnerstag für »im Einzelfall sinnvoll«. Im Springer-Boulevard schloss er eine »nachhaltige Arbeitsmarktintegration« durch die Maßnahme aber aus. Seine Parteikollegin und Arbeitsagenturchefin Andrea »Arbeit, Leute, Arbeit« Nahles, erklärte sich gleichentags von der Debatte »überrascht«. Schließlich sei die »Arbeitsaufnahme von Geflüchteten in Unterkünften schon seit Jahren rechtlich möglich«, werde von den Kommunen aber »eher zurückhaltend« genutzt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte zum RBB, einige Landkreise überlegten bereits, wie die »Arbeitspflicht« auch bei ihnen umgesetzt werden könne.

Vielen geflüchteten Menschen, die arbeiten wollen, sei dies verboten, stellte Tareq Alaows im jW-Gespräch klar. Die nun geführte Debatte sei »rassistisch und ausgrenzend«, so der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl. »Denn sie suggeriert, dass geflüchtete Menschen nicht arbeiten wollen«. Das entspreche aber nicht ihrer Lebensrealität. Vielmehr warteten Asylsuchende oft »monatelang, nachdem sie eine Aufhebung ihres Arbeitsverbots beantragt haben«. Durch die lange Wartezeit gingen ihre Arbeitsgelegenheiten dann verloren. »Menschen, die in ihrer Qualifizierung nicht arbeiten dürfen, in eine besonders ausbeuterische Arbeit zu drängen, die sie nicht wollen, grenzt an Zwangsarbeit.« Die im Ampelkoalitionsvertrag angekündigte Aufhebung des Arbeitsverbots für Asylsuchende sei überfällig. Es brauche außerdem die Anerkennung von Bildungs- und Berufszertifikaten, den Ausbau von Beratungsangeboten und Sprachkursen.

Der im – mehrheitlich mit CDU- und AfD-Abgeordneten besetzten – Saale-Orla-Kreistag verabschiedete Beschlusstext sieht an erster Stelle vor, für Asylsuchende generell »Arbeitsgelegenheiten (…) zu schaffen«. Der Beschluss von September zielt jedoch direkt auf eine Ausweitung des Arbeitszwangs ab: An zweiter Stelle soll die Maßnahme auch »für erwerbsfähige Leistungsberechtigte von Bürgergeld, insbesondere anerkannte Asylbewerber«, gelten. Als Einsatzorte führte die Beschlussvorlage der CDU-Kreistagsfraktion »öffentliche Einrichtungen«, »Soziales«, »Vereine«, »Kindertagesstätten«, »Schulen«, »Kinder und Jugend« sowie »Naturschutz, Tierschutz, Umweltschutz« – alles im Ampelhaushalt zusammengekürzte Lebensbereiche –, auf. Wenig verwunderlich kam am Mittwoch zur Forderung nach Ausweitung des Arbeitszwangs für Erwerbslose, ähnlich dem französischen Vorbild, auch die Forderung nach »Ausweitung der Bezahlkarte auf Bürgergeldempfänger« aus der Union.

Indem geflüchtete Menschen zur »Billigstarbeit« gezwungen würden, solle der Druck auf die Löhne erhöht werden, sagte Rainer Timmermann von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen im jW-Gespräch. Beim Bürgergeld und bei Sozialleistungen für Asylsuchende handele es sich zudem um Rechtsansprüche, »die man sich nicht erarbeiten muss«. Für ihn zielen die Vorschläge auf soziale Demagogie: »Während es vielen Menschen gerade schlecht geht, soll jetzt nach unten getreten werden: auf andere, denen es noch schlechter geht. Das ist schädlich und gefährlich für die gesellschaftliche Entwicklung.« Die »Arbeitspflicht« sei für die Arbeitsmarktintegration völlig ungeeignet, biete weder Qualifizierungs- noch Übernahmechancen.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Hans-Joachim Wolfram aus Sondershausen (1. März 2024 um 09:55 Uhr)
    Diese nostalgischen Erinnerungen an Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter zu Opas besten Jahren – die spuken in den Köpfen jedes CDU-Wählers und anderem nationalkonservativen Grobzeug herum. Denn der Nationalsozialismus ist weder vom Himmel gefallen, noch ausschließlich von den damals herrschenden Kapitalisten gefördert worden. Die deutschen Untertanen haben ihn gewählt und bis heute nicht abgelegt. Wer damals in die innere Emigration ging oder Widerstand leistete, der musste dies auch in der BRD fortführen und vererbte es an seine Kinder. Doch die bürgerliche Klasse, welche das Tätervolk repräsentiert, begeht weiter diese Straftaten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in regelmäßigen Abständen solche Ideen wieder hervorgekramt werden. Was hat denn die Schaffung sogenannter »Ein-Euro Jobs« für einen Einfluss auf den Arbeitsmarkt bewirkt? Lediglich 1 % der Betroffenen erhielten nach diesem Arbeitsplätzchen einen Job im ersten Arbeitsmarkt. Dagegen wurden verschiedene Handwerksberufe gezielt entwertet. Der Meisterzwang im Gebäudereinigerhandwerk wurde aufgehoben. In Folge entstanden Sklavenarbeitsplätze, derer sich die Kommunen und andere staatliche Einrichtungen nur zu gern bedienen. Dubiose Firmen, Dilettanten als »Unternehmer«, beschäftigen bevorzugt Frauen; sie arbeiten als »Fensterputzer«, »Staubsaugerpiloten« und als humanoide Sanitärreiniger zu Hungerlöhnen. Im Garten- und Landschaftsbau ist es ähnlich. So sanieren sich Kommunen, Land und Bund. Nun frisst der Krieg aber viele Geldmittel auf. Also muss es noch billiger gehen. Dafür darf aber nicht die kostbare Arbeitskraft eines Herrenmenschen oder -frau vergeudet werden. Stellen Sie sich einmal vor, diese parlamentarische Perle wie Emilia Fester, hochqualifiziert in theatralischer Darstellung, tanzt mit dem Staubsauger um den Weihnachtsbaum im Bundestag zum Absaugen der Nadeln. Wozu sind denn dann die Unterschicht und die Flüchtlinge noch nützlich? Man wird ja wohl noch diskriminieren dürfen!

Ähnliche:

  • Angeworben, aber nie willkommen. Italienische Gastarbeiter bei i...
    16.02.2024

    Jahrzehntelang eingeübte Muster

    Zwischen Anwerbung und Zuzugsbegrenzung – begleitet von rassistischen Kampagnen. Zur Asylpolitik der Bundesrepublik bis 1990
  • 29.11.2022

    Druck auf Löhne

    Der DGB findet das Bürgergeld weiterhin gut. Erwerbslosenvertretung betont das fortbestehende Verarmungssystem
  • Die neuesten Rentenreformen der Bundesregierung sind nur Symbolp...
    07.07.2020

    Politisches Armutszeugnis

    Mit der nun von der Großen Koalition beschlossenen sogenannten Grundrente lässt sich die Altersarmut nicht bekämpfen, sondern höchstens im Einzelfall lindern