junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Mittwoch, 8. Mai 2024, Nr. 107
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 2 / Ausland
Russland

Russland koppelt sich ab

Rede Putins: Atomschlagdrohung bei NATO-Eskalation. Wendung zu Autarkie
Von Reinhard Lauterbach
IN.JPG
Präsident Putin zieht Konsequenzen aus dem Vorgehen des Westens gegen sein Land (Moskau, 29.2.2024)

Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Westen nachdrücklich davor gewarnt, dem Vorschlag des französischen Präsidenten zu folgen und Truppen in die Ukraine zu schicken. In seiner Jahresbotschaft vor der Föderationsversammlung, den beiden Kammern des Parlaments, sagte Putin am Donnerstag in Moskau, der »sogenannte Westen« habe offenbar vergessen, dass Russland Waffen besitze, die westliches Territorium treffen könnten. Russland dagegen wisse, was Krieg bedeute. Mit diesen Worten umschrieb Putin seine Drohung eines Atomschlags, und zwar eines solchen, der sich nicht auf Ziele in der Ukraine beschränken werde. Der Präsident sagte, er sei zu Gesprächen mit den USA über Sicherheitspolitik bereit, aber umfassend und nicht nur zu den Aspekten, die Washington in den Kram passten. Partielle Gespräche hätten keinen Sinn. Sicherheit könne nur mit Russland geschaffen werden, nicht gegen es.

Im ganzen war das Thema Ukraine-Krieg in der mit etwas über zwei Stunden für Putins Verhältnisse kurzen Ansprache eher impliziter Hintergrund für ein umfassendes Programm der inneren Modernisierung bei gleichzeitiger Abkopplung Russlands von der westlich dominierten Welt. Putin sprach von »Selbständigkeit, Selbstgenügsamkeit und Souveränität« als den drei Prinzipien, von denen sich die russische Politik in den nächsten sechs Jahren leiten lassen müsse.

Der Zeitrahmen bezog sich, ohne dass er das zur Sprache brachte, auf seine nächste Amtszeit als Präsident, für die er sich in zwei Wochen wählen lassen will. Die Wendung zu einem Autarkieprogramm war dabei auf ganzer Linie spürbar: die Entwicklung eigener Software, eigener Verkehrsflugzeuge oder des Inlandstourismus. Der soll bis 2030 auf 140 Millionen Menschen anwachsen – statistisch für jeden Russen ein Urlaub in der Heimat jährlich. Erstmals sprach Putin das Problem seiner Nachfolge an. Er sagte, aus Menschen mit Kampferfahrung in der Ukraine solle durch Sonderstudiengänge eine neue russische Elite herangezogen werden, die Russland wirklich dienen wolle und der man »das Land mit Zuversicht übergeben könne«. Mit einer Besserung der Beziehungen zum Westen zu seinen Lebzeiten rechnet Putin offenbar nicht mehr.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (1. März 2024 um 14:32 Uhr)
    Also ich lese da keine Drohung mit Atomwaffen. Erstens sagte er: »Sie müssen begreifen, dass wir auch (!) über Waffen verfügen – ja, das wissen sie, wie ich gerade gesagt habe –, die Ziele auf ihrem Territorium treffen können.« ((!) von mir). Das ist ein klarer Bezug auf westliche Waffen, die das russische Territorium erreichen können, z. B. SCALP. Sowas hat Russland natürlich auch und ggf. noch ’ne Nummer schärfer in Hyperschall. Kinzhals haben eine (offizielle) Reichweite von 1.000 km, plus der des Flugzeugs, welches sie abfeuert. Zirkon, weiß ich jetzt gerade nicht genau: auf jeden Fall deutlich mehr; ist aber Nebensache, denn die kann von U-Booten gestartet werden, womit jeder Punkt in Europa erreichbar ist. Und direkt im Anschluss sagte er dann: »Alles, was sie jetzt erfinden, um die Welt mit der Drohung eines Konflikts mit Atomwaffen zu erschrecken, der möglicherweise das Ende der Zivilisation bedeutet – ist ihnen das nicht klar?« Also eine klare Absage an die Propagandisten der nuklearen »Russischen Gefahr« – hätte ja fast »Rote Gefahr« geschrieben. Übrigens wird ja dem Iran gerade vorgeworfen, durch Waffenunterstützung der Ansarollah kriegsbeteiligt zu sein. Na, Fehler erkannt? Die gleiche Einschätzung steht Russland auch zu. Man könnte demnach die Waffenlieferanten angreifen, um weitere Lieferungen zu unterbinden. Man tut das nur (noch) nicht, um nicht(!) zu eskalieren – viele werden ja trotzdem schon im Transit (in der Ukraine) zerstört, deshalb ja auch die Raketeneinschläge im Westen. Aber Zurückhaltung wird immer als Schwäche ausgelegt – ein fataler Trugschluss. Die Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kann dieser sich gerne hinschieben, wo die Sonne nicht scheint; das ist nur der klägliche Versuch des Reinwaschens unserer Waffenlieferungen. Grafenwöhr ist auch ein legitimes Ziel, denn da werden ja Kombattanten ausgebildet! Man sollte den Bogen nicht überspannen, die BRD erst recht nicht.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. März 2024 um 10:59 Uhr)
    Zunächst einmal: Putins martialische Rede richtete sich in erster Linie an die russische Bevölkerung. Der Fokus lag auf der Modernisierung des Landes und dessen zukünftiger Rolle in der Welt. Die in den westlichen Medien herausgestellten »atomaren Drohungen« sind schlichtweg antirussische Propaganda. Das russische Atomarsenal ist kein Novum; es ist hinlänglich bekannt. Daher wäre es angebracht, dass militärische Zwergstaaten wie Großbritannien und Frankreich nicht allzu überheblich auftreten und sich nicht als propagandistische Störenfriede betätigen. Im Frühjahr 2022 wurde bereits eine Friedensvereinbarung ausgehandelt, die jedoch vom Wertewesten und seinem Gesandten Boris Johnson vereitelt wurde. Zweitens: Es stellt sich die Frage, warum der Westen Gorbatschows Idealen, insbesondere dem Gedanken, »ein europäisches Haus vom Lissabon bis Wladiwostok zu bauen«, nie ernsthaft nachgegangen ist. Wem nützte es, dies zu sabotieren? Weder Europa noch Russland! Daher wurde von den USA der »Ukrangraben« ausgehoben! Jetzt sitzt Europa in der eigenen Grube, und anstatt das Graben zu beenden, lautet der Befehl immer noch: weiter so, immer tiefer graben!
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (1. März 2024 um 09:59 Uhr)
    1.: Putins Warnung kommt zu spät. Macron war dumm genug, mit besagtem Vorschlag Putin frei Haus Argumente gegen den Westen zu liefern. Dass er, Macron, damit allein auf weiter Flur steht (abgesehen von Estland), hat ihm, Putin, wohl noch niemand gesagt. – 2.: Der »sogenannte Westen«: Da war doch mal was: Als Deutschland noch geteilt war, sprachen Adenauer & Co. abschätzig von der »sogenannten DDR«. Nun ist Putin auch schon so weit gekommen! – 3.: »Russland dagegen wisse, was Krieg bedeute«: Auch die Ukraine weiß es; seit dem Zweiten Weltkrieg und aktuell seit zwei Jahren! – 4.: Ein Atomschlag seitens Russlands wäre der zweite Einsatz von Atomwaffen seit der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki durch die USA. – 5.: Betreffs der herrlichen Zukunft, die Putin seinen Wählern verspricht: Auch hierzulande fragt man sich in Wahlkampfzeiten: Warum konnte das nicht auch schon in der vergangenen Legislaturperiode getan werden, warum soll es in der nächsten klappen? 6.: Wenn ein Mensch »mit Kampferfahrung in der Ukraine« Putins Nachfolge antritt, kann der Welt nur angst und bange werden. Er wird sich, wie Putin, nicht scheuen, den Krieg in Erwägung ziehen, wenn er etwas nicht mit friedlichen Mitteln erreichen kann.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (1. März 2024 um 09:04 Uhr)
    Offenbar kann auch eine jW nicht der Marketing-Versuchung widerstehen, sich immer wieder mal den ein oder anderen reißerischen Aufmacher der revanchistischen bourgeoisen Presse zu eigen zu machen. Zwischen einer »Drohung« und einer »Warnung« besteht ja wohl noch ein ebenso signifikanter wie gravierender Unterschied. Die Warnung an ein Kind, nicht bei Rot die Straße zu überqueren, weil es dabei Gefahr laufe, überfahren zu werden ist nicht gleichzusetzen bzw. gleichbedeutend mit einer Drohung, es zu überfahren.