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Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 1 / Titel
Krieg gegen Gaza

Schüsse auf Hungernde

Über 100 Getötete in Gaza bei Hilfslieferung: Israelische Armee will Berichte »prüfen«. Kleinkinder sterben an Nahrungsmangel
Von Wiebke Diehl
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Chaos und Tote nach Israels Angriff am Donnerstag nahe Gaza-Stadt

Mindestens 104 Tote und 760 Verletzte meldeten die Gesundheitsbehörden im Gazastreifen bis jW-Redaktionsschluss: Am frühen Donnerstag morgen haben nach Augenzeugenberichten israelische Soldaten das Feuer auf Zivilisten in der Nähe von Gaza-Stadt eröffnet, wo die Opfer auf Hilfslieferungen warteten. Noch in der Dunkelheit waren demnach Tausende hungrige Menschen auf die ankommenden Lkw zugestürmt. Dabei seien sie einigen israelischen Panzern »zu nahe gekommen«. Die Soldaten hätten daraufhin in die Menge gefeuert. Die Hamas warnte, aufgrund des heftigen Angriffs auf Zivilisten, könnten die Gespräche über eine Waffenruhe scheitern.

Während das israelische Militär zunächst erklärte, keine Kenntnis von den Schüssen zu haben, und dann behauptete, Dutzende Menschen seien infolge des Gedränges durch Stöße und Tritte verletzt worden, waren in sozialen Netzwerken und arabischen Nachrichtensendern blutüberströmte Getötete zu sehen. Auf einem Lkw hatten Anwohner Leichen gestapelt, zudem wurden Opfer mangels Krankenwagen und anderer Fahrzeuge auf Eselskarren abtransportiert. Am Vormittag dann erklärte die israelische Armee, die Berichte zu »prüfen«.

Internationale Hilfsorganisationen warnen immer eindringlicher vor einer flächendeckenden Hungerkrise und dem Hungertod Tausender im Gazastreifen, den Israel seit Oktober von der Stromzufuhr und von Treibstofflieferungen sowie einem Großteil der benötigten Hilfsgüter abschneidet. Während vor dem 7. Oktober noch rund 500 Lkw pro Tag in die Küstenenklave gelangten, dürfen seither nur noch 90 die Checkpoints passieren. Die israelische Regierung streitet dies ab und wirft den Helfern, insbesondere denen der Vereinten Nationen, Versagen beim Verteilen vor. Wie die UNO berichtet, hat sich die Menge der Hilfslieferungen im Februar im Vergleich zum Vormonat sogar noch einmal halbiert.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete derweil über den Tod zweier Säuglinge im nördlichen Gazastreifen. Sie seien an Dehydrierung und Unterernährung gestorben. Zahlreiche weitere Kinder seien aufgrund des Mangels an Nahrungsmitteln ebenfalls vom Tod bedroht. Es waren nicht die ersten derartigen Berichte: Allein aus dem Kamal-Adwan-Krankenhaus im Norden des Gazastreifens sind bereits sieben verhungerte Kinder gemeldet worden. Am Mittwoch starb der zweijährige Khaled Hidschasi an einer Vergiftung infolge des Verzehrs von Tierfutter. Anderes stand seiner Familie nicht zur Verfügung.

Die Zahl der im Gazakrieg getöteten Palästinenser hat die Marke von 30.000 inzwischen überschritten. Wie der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf bestätigte, sind inzwischen über 100.000 Getötete und Verletzte bei dem – wie er sagte – »Gemetzel« zu beklagen. Zehntausende seien vermutlich unter den Trümmern ihrer Häuser begraben. 17.000 Kinder seien inzwischen zu Waisen oder von ihren Familien getrennt worden. Unzählige weitere würden ein Leben lang die Narben des physischen und emotionalen Traumas tragen.

Die Zahlen und Bilder aus dem Gazastreifen hinterlassen auch in den traditionell proisraelischen USA ihre Spuren: Dort bevorzugen neun Monate vor der Präsidentschaftswahl 56 Prozent der Anhänger der Demokraten einen Kandidaten, der sich gegen Militärhilfen für Israel ausspricht, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Reuters/Ipsos-Umfrage hervorgeht.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. März 2024 um 13:59 Uhr)
    Dieser Vorfall könnte politische Konsequenzen nach sich ziehen. Die Palästinenser behaupten, dass die Massenpanik durch israelische Truppen ausgelöst wurde, die in eine Menschenmenge schossen, die sich um einen Versorgungskonvoi versammelt hatte. Israel bestreitet jegliche Verwicklung in die Panik. Fakt ist jedoch, dass eine beträchtliche Anzahl von Zivilisten, die auf Lebensmittel warteten, getötet wurde. Dies geschah in einem von den israelischen Streitkräften kontrollierten Gebiet, was Israel für ihren Tod verantwortlich macht. Dieser Vorfall wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den Druck auf die Regierung Netanjahu erhöhen. Trotz der nachgelassenen Bombardierungen hat sich der Alltag der Palästinenser nicht verändert. Sie leben weiterhin ohne Zukunftsperspektiven, dauerhaft bedroht durch den Tod und auch durch Hunger. Die humanitäre Hilfe reicht nicht aus; es ist demütigend, dass der Westen nicht einmal öffentlich Israel in die Schranken weist!
  • Leserbrief von B. S. aus Ammerland (1. März 2024 um 11:41 Uhr)
    Und das ist natürlich »Wasser auf die Mühlen der AfD« . . . . . . was der »Bruder im Geiste Netanjahu« im Gazastreifen praktiziert, ist »Gelebter Genozid«! Und da können Scholz, Baerbock, Habeck, Lindner, Merz und Söder noch so viel »Ausreden« erfinden, wie sie wollen. Völkermord bleibt Völkermord . . . auch wenn die System-Medien uns etwas anderes vorgaukeln wollen.

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