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Aus: Ausgabe vom 29.02.2024, Seite 16 / Sport
Rodeo

Sweetheart of the Rodeo

Bullenreiten in Jacksonville, Florida
Von Maximilian Schäffer
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»Out­standing«: John Crimber krönte sein souveränes Auftreten mit 91 Punkten

Wie praktisch jede erwähnenswerte Stadt in den USA bekam auch Jacksonville sein eigenes Fegefeuer vom Allmächtigen serviert. Im Jahr 1901 schlug ein Herdfeuer auf eine benachbarte Matratzenfabrik über und zerstörte infernalisch die Behausung von über 10.000 Floridianern. Auch sämtliche Verwaltungsgebäude und Kirchen waren zerstört, die Ruinen des Stadtzentrums beschützte das Kriegsrecht. Henry John Klutho, ein gewiefter Architekt, las in der New York Times von der Katastrophe, witterte die Chance seines Lebens und siedelte alsbald in die größte Stadt des Sonnenscheinstaates über. Heute sind praktisch alle wichtigen historischen Bauten in Jacksonville von Klutho entworfen, der auch als Bauleiter agierte. Niemand dankte es ihm, der Mann starb trotz seiner Verdienste in relativer Armut. Seine Häuser im Prairie-House-Stil mit Art-déco-Elementen waren und sind unbeliebt. Einst galten sie als zu modernistisch, und heute ist man in den USA an historischer Bausubstanz nicht besonderes interessiert, kann als Eigentümer aber selbstverständlich alles machen, was man will. Außer Denkmäler abreißen! Also rotten Kluthos prominente Gebäude in Downtown Jacksonville, obwohl seit 50 Jahren unter Denkmalschutz, geplant irreparabel dahin, bis ein schöner Wolkenkratzer aus Glas und Geld sie irgendwann ersetzen darf.

Von Kalifornien kamen die Bullenreiter und Züchter der Organisation der Professional Bull Riders quer durchs ganze Land, um ihre Viecher wieder die Luft des anderen Ozeans schnauben zu lassen. Man Hater, der nun zum ersten Mal berittene Albinobulle, gönnte sich zwar wieder eine wohlverdiente Pause, hatte aber seine Spuren am Weltranglistenanführer der Männer hinterlassen. Cassio Dias, der ihn vergangene Woche zu glänzenden 94,50 Punkten demütigte, trug eindeutige Blessuren vom frustriert stampfenden Huf des blonden Muskelmonsters davon. Schmerzlich mitanzusehen waren Dias Ritte in der Veterans Memorial Arena, einer Mehrzweckbude, die vor allem für Hallen-Football genutzt wird. Um die 13.000 stöhnten unisono, als der Virtuose aus Brasilien nach jedem seiner drei Versuche, obwohl zweimal erfolgreich, schmerzverzerrt aus der Halle geschleppt werden musste. Zum Helden des Abends wurde der kleine John Crimber. Er ist Sohn brasilianischer Eltern, aufgewachsen in Texas und Sweetheart der weiblichen Rodeofans. »Gut für den Sport« seien solche Maskottchen, ließ der Kommentator auch zum Comeback von Daylon Swearingen verlauten, der im diesjährigen Wettbewerb bisher zwar nicht erfolgreich war, aber selbst mit einer Ladung Schlamm im Gesicht noch attraktiv in die Kamera zwinkern kann.

Crimber jedenfalls schaffte das perfekte Triple von drei gültig gewerteten Ritten in zwei Vorrunden und einer Hauptrunde, krönte sein souveränes Auftreten mit 91 Punkten auf Doze You Down und einem fantastischen ROB-Score von 3,5. Alles über 90 Punkte gilt in diesem Sport übrigens als »out­standing«, der Rider-over-Bull-Score beschreibt die Dominanz des Reiters gegenüber dem Tier, beide erhalten von den Juroren eine getrennte Wertung. Im Angesicht der Verletzungen von Cassio Dias hat John Crimber nun also gute Chancen, demnächst an die Spitze zu rücken. Niemand darf sich zu früh freuen, in diesem Sport, schwere Blessuren reihen sich in den Lauf der Geschichte ein wie Fegefeuer. Crimber dankte vorsorglich nicht nur der Moderatorin für die Glückwünsche zu seinem ersten Turniersieg: »Thank ya, Ma’am!« Auch der Allmächtige hat ihn bisher gut beschützt.

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  • Leserbrief von Toralf Köhn aus Wandlitz (4. März 2024 um 20:34 Uhr)
    Auch in meiner Familie und im Bekanntenkreis fragen wir uns immer wieder, was uns als linke Leserschaft die Berichterstattung zum Bullenreiten in den USA zu vermitteln versucht! Respekt vor sportlicher Leistung kann es wohl nicht sein. Wenn es um die Ausbeutung des Menschen und der Natur durch den Menschen gehen sollte, hätte ein Artikel in der Rubrik Ausland gereicht. Ernstgemeinte Frage an Autor und Redaktion unserer linken Tageszeitung: Warum müssen wir das immer wieder lesen?
  • Leserbrief von Ute Rott aus Templin (4. März 2024 um 14:54 Uhr)
    Am Donnerstag, den 29. Februar wurde mein Leserbrief bzgl. der permanent
    erscheinenden Berichterstattung zum Bullenreiten in den USA teilweise veröffentlicht.
    Am gleichen Tag kam der nächste Bericht von Maximilian Schäffer, dem ich jetzt mal ganz offiziell ein ziemlich gestörtes Verhältnis zu Tieren und ganz speziell sadistische Vorstellungen unterstelle, was »Sport mit Tieren« betrifft.
    Was ist der nächste Auftrag, den Herr Schäffer bekommt? Stierkämpfe in Spanien?
    Bei denen der Stier ja auch eine reelle Chance hat? Bericht er dann von der Eleganz
    der Toreros und ihrem charmanten Auftreten?
    Übrigens habe ich Ihren hochqualifizierten Beitrag auf Facebook geteilt und –
    Überraschung – er wurde von Facebook herabgestuft, da hier offensichtlich
    »gewaltverherrlichende Inhalte« gezeigt wurden. Muss sich die junge Welt jetzt von
    Facebook belehren lassen? Offenbar schon! Dass für so etwas das Geld Ihrer Abonnenten und Leser rausgeschmissen wird, ist
    eine Schande!

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