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Aus: Ausgabe vom 29.02.2024, Seite 2 / Inland
Atommüll in Gorleben

»Zehn Meter hohe Mauer bietet keinen Schutz«

Niedersachsen: Castorhalle in Gorleben soll durch neue Maßnahmen gegen Terrorangriffe gesichert werden. Ein Gespräch mit Wolfgang Ehmke
Interview: Mawuena Martens
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Leichtes Ziel: Zwischenlagerkomplex in Gorleben (26.11.2011)

Am oberirdischen Atommüllzwischenlager Gorleben in Niedersachsen haben vergangene Woche Baumaßnahmen begonnen. Was genau wird da gemacht?

Bisher werden lediglich Vorbereitungen für den Bau einer zehn Meter hohen Mauer rund um die Castorhalle getroffen. Es gibt ein neues Zufahrtstor für das Gelände, auf dem die Castorhalle mit den 113 Behältern mit hochradioaktivem Müll steht. Dadurch soll der Zugang erschwert werden. In Gorleben gibt es auch eine Lagerhalle für schwach- und mittelaktive Abfälle und eine sogenannte Pilotkonditionierungsanlage, PKA. Ursprünglich sollten dort hinter dicken Mauern die hochradioaktiven Abfälle aus dem Castorlager für die Endlagerung umverpackt werden. Weil aber der Salzstock Gorleben bei der Endlagersuche 2020 aussortiert wurde, soll diese PKA abgerissen werden. Das Problem: In der PKA steckt die Sicherheitswarte für die ganze Atommülldeponie.

Wie bewerten Sie die Maßnahmen?

Seit 9/11 (Anschläge mit Flugzeugen auf das World Trade Center und das Pentagon in den USA 2001, jW) wird darüber diskutiert, ob und wie man Atomanlagen gegen sogenannte sonstige Einwirkungen Dritter schützen kann. Damit sind zum Beispiel Terrorschläge, Erpressung, Cyber- und Drohnenangriffe gemeint. Bei den Atomkraftwerken gab es Pläne einer Vernebelung und für Überflugverbote. Wir fragen uns, welchen Sicherheitsgewinn eine zehn Meter hohe Mauer rund um eine Halle bringt, die zwanzig Meter hoch ist. Dazu kommt, dass die Lagerhallen in Ahaus und Gorleben vergleichsweise dünne Wandstärken haben. Eine Schwachstelle ist ausgerechnet das Hallendach, das ist nur 20 Zentimeter dick. Ein Überflugverbot gibt es auch nicht.

Es werden auch Kerosinrinnen für den Fall eines Flugzeugabsturzes gebaut, doch eine zehn Meter hohe Mauer bietet vor einem Absturz keinen Schutz. Und diese Zwischenlager werden zu Langzeitlagern. Die brisanten Abfälle werden wohl rund 100 Jahre oberirdisch gelagert, weil sich die Endlagersuche viel schwieriger gestaltet, als ursprünglich angenommen.

Was schlagen Sie vor?

Wir fordern einen robusten Neubau wie in Lubmin. Dort wird eine Castorhalle neu errichtet mit einer Wandstärke von 1,6 Meter monolithischer Bauweise. Es muss also mindestens eine Ummantelung geben. Ein Tunnelsystem oder eine oberflächennahe Verbunkerung wären noch sicherer, aber wir gehen nicht davon aus, dass das politisch durchsetzbar ist.

Durch den Rückbau Gorlebens sind neue Konflikte entstanden, weil die Gesamtgemeinde dort auch gerne ein Geothermiekraftwerk errichten möchte. Wir halten uns aus diesen Begehrlichkeiten heraus. Politische Stimmungen können schnell kippen: Wer sagt uns denn, dass man nicht sagt, bei der Endlagersuche für hochradioaktive Abfälle sucht man einen »bestmöglichen« Standort, bei den schwach- und mittelradioaktiven Abfällen reicht jedoch ein »geeigneter«.

Und die Anwohner, wie reagieren die?

Die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung, BGZ, bietet vor Ort Informationen, vor allem zu ihrem Forschungsprogramm. Denn 2034 läuft die Genehmigung für die Castorhalle in Gorleben ab, zwei Jahre später für Ahaus. Aber die Sicherung der Anlagen gegen Einwirkungen Dritter spielt dabei keine Rolle. Wir werden nicht müde, immer wieder Veranstaltungen zu diesem Thema anzubieten. Wir haben auch Rückenstärkung von den Menschen hier vor Ort, allerdings ist die Gemeinde Gorleben als Atommüllstandort immer sehr positiv gestimmt gewesen. Es wurden viele Gelder abgegriffen, die berühmten Gorlebengelder, und noch immer kriegt die Samtgemeinde jedes Jahr eine Million Euro, sozusagen als Stillhalteabkommen.

Wie betrachten Sie die Atommüll- und Endlagerdiskussion in Deutschland insgesamt?

Schwierige Frage, schwierige Lage: Nach dem Atomausstieg hat das öffentliche Interesse an all diesen Jahrtausendfragen stark nachgelassen. Das bekommen selbst die Initiativen in Gronau und Lingen zu spüren, obwohl diese Atomanlagen vom Ausstieg ausgenommen wurden und unbegrenzt weiter Atommüll produzieren. Ich kann gut verstehen, dass die Klimakatastrophe im Fokus jüngerer Leute steht, aber die brisanten Hinterlassenschaften des Atomzeitalters sind eine Zeitbombe. Es ist wichtig, dass die Zivilgesellschaft sich da einmischt, damit nicht am Ende doch wieder Parteien- oder Länderegoismen obsiegen. Das wäre ein unglaublicher Rückfall.

Wolfgang Ehmke ist Pressesprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e. V.

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